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Spezialsand gegen Radioaktivität

Kernphysik. - Kernreaktoren erzeugen bekanntlich radioaktive Strahlung. Und diese Strahlung muss nach außen abgeschirmt werden. Üblicherweise geschieht das durch dicke Wänden aus Schwerbeton. Doch diese Beton-Abschirmungen haben einen Nachteil: Werden sie nicht mehr gebraucht, ist ihr Recycling ziemlich aufwändig und damit teuer. Doch Forscher aus Garching bei München haben nun ein neues Abschirmmaterial entwickelt – eine Art feuchten Sand.

Von Frank Grotelüschen |
    Am FRM-II werden neue Abschirmungen für die Strahlplätze erprobt.
    Am FRM-II werden neue Abschirmungen für die Strahlplätze erprobt. (FRM-II)
    Die Experimentierhalle des Forschungsreaktors FRM II in Garching bei München. Der Reaktor dient dazu, Neutronen zu erzeugen – winzige Kernteilchen, mit denen sich die unterschiedlichsten Materialien durchleuchten lassen: Biomoleküle und Nanowerkstoffe, aber auch Motoren und Turbinenschaufeln. Was auffällt: Überall in der Halle stehen massive Blöcke aus Schwerbeton. Sie schirmen die sogenannten Strahlplätze ab, dort wo die Experimente laufen, und schützen vor radioaktiven Neutronen. Dann aber gab es bei einem der Strahlplätze ein Problem, erzählt Burkhard Schillinger, Physiker am FRM II.

    "Unsere alte Anlage musste einem neuen Strahlplatz weichen, weil der FRM II eine neue Experimentierhalle gebaut hat. Da meinte mein Chef noch: Sie müssen Ihr Instrument nur drei Meter verschieben!"

    Aber auch Chefs können mal irren. Bald nämlich stellte sich heraus, dass der neue Aufbau eine stärkere Abschirmung benötigen würde als der alte. Das Problem:

    "Die berechnete Masse war zu viel für die Traglast des Bodens. Wir mussten eine schlankere Abschirmung entwickeln, die die gleiche Abschirmwirkung hat, aber weniger Gewicht auf die Waage bringt."

    Und da es so eine schlanke Abschirmung nirgendwo zu kaufen gab, ließ man sich in Garching einfach ein neues Patent einfallen, sagt Ingenieur Elbio Calzada.

    "Die neue Abschirmung besteht nicht mehr aus Beton. Stattdessen nutzen wir Stahlbehälter, die mit einem speziellen Pulver gefüllt sind, eine Mischung aus Eisengranulat, Paraffinöl und einer borhaltigen Verbindung. Ein Material-Mix, der radioaktive Strahlung sehr effektiv abschirmen kann."

    Das Pulver sieht aus wie feuchter schwarzer Sand, wie man ihn an den Vulkanstränden von Lanzarote findet. Gefüllt wird er in eckige Stahlkästen, die sich dann wie Legosteine stapeln lassen. Der Vorteil,so Calzada:

    "Unser Material ist um 20 Prozent leichter als Blöcke aus Schwerbeton, schirmt die Strahlung aber genauso gut ab. Außerdem lässt sich unser Pulver einfacher wiederverwerten: Man nimmt es einfach aus den Stahlkästen raus und kann es anderswo wieder als Abschirmmaterial verwenden."

    Blöcke aus Schwerbeton lassen sich eher selten wiederverwerten: Meist sind es Maßanfertigungen, die nur an eine bestimmte Stelle passen. Burkhard Schillinger zeigt auf so einen unnütz gewordenen Klotz.

    "Wir haben hier nebenan einen alten Block stehen von der ersten Anlage. Das ist Sondermüll, weil der vorderste Teil radioaktiv ist. Der muss zersägt werden. Das muss in einer abgeschirmten Zelle passieren, damit kein Staub nach außen gelangt. Nach der Gesetzgebung darf nichts davon auf eine normale Deponie kommen. Deswegen wird das Ganze sehr teuer. Die Entsorgung davon kostet ungefähr 100.000 Euro. Und das wird alles eingespart, wenn wir das neue Material verwenden."

    Zwar ist das Material etwas teurer als Beton. Dafür aber spart man Recyclingkosten, meint Schillinger. Auf jeden Fall hat er gemeinsam mit seinen Kollegen schon mal ein Patent angemeldet. Denn im Prinzip ließe sich der Abschirm-Sand nicht nur in Garching einsetzen, sondern an vielen kerntechnischen Anlagen auf der Welt.