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Spiel auf Zeit

Deutschland hat sich ehrgeizige Klimaziele gesteckt: In zehn Jahren sollen 40 Prozent weniger CO2 ausgestoßen werden als 1990. 80 Prozent des gesamten Kohlendioxids, das Deutschland in die Atmosphäre bläst, entsteht bei der Produktion von Energie.

Von Philip Banse | 26.08.2010
    Angela Merkel: "Dies ist ein modernes, sehr sicheres und technisches sehr anspruchsvolles Kernkraftwerk. Es ist eines der Beispiele dafür, dass Kernenergie als eine Brückentechnologie auch für die Zukunft notwendig sein wird."

    Die Bundeskanzlerin am Mittag beim Besuch des Atomkraftwerks Emsland bei Lingen in Niedersachsen. Heute ist ihre Energiereise zu Ende gegangen: Zu den Stationen gehörten die Strombörse in Leipzig ebenso wie ein Windpark, eine Biomasse-Heizanlage, ein Kohlekraftwerk.

    "Ich mache diese Energiereise, weil sich die Bundesregierung entschlossen hat, auf einer rationalen Grundlage ein Energiekonzept für die nächsten Jahrzehnte zu entwickeln. Der Bundesumweltminister begleitet mich auf dieser Energiereise. Es geht uns darum, dass Energie in Deutschland als einem Energieland bezahlbar bleibt, dass Energie möglichst umweltfreundlich erzeugt wird und dass ein Industrieland wie Deutschland Versorgungssicherheit braucht."

    Offiziell sollte die Reise der Kanzlerin neue Erkenntnisse bringen.

    Tatsächlich galt es, schöne Bilder zu produzieren und den Eindruck: Alles läuft nach Plan. Die Bundesregierung arbeitet konzentriert an einem Energiekonzept für die nächsten Jahrzehnte, das Deutschland sicher und Klima schonend ins Zeitalter der grünen Energieerzeugung bringt. Doch die Kanzlerin könnte noch Wochen durch die Republik fahren - in Ruhe wird das Energiekonzept nicht das Licht der Hauptstadt erblicken.

    Allein der Zeitplan: Morgen sollen zwei vom Wirtschaftsminister beauftragte Forschungsinstitute ihre Modelle vorstellen, in denen es um den Energiemix der Zukunft geht. Dabei stehen die Auswirkungen längerer Atom-Laufzeiten auf die Strompreise, den Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen und die Einfuhr von Energie aus dem Ausland im Vordergrund. Fünf Tage später will das Kabinett beschließen, wie viel die Stromkonzerne für die Laufzeitverlängerung zahlen müssen und nur vier Wochen später, Ende September, soll er fix und fertig von der Regierung verabschiedet werden: der energetische Masterplan für das nächste Jahrhundert.

    "Wie das laufen wird, ist absolut unkalkulierbar. Mir scheint da ein ganz hohes Chaospotenzial zu stecken in diesem Prozess. Es gibt fünf, sechs, sieben hochbrisante Konfliktfelder zwischen den Fraktionen, innerhalb der Fraktionen, zwischen Politik und Industrie. Also wie man diesen Gordischen Knoten bis ende September lösen will, ist mir ein Rätsel","

    sagt Tobias Münchmeyer von Greenpeace. Zu viele Fragen sind noch offen, zu tief sind die Gräben selbst innerhalb des Regierungslagers: Umweltministerium gegen Ministerpräsidenten gegen Kanzleramt gegen Unionsfraktion. Besonders aus Baden-Württemberg wird der Atomskeptiker Norbert Röttgen bei jeder Gelegenheit heftig kritisiert - nicht nur vom Ministerpräsidenten Stefan Mappus. Thomas Strobl, CDU-Generalsekretär im Atom-Ländle:

    ""Das Geeiere muss jetzt ein Ende haben. Die Dinge müssen auf den Tisch gelegt werden, dann können wir in eine parlamentarische Debatte eintreten. Bisher waren die Beiträge aus dem Bundesumweltministerium nicht durchgehend geeignet."

