Im Roman geht es um eine wertvolle Violine von Jakob Stainer, einem der bedeutensten Geigenbauer im Barock außerhalb Italiens. Die Violine ist das einzige Erbstück, das einem ungarischen Jungen von seinem frühverstorbenen Vater bleibt. Der begabte, aber aus einfachen Verhältnissen stammende Jugendliche erhält ein Stipendium auf einem Musikinternat in der Nähe von Wien, wo er Freundschaft mit einem jungen Adeligen aus Tirol schließt. Die Freundschaft und die Liebe zur Musik hilft beiden, die Jahre in dem Institut zu überstehen, das mehr einer militärischen denn einer pädagogischen Anstalt gleicht. Die Handlung, die sich auf dem Hintergrund der nationalsozialistischen Bedrohung Europas entwickelt, findet einen ersten Höhepunkt bei einem längeren Besuch des Ungarn auf dem Tiroler Schloß seines Freundes, bei dem schließlich Standesunterschiede, künstlerische und politische Differenzen zum Bruch der gleichsam brüderlichen Liebe führen. Aber das ist nur ein Handlungsstrang. Ein anderer erzählt von einem Schriftsteller. Dem fällt gut vierzig Jahre später in einem Wiener Heurigenlokal ein Violinist mit einer Stainer-Geige auf, der die schwierigsten Stücke zu spielen weiß und nicht in eine Weinkneipe sondern in einen Konzertsaal gehörte. Die dramatische Lebensgeschichte, welche dieser Geiger nun erzählt, scheint die Geschichte des jungen Ungarn zu sein. Doch der Schriftsteller, der sie recherchiert, stößt auf immer neue Fragen, die ihn sowohl an der Identität des Virtuosen wie an der ganzen Geschichte verzweifeln lassen. Und dann gibt es noch einen österreichischen Aristokraten, der wiederum einige Jahre später, die Stainer-Geige in London auf einer Auktion ersteigert und so einem verwickelten Kapitel seiner Familiengeschichte auf die Spur kommt.
Paolo Maurensig, der Baßgeige spielt, ist selbst ein leidenschaftlicher Musiker: "Weil ich ein Buch über Musik schreiben wollte", so Paolo Maurensig, "habe ich an die Struktur der Fuge gedacht, oder besser gesagt an eine Fuge, die einen Spiegelkanon benutzt. Das heißt, es gibt ein erstes Thema, dann mehrere Stimmen, die sich wie in einem Spiegelkanon überlagern, dann kommt das Thema des Finales und schließlich ein Schlußsatz, der das erste Thema wieder aufnimmt."
Das hört sich verwickelt an, gibt aber dem Roman eine geradezu kriminalistische Spannung, die auf den eigentlichen Inhalt hinführt. Der Autor erläutert das mit dem Titel seines Romans: "Der Titel Spiegelkanon verweist nicht nur auf die Musik, sondern der Begriff des Spiegels beinhaltet auch die Verdopplung des Einzelnen, was das Hauptthema des Buches ist. Denn es geht um zwei Jungen, die schließlich in einer einzigen schizophrenen Persönlichkeit aufgehen. Dabei spricht aber einer mit dem Mund des anderen. Man weiß schließlich nicht, ob das alles nur die Ausgeburt der Phantasie einer gespaltenen Persönlichkeit ist. Und dann verweist der Begriff Kanon natürlich noch auf den Begriff der Regel. ‘Spiegelkanon’ bezieht sich demnach auf die Spiegelung, auf die Umkehrung der Regel, als ob also die Gesetze der Menschheit verdreht werden."
Paolo Maurensig hat seit seiner Jugend literarische Texte geschrieben, aber seine meist sprachlich experimentellen Manuskripte wurden immer von den Verlagen abgelehnt. Er verdiente sich seinen Unterhalt als Handelsvertreter bis er vor wenigen Jahren mit dem Roman "Die Lüneburg-Variante" einen späten ersten Erfolg feiern konnte. In "Die Lüneburg-Variante" geht es um einen jüdischen Schachspieler, der mit seinem Spiel gegen einen KZ-Aufseher das Leben von Insassen retten könnte. Parallelen zum jüngsten Roman werden deutlich: In "Die Lüneburg-Variante" tauchen bereits Themen wie Identität auf, die Suche nach der Perfektion in der Kunst, die Frage nach der Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit.
