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Spezialist aus Schwerte
Damit auch Sehbehinderte im Netz lesen können

Auch Sehbehinderte wollen Webseiten lesen. Was Sehende auf einen Blick erfassen, müssen sie über Sprachausgaben oder Brailleschrift aufnehmen. Die Firma Papenmeier optimiert als Dienstleister bestehende Websites und Software, programmiert aber auch neue, außerdem entwickelt sie technische Hilfsmittel für Blinde.

Von Mirko Smiljanic |
    Eine Schülerin der Landesschule für Blinde und Sehbehinderte in Chemnitz bedient ein Computerprogramm mit Brailleschrift.
    Eine visuell eingeschränkte Schülerin bedient ein Computerprogramm mit Brailleschrift. ((c) dpa)
    So sieht Orientierung blinder Menschen im Verkehrsgewusel großer Städte aus: Langsam tastet sich Marisa Sommer, Vorstandsmitglied im "Blinden und Sehbehindertenverein Köln", mit dem Blindenstock Richtung Straßenbahnhaltestelle.
    "Ich muss jetzt, wenn ich zur Straßenbahn gehen möchte, rechts überqueren, und da ist ein ganz großes Problem, die Bordsteinkante, die existiert nicht. Hier ist nichts, hier ist nichts, hier ist nichts, ich befinde mich quasi schon auf der Straße."
    Ein paar Schritte noch, dann hat sie die rettende Mittelinsel erreicht. Orientierung in einer möglichst barrierefreien Umgebung sei das A und O für Sehbehinderte, so Sommer. Dies beziehe sich aber keineswegs nur auf Straßen und Plätze, Häuser und Wohnungen. Barrierefreie Orientierung habe im Zeitalter der Digitalisierung noch in ganz anderen Bereichen Bedeutung. Auf Websites zum Beispiel, deren Oberflächen Blinde bis vor gar nicht so langer Zeit hilflos ausgeliefert waren.
    Schwerte im Entwicklungszentrum der "F. H. Papenmeier GmbH & Co. KG". Sehende orientieren sich auf Internetseiten oder Softwareoberflächen vergleichsweise leicht, sagt Bruno Behrendt, Leiter des Fachbereichs Rehatechnik, und zeigt auf die Homepage einer nordrhein-westfälischen Kommune: Eingabefelder für Namen und Anschriften sind zu sehen, nach rechts gedrehte Dreiecke signalisieren Videoclip, Zwischenüberschriften strukturieren Texte.
    Sehbehinderte sind auf barrierefrei aufgebaute Websites angewiesen
    Was Sehende mit einem Blick erfassen, registrieren Blinde entweder über eine Sprachausgabe, die ihnen Texte vorliest. Oder aber sie nutzen Braillezeilen, schmale Geräte, die Text in tastbare Blindenschrift übersetzen. Das funktioniert aber nur bei barrierefrei aufgebauten Websites, sonst verlieren Sehbehinderte rasch den Überblick, so Bruno Behrendt.
    "Überblick heißt, ich muss in die Lage versetzt werden, dass ich eine gesamte Website oder eine ganze Anwendung in ihrer Gänze erfassen kann."
    Wie aber lässt sich aus einer für Blinde ungeordneten Website eine geordnete gestalten? Wichtig sei zunächst einmal, …
    "… dass man nicht wild über die Webseite springt, dass die Tastatureingabe vernünftig erfolgen kann. Vom Titel sollte ich zum Vornamen und als nächstes zum Nachnamen springen, denn das ist erwartungskonform."
    Neben "erwartungskonformen" Struktur erfüllen barrierefreie Websites noch weitere Anforderungen: Texte und Grafiken sollen auch für den verständlich sein, der sie ohne Farbe betrachtet; Texte müssen über Braillezeile oder Sprachausgabe ausgegeben werden können.
    Mittlerweile bietet die "F. H. Papenmeier GmbH & Co. KG" Lösungen für alle Anforderungen: Sie überprüft und optimiert als Dienstleister bestehende Websites und Software, programmiert aber auch neue, außerdem entwickelt sie technische Hilfsmittel für Blinde - von Braillezeilen, über Kameras, die Texte vorlesen, bis hin zu Zoom-Systemen, die den Inhalt von Bildschirmen beliebig vergrößern. "Papenmeier" zählt bundesweit zu den Spezialisten für Blindenhilfsmittel. Die Anfänge der Firma lagen aber auf ganz anderen Feldern, so der Kaufmännische Leiter Manfred Rommel:
    "Es ging 1956 los. Der Elektroingenieur Friedrich Horst Papenmeier gründete dieses Unternehmen, zunächst als Ein-Mann-Ingenieurbüro. Im Bereich der angewandten Elektrotechnik wurden Steuerungen gebaut für Maschinen und Verfahren."
    Am Anfang stand ein Auftrag der Universität Dortmund
    Zum Thema "Technik für Blinde" kam Papenmeier durch Zufall: "Wir bekamen seinerzeit 1970 einen Entwicklungsauftrag von der Universität Dortmund. Wir sollten versuchen, Braille auf eine normale Rekorderkassette abzuspeichern und diese Daten im Schnelllauf nach Begriffen oder Worten wieder zugänglich zu machen. Dann haben wir den ersten Prototypen geschaffen, stellten ihn der Hochschule zur Verfügung, das war wunderbar. Und da kam plötzlich großer Bedarf: ein tolles Gerät, da brauchen wir mehr von."
    110 Mitarbeiter beschäftigt der Mittelständler aus dem Ruhrgebiet, er betreibt Büros in Berlin und Nürnberg, sein Jahresumsatz liegt bei 15 Millionen Euro. Wobei die Rehatechnik etwa die Hälfte erwirtschaftet, die andere Hälfte entfällt auf Elektrotechnik außerhalb des Reha-Bereichs.
    Die Geschäfte laufen gut, die Umsatzkurve zeigt nach oben. Was auf der einen Seite an der Produktqualität liegt, auf der anderen Seite aber auch am guten Betriebsklima, so Manfred Rommel:
    "Die Atmosphäre ist familiär, auch innerhalb der Belegschaft, und wie ich von außen immer wieder gehört habe, sagen die meisten, Mensch: Wir sind froh, dass wir hier arbeiten dürfen, es ist nicht die Anonymität wie in einem Großkonzern. Und das soll auch so fortgeführt werden!"