    Es steht sehr viel auf dem Spiel: Deutschland hat sich ehrgeizige Klimaziele gesteckt: In zehn Jahren sollen 40 Prozent weniger CO2 ausgestoßen werden als 1990. 80 Prozent des gesamten Kohlendioxids, das Deutschland in die Atmosphäre bläst, entsteht bei der Produktion von Energie. Wer also CO2 vermeiden will, muss das Energiesystem komplett umbauen: Stromnetze, Strom-Speicher, Windkraftwerke auf dem Meer. Das kostet Milliarden. Um diese Summen aufzubringen, sollen auch die vier großen Energiekonzerne zur Kasse gebeten werden, das machte Bundeskanzlerin Angela Merkel auch heute zum Abschluss ihrer Energiereise noch einmal klar. Die Kraftwerksbetreiber fahren jährlich Milliardengewinne ein. Damit sich das nicht ändert, haben EON, RWE, EnBW und Vattenfall zu einer mächtigen Lobby-Offensive geblasen: Oberstes Ziel ist es, ihre atomgetriebenen Gelddruckmaschinen so lange wie irgend möglich am Netz zu halten. Und so dreht sich die aktuelle Debatte nicht um Netzausbau, Kohlekraftwerke, Stromspeicher oder Energiespar-Maßnahmen. Einziges Thema: der Ausstieg aus dem Atomausstieg.

    Noch aber gilt der Atomkonsens aus dem Jahr 2000: Den hatte die rot-grüne Bundesregierung beschlossen. Danach würde in etwa zwölf Jahren das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet werden. Die ältesten Meiler müssten bereits nächstes Jahr vom Netz.

    Die schwarz-gelbe Koalition will die Atomkraftwerke jedoch länger am Netz lassen. Sie sollen die Zeit überbrücken, bis Windparks, Sonnenkraftwerke und Biomasseanlagen genug Strom produzieren. Wie lang aber muss diese Brücke tragen? Darüber ist selbst die Union heftig zerstritten. Bundesumweltminister Röttgen sagt: acht Jahre, Baden-Württembergs Ministerpräsident und die Unionsfraktion sagen: 28 Jahre, die Stromriesen sagen: 15 Jahre plus X - und Angela Merkel sagt: nichts.

    Die Bundeskanzlerin will sich erst festlegen, wenn die Studie auf dem Tisch liegt, die im Auftrag des Wirtschaftsministeriums klären soll: Welche Laufzeitverlängerung ist besser für Klima, Haushalt und Wirtschaft: 8, 12, 20 oder 28 Jahre? Schon jetzt scheint aber ausgemacht: Klarheit werden die Berechnungen nicht bringen. Die Wochenzeitung "Die Zeit"hat einen Blick auf die geheimen Dokumente werfen können. Fazit der "Zeit":

    "Die Regierung hat von Anfang an versucht, das Ergebnis im eigenen Sinne zu beeinflussen. Der Wirtschaftsminister entschied, nur verschiedene Zeiträume einer Laufzeitverlängerung untersuchen zu lassen - nicht aber den generellen Sinn eines Ausstiegs vom Atomausstieg. Die vom Wirtschaftsministerium beauftragten Gutachter sollten legitimieren, was im Koalitionsvertrag steht. Wie Dokumente zeigen, haben die Gutachter längere Reaktorlaufzeiten daher geradezu schöngerechnet."

    Handelt es sich also bei den Gutachten nur um Alibi-Studien, die von vornherein nur eines belegen sollte: Laufzeitverlängerungen müssen sein? Der energiepolitische Sprecher der Unionsfraktion und Befürworter maximaler AKW-Laufzeiten, Joachim Pfeiffer, bestreitet das:

    "Es geht doch hier nicht darum, etwas schön zu rechnen. Jetzt lassen sie doch erstmal die Szenarien nicht von der Zeit vorstellen, sondern von denen, die sie berechnet haben und etwas davon verstehen."

    Doch auch die Wissenschaftler werden nichts Neues erzählen, vermutet Claudia Kemfert, die Energieökonomin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung:

    "Ach wissen Sie, es gibt ja zig Szenarien. Schon im letzten Jahrzehnt wurden Hunderte von Szenarien durchgerechnet: die Laufzeiten von Kernkraft, von Kohle, welche Strompreisauswirkungen das haben könnte. All dies wurde schon zig Mal vonseiten der Wissenschaft rauf und runter gerechnet. Ich habe mir ohnehin nichts von zusätzlichen Szenarien versprochen, weil ich wusste, da kann nichts Neues rauskommen."

    So wird der Streit um die Laufzeiten also weitergehen, bis Ende September. Dann soll das Energiekonzept der Bundesregierung vorliegen.