Auch hier wird mit der Figur des Schachspielers eine Art von Künstler vorgestellt, der gleichsam wie Prometheus an dem leiden muß, was er der Menschheit zu geben vermag. Der Schrecken der Judenverfolgung schließlich, der im "Spiegelkanon" ein Echo findet, steht gar im Mittelpunkt. "In beiden Romanen", so Paolo Maurensig, "gibt es diese Idee der Bedrohung, die jeweils vom Nazismus ausgedrückt wird. Aber es geht grundsätzlich um eine Art von Bedrohung, welche um die Menschheit kreist. Die Menschheit hat ihr negatives alter ego, ihren Schatten, wie Jung das nennt. Einen Schatten, der sie bedroht, und dem sich der Einzelne wie die Gesamtheit stellen muß."
Paolo Maurensig ist kein einfacher Autor, er läßt sich auch nicht leicht einordnen. Er ist, wie Fulvio Tomizza aus Triest, ein Grenzgänger. Maurensig wurde 1943 in Görz an der slowenischen Grenze geboren. Als Folge des Krieges ist Görz bis heute eine geteilte Stadt geblieben. Der Autor besuchte zunächst slowenische und dann italienische Schulen, wobei er sich der habsburgischen Tradition der Region, die hier noch stärker spürbar ist als anderswo, nicht entziehen wollte. Deshalb fühlt sich Maurensig als ‘mitteleuropäischer’ Autor, obwohl dieser Ort ‘Mitteleuropa’, schwer zu bestimmen ist: "Für mich ist Mitteleuropa ein imaginärer Ort, ein literarischer Ort, ein literarisches Anderswo, wo für mich als Schriftsteller noch alles möglich ist. Ich könnte keinen Roman in Italien ansiedeln, Italien ist ein überpolitisiertes Land, hier kann man nichts mehr erzählen, ohne politisch interpretiert zu werden. Vielleicht sind meine Themen ungebräuchlich, vielleicht sind sie veraltet, vielleicht ist der Roman überhaupt als Form überholt, doch ich fühle mich als Restaurator des alten Romans, der Themen aufgreift wie Liebe, Schmerz und Angst, der nach dem Sein und dem Sinn fragt. Ich habe diese mitteleuropäischen Ideen, die aus meiner Jugend herrühren, aus meiner Liebe zu bestimmten Orten und zu bestimmten Büchern. Deshalb muß ich über diesen Teil Europas schreiben."
Vielleicht liegt es an den "mitteleuropäischen" Vorausetzungen dieses Autors, daß man sich sowohl in "Die Lüneburg-Variante" als auch im "Spiegelkanon" nicht von der literarischen Konstruktion seiner Bücher frei machen kann. Der geschichtliche Hintergrund scheint ebenso bekannt wie die Orte der Handlung vertraut sein mögen. Doch es bleibt ein Gefühl von Verfremdung, wie bei einem Musikstück, das man eigentlich anders kennt.
Paolo Maurensig, der Baßgeige spielt, ist selbst ein leidenschaftlicher Musiker: "Weil ich ein Buch über Musik schreiben wollte", so Paolo Maurensig, "habe ich an die Struktur der Fuge gedacht, oder besser gesagt an eine Fuge, die einen Spiegelkanon benutzt. Das heißt, es gibt ein erstes Thema, dann mehrere Stimmen, die sich wie in einem Spiegelkanon überlagern, dann kommt das Thema des Finales und schließlich ein Schlußsatz, der das erste Thema wieder aufnimmt."
Das hört sich verwickelt an, gibt aber dem Roman eine geradezu kriminalistische Spannung, die auf den eigentlichen Inhalt hinführt. Der Autor erläutert das mit dem Titel seines Romans: "Der Titel Spiegelkanon verweist nicht nur auf die Musik, sondern der Begriff des Spiegels beinhaltet auch die Verdopplung des Einzelnen, was das Hauptthema des Buches ist. Denn es geht um zwei Jungen, die schließlich in einer einzigen schizophrenen Persönlichkeit aufgehen. Dabei spricht aber einer mit dem Mund des anderen. Man weiß schließlich nicht, ob das alles nur die Ausgeburt der Phantasie einer gespaltenen Persönlichkeit ist. Und dann verweist der Begriff Kanon natürlich noch auf den Begriff der Regel. ‘Spiegelkanon’ bezieht sich demnach auf die Spiegelung, auf die Umkehrung der Regel, als ob also die Gesetze der Menschheit verdreht werden."
