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Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch

Diesmal mit Ratgebern über Sex mit Schafen, Büchern von und über Zaren, Kaisern und Bundespräsidenten, Büchern von Menschen aus Hannover über Menschen aus Hannover, Büchern über den Tod sowie gelungenen und weniger gelungenen Büchern von Tetraplegikern.

Von Denis Scheck |
    Zeit für den literarischen Menschenversuch im Deutschlandfunk: Was geschieht mit einem Gehirn, das Monat für Monat abwechselnd die zehn in Deutschland meistverkauften Romane und Sachbücher von der ersten bis zur letzten Seite tatsächlich liest?

    Nach der Lektüre des aktuellen Sachbuchs von Carsten Maschmeyers fragt sich dieses Gehirn, ob Hannover nun das Stuttgart des Nordens oder nicht vielmehr Stuttgart das Hannover des Südens ist.

    ""Pulp Fiction: 'You will know my name is the Lord when I lay my vengeance upon thee'":'"

    Die aktuelle Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch:

    Diesmal mit Ratgebern über Sex mit Schafen, Büchern von und über Zaren, Kaisern und Bundespräsidenten, Büchern von Menschen aus Hannover über Menschen aus Hannover, Büchern über den Tod sowie gelungenen und weniger gelungenen Büchern von Tetraplegikern.

    In diesem Monat bringen die zehn meistgelesenen Sachbücher der Deutschen stramme 4659 Gramm auf die Waage: zusammen 3445 Seiten.

    10) Dieter Nuhr: "Der ultimative Ratgeber für alles " (Lübbe Verlag, 304 S., 12,99 Euro)


    Dieter Nuhr weiß tatsächlich in allen Lebensfragen guten Rat. Ob zum Stichwort Ökonomie, wozu Nuhr einfällt:

    "In der Steinzeit gab es keine Schleckermärkte."

    oder zum Thema Liebe, für die Nuhr beherzigenswert empfiehlt:

    "Waschen Sie sich ab und zu!"

    Selbst in Sachen Theologie und Priestersex ist dieser Mann um keine Antwort verlegen, wenn er etwa schreibt:

    "Auch ein Schaf sollte Gelegenheit haben, sich seine Geschlechtspartner selbst auszusuchen."

    Ein gutes Buch.

    9) Adam Zamoyski: "1812" (Deutsch von Ruth Keen, Verlag C.H. Beck, 720 S., 29,95 Euro)

    Sollte Ihnen bislang der Spaß an der Geschichte aus welchen Gründen auch immer verdorben worden sein, hier können Sie ihn lernen. Adam Zamoyski schildert anschaulich, analysestark und mit psychologischer Delikatesse den Zusammenprall von Napoleon und Alexander, dem Erben der französischen Revolution mit dem Erben der europäischen Feudalreiche. Seit langer Zeit hat sich keine so glänzende historische Darstellung mehr auf eine deutsche Bestsellerliste verirrt.

    8) Jürgen Domian: " Interview mit dem Tod" (Gütersloher Verlagshaus, 176 S., 16,99 Euro)

    Ein originelles Buch über die letzten Fragen. Wie Jürgen Domian in leicht fasslicher Sprache von einem fiktiven Interview mit dem Tod berichtet und davon, wie ihm Ludwig Feuerbach und Friedrich Nietzsche seinen christlichen Glauben nahmen, ist ein lang ersehntes Gegengift zu Esoterikzuhältern wie Paulo Coelho.

    7) Carsten Maschmeyer: "Selfmade" (Ariston Verlag, 384 S., 19,99 Euro)

    Man erfährt aus diesem Buch viel übers Verkaufen. Ein Mann namens Maschmeyer aus Hannover, offenbar als Verkäufer reich geworden, schreibt darin über Geld, Erfolg und Begegnungen mit anderen Verkäufern aus Hannover wie Gerhard Schröder oder Klaus Meine, der in einer Kapelle namens Scorpions musiziert. Dass der Autor dafür allerdings "Selfmade" als Titel wählt, ist ein Trugschluss. Fremdbestimmter als dieses Leben kann ich mir keines vorstellen.