    Allerdings spricht einiges dafür, dass darin die Laufzeiten der Atomkraftwerke um maximal zehn Jahre verlängert werden, womöglich eher weniger. Grund sind Rechtsgutachten des Innen- und Justizministeriums, die die Frage klären sollten: Wie viele Jahre können die Kraftwerke länger laufen, ohne dass der Bundesrat zustimmen muss? Denn im Bundesrat hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr, längere Laufzeiten hätten in der Länderkammer keine Chance.

    Die Gutachten der beiden Verfassungs-Ministerien kommen nach Angaben der Süddeutschen Zeitung zu unterschiedlichen Ergebnissen. Laut Bundesinnenministerium sind ohne Bundesrat maximal 10 Jahre machbar; das Justizministerium hält ohne Zustimmung der Länderkammer gar nur eine Verlängerung um 2 Jahre und vier Monate für "verfassungsfest". Zwischen zwei und zehn Jahren, irgendwo dazwischen wird die Laufzeitverlängerung wohl liegen - wenn die Klagen abgewiesen werden.

    Denn klagen will die Opposition in jeden Fall, wenn der Bundesrat nicht gefragt wird - egal wie viele Jahre die AKWs länger am Netz bleiben dürfen.

    Aber nicht nur die Laufzeitverlängerungen an sich sind heftig umstritten. Völlig ungeklärt sind auch die Rahmenbedingungen, unter denen die Atommeiler länger laufen dürften.

    Im Zentrum steht die Frage: Wie viel müssen die Stromriesen bezahlen für ihre Laufzeitverlängerung? Eigentlich hatte die Regierung ein klares Konzept, wie die Konzerne zur Kasse geben werden sollen. Teil eins: Abschöpfung der Zusatzgewinne bei einer Laufzeitverlängerung.

    Wenn die Atomkraftwerke länger als heute erlaubt am Netz bleiben, verdienen die Betreiber Milliarden: Die AKWs sind längst bezahlt und abgeschrieben und sind de facto atomgetriebene Gelddruckmaschinen.

    "Wir gehen aus von einer Größenordnung von fünf bis sieben Milliarden Euro Zusatzgewinne pro Jahr aus für die Konzerne. Das ist eine Hausnummer, mit der man hier auch rechnen kann","

    schätzt die Energieökonomin Claudia Kemfert. Bleiben die AKWs also zehn Jahre länger am Netz, spült das den Betreibern bis zu 70 Milliarden Euro in die Kassen. Von diesen Zusatzgewinnen will die Regierung einen dicken Batzen abhaben, das hat sie im Koalitionsvertrag festgelegt. Mit dem Geld sollen erneuerbare Energien finanziert werden: neue Stromnetze, Stromspeicher, Energiesparprogramme. Das Problem: Dieses Geld fließe erst in etwa 13 Jahren, mit Beginn der Laufzeitverlängerung.

    Die zweite Geldquelle, die die Regierung erschließen will, ist erst einmal völlig unabhängig von einer Laufzeitverlängerung. Die Brennelemente-Steuer - erhoben auf verbrauchtes Uran. Sie soll kommende Woche beschlossen werden und den Haushalt sanieren. 2,3 Milliarden jedes Jahr - nicht in 13 Jahren, sondern schon ab Januar.

    Gewinnabschöpfung für erneuerbare Energien und Steuer für den Haushalt - Irgendwie ist es der Atombranche gelungen, diese beiden Geldquellen in einen Topf zu werfen und klein zu mahlen. Aus zwei Zahlungen will sie eine machen und die soll auf keinen Fall eine Steuer sein, sagt E.ON-Chef Johannes Teyssen:

    ""Diese Steuer wäre rechtlich problematisch und im schlimmsten Fall könnte sie sogar zu einer Laufzeitverkürzung führen und damit eine gute Energiepolitik vereiteln."

