Immer die Insignien des Malerfürsten fest in der Hand: Palette und Pinsel als Yin und Yang schöpferischer Existenz. Im Kopf offensichtlich Henri Bergson und Nietzsche: "Nacktheit als Wahrheit", "Instinkt und Fernwitterung" als Handwerkszeug des Künstlersubjekts. So kommt Lovis Corinth um die Jahrhundertwende ins wilhelminische Berlin. Er wird zum, nach Liebermann und Slevogt einflussreichsten, Malerfürsten, bald auch zum Präsidenten der Sezession.
Und hier ereilt den wohlgemuten Künstler der Schicksalsschlag seines Lebens: Im Winter 1911, im Alter von gerade 53 Jahren, wirft ihn ein Schlaganfall nieder. Zwar malt er nach wenigen Wochen schon wieder, doch die Wende ist unübersehbar. Subtil führen die Ausstellungsmacher vor, wie der Optimismus zum Schein wird, die Pose zur Passion. Die Ritterrüstung ist nun ängstliche Verpanzerung, Gevatter Tod, zuvor als lächerliches Klappergestell in den Hintergrund des Ateliers geschoben, tritt als veritabler Knochenmann vor den Maler, drängt ihn zur Seite. Natürlich ändert sich auch der Malduktus, doch nur graduell. Die nervöse, gänzlich unvirtuose Pinselschrift wird etwas fahriger, kippt in die Diagonale, verwackelt und verweigert sich dem Blick des "gesunden Menschenverstands".
Die Nazi-Kunstwarte bescheinigten Corinth bekanntlich arische Orthodoxie nur bis zum Schlaganfall, das spätere Werk wurde als "entartet" abgestempelt. Ein Diktum, gegen das Charlotte Berend-Corinth, die getreue Witwe, damals verzweifelt zu Felde zog. Doch wie hätte der temperamentvolle, frei über die künstlerischen Mittel schaltende Maler dem blutleeren Nazi-Kitsch-Geschmack posthum zu Diensten sein können?
Er fühlt sich zunehmend weniger durch Konventionen gebunden, er bäumt sich auf, malt wütend an gegen "das ungeheure Zittern der Hand", wie er im Tagebuch vermerkt. Seine Malerei wird trotzig, eigensinnig. Seine Selbstbildnisse zerfließen immer mehr, deformieren sich, lösen sich auf in reiner Malerei. Ihre Botschaft: Das Leben als Totentanz, als Spielball der Elemente. Vanitas-Motive mehren sich, Ensor schaut um die Ecke, der herbstliche Walchensee dämmert im Hintergrund, fallende Schatten im Atelier in der Berliner Kloppstockstraße, düstere Schraffuren engen den Blick. Zum letzten Selbstbildnis, entstanden im Jahr 1925, benützte der Künstler zwei Spiegel: Den einen, in dem sich betrachtet und der sein Bild en face zeigt mit wässrig zerfließendem Blick. Der andere Spiegel hängt neben ihm und gibt sein blasses, ein wenig unscharfes Profil, das gleichsam schon in die Ewigkeit schaut. So endet die Entwicklungsreihe in einem erschütternd illusionslos-ungeschütztem Bild, an der Schwelle zu einer neuen Zeit, die nicht mehr die Lovis Corinths war.
Begleitend zu den Gemälden kann der Betrachter diesen Weg auch noch einmal anhand der graphischen Blätter abschreiten. Im Kleinen sind die physiognomischen Formulierungen bei Corinth häufig noch schärfer, ergreifender, dabei schlichter und wie selbstverständlich. Verdienstvoll auch die vergleichende Präsentation von Vintageprints einer großen Zahl selten gezeigter Fotoportraits aus dem Leben des Künstlers, die sowohl den ungeschönten Realismus Corinths wie auch seine märchenhaft-fiktionale Malerei deutlich hervortreten lassen.