    6) Norbert Roberts: "Joachim Gauck" (Koehler & Amelang Verlag, 264 S., 19,99 Euro)

    Eine journalistische Routinearbeit, solide, aber nicht aufregend: Faktenfutter für Datenknechte. Dass mir dieses Buch beim Lesen dennoch gute Laune macht, liegt weniger am Lebensweg des ostdeutschen Pastors Joachim Gauck, als vielmehr daran, wie seine Biografie unterstreicht, dass so ein Leben aus mehr als einem Akt besteht - unter glückhaften Umständen, wie im Fall des amtierenden Bundespräsidenten, sogar aus vier oder fünf Akten.

    5) Joachim Gauck: " Freiheit" (Kösel, 64 S. 10,00 Euro)

    Dieses Buch enthält den Text einer ausgezeichneten Rede Gaucks zum Thema Freiheit und Verantwortung. Die zehn Euro, die man im Buchhandel dafür verlangt, wird man in Erinnerung an unseren letzten Bundespräsidenten als Notopfer Berlin gern bezahlen.

    4) Hans-Ulrich Grimm: "Vom Verzehr wird abgeraten" (Droemer, 320 S. 18,00 Euro)

    Grimm deckt auf, wie sich die Lebensmittelkonzerne mit potenziell krank¬machenden Nahrungsergänzungsmitteln und Functional Food an unseren Traum vom langen Leben in ewiger Schönheit bereichern. Ein Buch, das eine Menge Geld sparen hilft, indem seine Leser in Zukunft manches lieber im Supermarktregal stehen lassen.

    3) Christoph Fasel und Samuel Koch: "Zwei Leben" (Adeo Verlag, 205 S., 17,99 Euro)

    Dem Menschen Samuel Koch gehört mein Mitgefühl. Sicher ist es übertrieben, von dem Opfer eines Unfalls profunde philosophische Einsichten in das zu verlangen, was da mit ihm geschehen ist. Nur haben Koch und sein Co-Autor Fasel das Pech, das ein ähnliches Buch, das genau das leistet, auf Platz eins der Liste steht. Und spätestens, wenn sich Samuel Koch – vielleicht angeleitet von seinem Co-Autor, der früher bei der Bildzeitung arbeitete - bei den Journalisten von BILD, Bild am Sonntag und RTL bedankt, packt mich bei diesem Buch das kalte Grausen über den Massenvoyeurismus namens Unterhaltungsmedien.

    2) Rolf Dobelli: "Die Kunst des klaren Denkens" (Hanser, 256 S., 14,90 Euro)

    Kurzweilige Zeitungskolumnen über massenhaft beschrittene Irrwege des Denkens: Warum wir lieber handeln, statt uns passiv zu verhalten, warum man sich nicht von jedem zum Essen einladen lassen sollte und warum Kekse um so besser schmecken, je weniger davon da sind.

    Platz eins der aktuellen Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch:

    Philippe Pozzo di Borgo: " Ziemlich beste Freunde" (Deutsch von Dorit Gesa Engelhardt, Marlies Ruß und Bettina Bach, Hanser Berlin, 256 S., 14,90 Euro)

    Noch ein Buch von einem Tetraplegiker, doch was für ein Unterschied: Dies hier ist geistreich und ironisch, öfters verschlägt einem sein wundervoller Esprit den Atem, etwa wenn der nach einem Unfall beim Gleitschirmfliegen Körpergelähmte Jaccques Prévert zitiert:

    "Vater unser, der du bist im Himmel - Bleib dort - Und wir werden auf der Erde bleiben - die mitunter so herrlich ist."

    Ein Buch über die Liebe, ein Buch über den zweiten Atem, ein Buch über die Gnade.