    Eine Steuer fürchten die Konzerne, weil man Steuern auch erhöhen kann. Außerdem müssten E.ON, RWE und Co. die Brennelemente-Steuer auch zahlen, wenn ihre AKW wie geplant in 13 Jahren vom Netz gehen. Die Konzerne hätten also nur gezahlt, keine zusätzlichen Gewinne eingestrichen. Den Energiekonzernen schwebte deshalb eine andere Lösung vor: Mindestens 15 Jahre Laufzeitverlängerung gegen 30 Milliarden Euro Einmalzahlung, die aber sofort - klingt gut - für den Haushalt. Die Konzerne hatten aber noch weitergedacht: Basis für den Deal solle kein Gesetz sein, das man ja auch wieder abschaffen könnte, sondern ein Vertrag, aus dem der Staat zwar aussteigen kann - dann aber mit hohen Schadenersatzforderungen rechnen muss. RWE-Sprecher Volker Heck:

    "Das ist natürlich keine leichte Diskussion, denn die Kernkraftwerksbetreiber sagen, wir können nur etwas leisten - auch vor dem Hintergrund des Aktienrechts - was Mehrerlöse abschöpft aus einer Laufzeitverlängerung. Dafür bräuchten wir auch Zusagen der Bundesregierung, dass diese Laufzeitverlängerung auch stattfindet, sonst kann man nicht auf die geplanten Erlöse aus einer Laufzeitverlängerung heute schon Geld bezahlen."

    Brennelemente-Steuer oder Vertrag - darüber haben Atomkonzerne und Finanzministerium lange verhandelt, hinter verschlossenen Türen. Viele Beobachter waren fassungslos: Wie konnte die Regierung längst beschlossene Finanzierungsmodelle wieder zur Disposition stellen, noch dazu in Geheimverhandlungen?

    Auch die Opposition tobte. Die Regierung verkaufe AKW-Laufzeiten und Sicherheitsanforderungen hinter dem Rücken des Parlaments, klagte Renate Künast, die Fraktionsvorsitzende der Grünen:

    "Man fragt sich schon, wer dieses Land eigentlich regiert? Diese Wirtschaftsbosse oder eine Bundesregierung. Deswegen erwarte ich, dass die Bundeskanzlerin mal ein klares Wort spricht."

    Doch die will sich erst Ende September festlegen. Mittlerweile scheint die von den AKW-Betreibern gewünschte Vertragslösung vom Tisch, berichtet die Financial Times Deutschland. Eine gesetzliche Regelung sei die bessere Lösung, heißt es aus Koalitionskreisen.

    Doch kaum scheint das eine Problem gelöst, ist der nächste Streit schon im Gange: Wofür sollen die jährlich 2,3 Milliarden Euro aus der Steuer ausgeben werden? Umweltminister Norbert Röttgen, CDU:

    "Die Brennelemente-Steuer dient der Sanierung für Asse, einige Milliarden kann das werden. Und sie dient der Konsolidierung des Haushaltes."

    Von der Sanierung des maroden Atommülllagers Asse reden Finanzminister Schäuble und Angela Merkel jedoch nicht.

    Angela Merkel: "Was also die Brennelemente-Steuer anbelangt, das geht in den Haushalt. Wir werden aber natürlich schauen, wie können wir auch Spielräume für erneuerbare Energien festlegen, aber da gibt es bisher keine Summen."

    Dass die Bundeskanzlerin dabei an eine weitere Abgabe neben der Brennelementesteuer denkt, machte sie auch bei ihrem heutigen Besuch in Lingen wieder klar. Die verlangt auch Umweltminister Norbert Röttgen. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, FDP dagegen hält eine Gewinnabschöpfung bei Laufzeitverlängerung für unnötig. Die Diskussion geht weiter, beschlossen wird das erst Ende September.

    Für viel Streit wird auch noch sorgen, ob und wie die Energiekonzerne ihre AKW nachrüsten müssen, wenn sie länger am Netz bleiben dürfen.

    Der Atomkompromiss zwischen Staat und Energiekonzernen aus dem Jahr 2000 besagt nämlich auch: Ihr nehmt die AKWs 2023 vom Netz, dafür fordern wir nicht dauernd sicherheitstechnische Nachrüstungen. Wenn dieser Kompromiss jetzt aufgekündigt wird und die AKWs länger laufen, müssten die AKWs nachgerüstet werden. Das könnte bis zu 50 Milliarden Euro kosten, sagte EnBW-Chef Hans-Peter Villis dem Handelsblatt. Ob und in welchem Umfang solche Nachrüstungen verlangt werden und ab wie vielen Jahren Laufzeitverlängerung - auch das eine offene Frage, sagt Tobias Münchmeyer von Greenpeace:

    "Das Wirtschaftsministerium will da praktisch gar nichts, das Bundesumweltministerium ist da durchaus anspruchsvoll was sie als Mindestbedingungen sehen- also auch das eine weitere offene Frage."