Paolo Maurensig hat seit seiner Jugend literarische Texte geschrieben, aber seine meist sprachlich experimentellen Manuskripte wurden immer von den Verlagen abgelehnt. Er verdiente sich seinen Unterhalt als Handelsvertreter bis er vor wenigen Jahren mit dem Roman "Die Lüneburg-Variante" einen späten ersten Erfolg feiern konnte. In "Die Lüneburg-Variante" geht es um einen jüdischen Schachspieler, der mit seinem Spiel gegen einen KZ-Aufseher das Leben von Insassen retten könnte. Parallelen zum jüngsten Roman werden deutlich: In "Die Lüneburg-Variante" tauchen bereits Themen wie Identität auf, die Suche nach der Perfektion in der Kunst, die Frage nach der Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit.
Auch hier wird mit der Figur des Schachspielers eine Art von Künstler vorgestellt, der gleichsam wie Prometheus an dem leiden muß, was er der Menschheit zu geben vermag. Der Schrecken der Judenverfolgung schließlich, der im "Spiegelkanon" ein Echo findet, steht gar im Mittelpunkt. "In beiden Romanen", so Paolo Maurensig, "gibt es diese Idee der Bedrohung, die jeweils vom Nazismus ausgedrückt wird. Aber es geht grundsätzlich um eine Art von Bedrohung, welche um die Menschheit kreist. Die Menschheit hat ihr negatives alter ego, ihren Schatten, wie Jung das nennt. Einen Schatten, der sie bedroht, und dem sich der Einzelne wie die Gesamtheit stellen muß."
Paolo Maurensig ist kein einfacher Autor, er läßt sich auch nicht leicht einordnen. Er ist, wie Fulvio Tomizza aus Triest, ein Grenzgänger. Maurensig wurde 1943 in Görz an der slowenischen Grenze geboren. Als Folge des Krieges ist Görz bis heute eine geteilte Stadt geblieben. Der Autor besuchte zunächst slowenische und dann italienische Schulen, wobei er sich der habsburgischen Tradition der Region, die hier noch stärker spürbar ist als anderswo, nicht entziehen wollte. Deshalb fühlt sich Maurensig als ‘mitteleuropäischer’ Autor, obwohl dieser Ort ‘Mitteleuropa’, schwer zu bestimmen ist: "Für mich ist Mitteleuropa ein imaginärer Ort, ein literarischer Ort, ein literarisches Anderswo, wo für mich als Schriftsteller noch alles möglich ist. Ich könnte keinen Roman in Italien ansiedeln, Italien ist ein überpolitisiertes Land, hier kann man nichts mehr erzählen, ohne politisch interpretiert zu werden. Vielleicht sind meine Themen ungebräuchlich, vielleicht sind sie veraltet, vielleicht ist der Roman überhaupt als Form überholt, doch ich fühle mich als Restaurator des alten Romans, der Themen aufgreift wie Liebe, Schmerz und Angst, der nach dem Sein und dem Sinn fragt. Ich habe diese mitteleuropäischen Ideen, die aus meiner Jugend herrühren, aus meiner Liebe zu bestimmten Orten und zu bestimmten Büchern. Deshalb muß ich über diesen Teil Europas schreiben."
Vielleicht liegt es an den "mitteleuropäischen" Vorausetzungen dieses Autors, daß man sich sowohl in "Die Lüneburg-Variante" als auch im "Spiegelkanon" nicht von der literarischen Konstruktion seiner Bücher frei machen kann. Der geschichtliche Hintergrund scheint ebenso bekannt wie die Orte der Handlung vertraut sein mögen. Doch es bleibt ein Gefühl von Verfremdung, wie bei einem Musikstück, das man eigentlich anders kennt.