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Spiegel geheimer Wünsche

Das Arrangement von Wild und Geflügel, Blumen und Gefäßen, Pokalen und Krügen kann sinnlich und rätselhaft sein. Darum trägt die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle den Titel "Spiegel geheimer Wünsche". Sie zeigt Stillleben aus vier Jahrhunderten: von Willem Claesz Hedas holländischen Prunkstillleben aus dem 17. Jahrhundert, über Gustave Courbets Blumenstillleben im 19. Jahrhundert bis hin zu Wolfgang Tillmanns Foto von Äpfeln, Möhre und Tonbandkassette zum Ende des 20. Jahrhunderts.

Von Carsten Probst |
    Johann Georg Hinz war einer der Protagonisten in der deutschen Stilllebenmalerei des Barock. Sein bekanntestes Gemälde, der "Kunstkammerschrank" von 1666, zeigt frontal und illusionistisch, so als ob man direkt hineingreifen könnte, die Fächer eines Kleinodienschränkchens, in dem die Schätze eines Raritätenliebhabers verwahrt werden. In der Mitte einen großen Elfenbeinpokal, daneben einen großen und einen winzigen, aus einer Koralle geschnitzten Totenschädel als Vanitas-Motiv sowie allerlei Kultgefäße und Preziosen.
    Auf der anderen Seite des Raumes hängt ein reales Holzregal in der Ausstellung, auf dem unter anderen ein paar leere Bierflaschen, eine Stereoanlage, ein kaputtes Keyboard und eine E-Gitarre lagern, sozusagen der Preziosenschrank eines Berufsjugendlichen von heute. Tritt man weit genug zurück, kann man in der Anordnung dieser Dinge ebenfalls ungefähr die Kontur eines Totenkopfes erkennen.
    Diese zweite Arbeit stammt von dem 1976 geborenen Briten James Hopkins und soll verdeutlichen, dass Stillleben erstens keine auf die alten Meister beschränkte Kunstform und zweitens in der Gegenwartskunst geradezu selbstverständlich sind - mit im Grunde gar nicht einmal so gravierenden Veränderungen in der Anlage des Sujets, allenfalls in der Auswahl der Mittel, der abgebildeten Dinge und natürlich des zeitgenössischen Zusammenhangs. Stillleben sind also voll aktuell.

    Wolfgang Tillmans, der Starfotograf der Rave-Generation, hat zum Beispiel ein paar halb vertrocknete Feldfrüchte auf einer New Yorker Fensterbank fotografiert. Und durch das Fenster sieht man nebenbei tief hinab auf den New Yorker Straßenverkehr, was man getrost auch als "Memento Mori" Motiv deuten kann. Nicht weniger die "Fallen" von Andreas Slominski, allen voran die beeindruckende "Waldhuhnfalle", die wie eine doppelt mannshohe Säule aus Bast aussieht, auf deren Kopfplatte sich das Huhn setzen soll, um dann durch eine Falltür in das hohle Innere zu rutschen. Eine sinnreiche Anspielung auf die Vielzahl von Jagdstillleben des 17. und 18. Jahrhunderts, die in diesem Teil der Ausstellung ausgebreitet werden.
    Nein, behauptet werden soll hier nicht, dass in der Gegenwartskunst die Blütezeit des Stilllebens im Barock übertroffen würde. Eher hat sich die Kunsthalle den Trick mit den zeitgenössischen Werken natürlich ausgedacht, um die ausgeprägte Phobie des Kunstpublikums vor der vermeintlichen Langeweile von Stillleben etwas zu mildern. Aus didaktischen Gründen hat man dazu ein Stichwortalphabet angelegt, von A wie Augentäuschung bis Z wie Zeit, um über einige Grundmotive der Stillleben aufzuklären, die am Ende möglicherweise doch gar nicht so langweilig sind wie geglaubt.

    Johann Georg Hinz’ 350 Jahre altes Kunstkammerregal wirkt durchaus wie eine frühe Vorwegnahme von Adolph Menzels "Atelierwand" und der Pop Art eines Robert Rauschenberg, die allesamt hier allerdings nicht zu sehen, aber durchaus mit gemeint sind. Die üppigen Blumenbouquets der Niederländer des 17. Jahrhunderts weisen natürlich über sich hinaus. Und wer will, kann in der seriellen Herstellung von verschiedenfarbigen Blütenmotiven eine frühe Form der Farbfeldmalerei erblicken.

    Davon einmal abgesehen, dass es schon im Barock nicht allein um die wohlgefällige Anschauung von Naturdingen ging, sondern um einen durchgestylten Bilderschatz von moralischen Unterweisungen, der an die Vergänglichkeit des Lebens, die Schöpfung und die Vergeblichkeit menschlichen Erkenntnisstrebens gemahnte. Wer will, kann diese Botschaften "brandaktuell" nennen. Seit der Aufklärung wurden Stillleben ohnehin zunehmend politisch, die einfachen Dinge des Lebens wurden gezeigt. Ein Georgio Morandi steht mit seinen Flaschen und Tiegeln immer noch in dieser poetisch reduzierten Tradition, die fast schon meditative Züge annimmt.

    Und sogar die Kunsthalle selbst scheint mit dieser Ausstellung auf den "Pfad der Tugend" zurückzufinden - indem sie mit ihrer traditionellen Sommerausstellung nicht mehr, wie mit den "Seestücken" der letzten beiden Jahre, nur auf schöne und lukrative, aber sinnlose Bilderschauen für Touristen vertraut, sondern den klassischen Bildungsauftrag auch im Sommer wieder ernster nimmt. Auch wenn "Stillleben" vielleicht nicht den ganz großen Besucherströme versprechen: Weiter so, Hamburger Kunsthalle.