    Erst jetzt versucht die Kanzlerin, auch ihre eigenen Reihen in den Griff zu bekommen. Einen Monat noch hat sie nach ihrem eigenen Fahrplan Zeit, dann sollen alle Interessen unter einen Hut und das Energiekonzept zu Papier gebracht sein.

    Erste Eckpunkte daraus sind schon bekannt geworden. Die FAZ zitiert aus einem Arbeitspapier des Bundesumweltministeriums, das noch nicht mit anderen Ressorts abgestimmt wurde.

    In 40 Jahren soll Strom demnach zu 80 Prozent aus regenerativen Quellen stammen - heute liegt der Öko-Strom Anteil bei 16 Prozent. Dieses enorme Wachstum grüner Energie soll vor allem erreicht werden mit Windrädern, sie sollen besonders gefördert werden. Noch gibt es allerdings ein Problem: die Versorgungssicherheit, das stärkste Argument der Atombefürworter. Erst wenn genug Öko-Strom zur Verfügung steht und dieser immer dort zu haben ist, wo er gebraucht wird, erst dann könne man darüber reden, Atomkraftwerke abzuschalten.

    Das ist in der Tat ein Problem. Denn der mit Abstand meiste Ökostrom wird auf dem Meer produziert werden, von Windrädern in Nord- und Ostsee. Auf dem Meer aber wird der Strom nicht gebraucht, sondern vor allem in Süddeutschland. Für einen schnellen Atomausstieg müssen die Stromnetze daher dringend ausgebaut werden, sagt Holger Krawinkel, Energieexperte beim Verbraucherzentrale Bundesverband:

    "Um vor allem die Windkraftlagen in das Stromsystem zu integrieren, brauche ich ein völlig anderes Stromnetz. Das muss aufgebaut werden, da gibt es die notwendigen Untersuchungen, aber zu wenige Leitungen, die gebaut werden. Darum hat sich die Politik viel zu wenig gekümmert. Es gibt Akzeptanzprobleme. Fast überall, wo solche Leitungen gebaut werden, gibt es örtlich Widerstände, die müssen überwunden werden. Und möglicherweise muss auch das Planungsrecht gestrafft werden, damit diese Leitungen gebaut werden."

    Die Stromnetze sollen laut Papier des Umweltministeriums ausgebaut werden, Details bleiben aber offen. Das zweite große Problem für die Versorgungssicherheit mit Öko-Strom: Energie aus Wind und Sonne fließt sehr unregelmäßig und selten dann, wenn sie die Verbraucher benötigen. Deswegen muss massiv in neue Stromspeicher-Techniken investiert werden. Das Arbeitspapier des Umweltministeriums skizziert eine Art intelligentes Stromnetz. Windräder, Strom-Speicher, Verbraucher und Stromnetze kommunizieren und regeln so Nachfrage und Verbrauch.

    Ein weiterer wichtiger Pfeiler eines Energiekonzepts muss das Energiesparen sein, fordern Umweltverbände. Denn je weniger Energie verbraucht wird, desto weniger Energie muss produziert werden, desto eher kann man auf Atom- und Kohlekraftwerke verzichten. Deswegen soll nach den Plänen des Umweltministeriums der Energieverbrauch bis 2050 um die Hälfte sinken. Dafür sollen auch die Anbieter verantwortlich sein: Sie sollen jedes Jahr 1 Prozent weniger Strom verkaufen müssen. Vor allem bei Wohngebäuden lässt sich sehr viel Energie sparen, etwa mit besserer Dämmung und neuen Heizungen. Das Umweltministerium will deshalb strengere Vorschriften für die energetische Sanierung erlassen. Derzeit plane die Bundesregierung jedoch das genaue Gegenteil kritisiert Lukas Siebenkotten vom Deutschen Mieterbund:

    "Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm muss zumindest auf dem Stand von etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr gehalten werden. Der derzeitige Vorschlag der Bundesregierung möchte eine Kürzung auf 450 Millionen im Jahr vornehmen - das ist bei Weitem zu wenig."

    Viele offene Fragen also, die Angela Merkel bis Ende des Monats klären, viele politische Gräben, die sie in wenigen Tagen zuschütten, zumindest überbrücken muss.