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"Spiel mit dem Feuer"

Rund 1,8 Millionen Kurden leben in Syrien, die meisten von ihnen im Nordosten entlang der Grenzen zur Türkei und zum Irak. Mit einem Bevölkerungsanteil von 10 Prozent stellen sie die größte Minderheit des Landes. Die Regierung von Präsident Bashar Al Assad fürchtet nun, dass die gut organisierten Kurden nach Autonomie streben, um langfristig einen eigenen Staat zu gründen. Derartig unter Druck reagiert das Regime in Damaskus zusehends nervös. Kristin Helberg berichtet.

24.09.2005
    Auf den ersten Blick sieht es in Qamishli aus wie in anderen syrischen Städten: Bilder des Präsidenten, arabische Straßennamen, arabische Geschäfte. Nur wer genau hinhört, sieht das andere Qamishli: Der Falafelverkäufer spricht Kurdisch, der Küchenwarenhändler Assyrisch und Abu Albert, Qamishlis letzter Jude, spricht Hebräisch, zumindest, wenn er dazu Gelegenheit hat. Qamishli ist eine kosmopolitische Provinzstadt. Die Vielfalt ihrer Einwohner sorgte bis vor kurzem für Toleranz. Inzwischen seien jedoch Feindseligkeiten zu spüren, sagt Ibrahim al Youssef, ein kurdischer Intellektueller:

    "Bevor die Baathpartei kam, haben Araber, Assyrer, Kurden und Juden problemlos zusammengelebt. Sie alle haben diese Stadt erschaffen und die Gegend geprägt. Aber wenn die Baathpartei sagt, hier gibt es nur eine Kultur und Zivilisation, nämlich die arabische, dann ist klar, dass ich mich als Kurde dagegen wehre."

    Al Youssef fühlt sich unterdrückt. In der Schule, in der er als Lehrer unterrichtet, darf er kein Kurdisch sprechen, kurdische Zeitungen und Bücher seien verboten, so Al Youssef. Auch politisch könnten sich Kurden nicht engagieren, erklärt Mashaal Tammo von der Zukunftsbewegung, einer von insgesamt 13 kurdischen Organisationen, die im Untergrund arbeiten. Tammo fordert kulturelle und politische Gleichberechtigung: kurdischen Sprachunterricht in den Schulen, eigene Medien und Parteien:

    "Bis heute habe ich nicht das Gefühl, zu Syrien zu gehören, denn die Baathpartei beansprucht alles für sich. Die Sprache ist Arabisch, Namen müssen arabisch sein, die arabische Republik, das arabische Vaterland, die arabische Einheit, da bleibt nichts für mich."

    Die mehr als 150.000 staatenlosen Kurden fühlen sich nicht nur ausgeschlossen, sie sind es per Gesetz. Ahmad ist einer von ihnen. Er wohnt in einem einfachen Lehmhaus in Qamishlis Armenviertel zusammen mit seinen Eltern und acht Geschwistern. Die Familie stammt aus Qamishli, aber 1962 nahm die syrische Regierung Ahmads Vater und Zehntausenden anderen den Pass ab und machte ihn dadurch zum Ausländer. Obwohl Ahmads Mutter die syrische Staatsbürgerschaft besitzt, sind alle neun Kinder staatenlos. Statt eines Passes hat der 21-Jährige eine rote Identitätskarte aus Pappe:

    "Das ist der Ausweis für die Ausländer, darauf steht mein Name, mein Geburtsdatum, die Adresse. Damit kann ich nach Damaskus oder Aleppo fahren, aber nicht das Land verlassen. Ich kann nicht an der Uni studieren, nicht im Hotel übernachten, nicht beim Staat angestellt werden und kein Haus oder Laden auf meinen Namen anmelden."

    Ahmad sitzt zuhause und schämt sich, seine Mutter um das Geld für ein Päckchen Zigaretten zu bitten. Er findet keinen Job. Sein Vater hat einen Handkarren, mit dem er durch die Straßen zieht und belegte Brötchen verkauft. 150.000 chancenlose Kurden wie Ahmad sind ein Problem für Syrien, das hat die Baathpartei erkannt. Auf ihrem Kongress Anfang Juni beschloss sie deshalb, einen Teil von ihnen einzubürgern. Bislang ist jedoch nichts passiert. Die Folge: Syriens Kurden werden immer kurdischer, viele bezeichnen die Region um Qamishli bereits als kurdisches Land. Mohammed Nimur Al Numur, der Gouverneur der Provinz, ist empört:

    "Die Kurden kommen aus der Türkei und behaupten, sie seien von hier. Wir nehmen sie auf und behandeln sie wie Bürger und dann sagen sie, das Land hier sei Kurdistan."

    Tatsächlich hätten in dieser Gegend schon immer Kurden gelebt, entgegnet der syrische Menschenrechtsaktivist Nidal Darwisch. Allerdings bereitet der wachsende kurdische Nationalismus auch ihm Sorge:

    "Ich kann nicht mit einer rassistischen Ideologie den Rassismus des anderen bekämpfen. Ich muss demokratische Lösungen finden, um das Zusammenleben zu fördern. Den anderen abzulehnen und zurückzuweisen hilft uns nicht beim Aufbau Syriens."

    Abdelhamid Darwisch sieht das ähnlich. Der 69-jährige Generalsekretär der Kurdisch-Demokratischen Fortschrittspartei arbeitet deshalb eng mit der arabischen Opposition zusammen. Seine Anhänger gehen nur dann auf die Strasse, wenn sich auch Araber an der Demonstration beteiligen. Rein kurdische Aktionen lehnt Darwisch ab:

    "Wer in Syrien heutzutage eine kurdische Fahne schwenkt, dient nur der Baathpartei. Damit gibt er den Behörden einen Vorwand, die Kurden zu verprügeln."

    In Wirklichkeit hätten Leute wie Darwisch Angst vor dem Regime, entgegnet Hassan Saleh von der Yekiti-Partei. Die Yekiti gilt als die radikalste der kurdischen Gruppen. "Die anderen reden nur, wir handeln", sagt Saleh:

    "Yekiti hat den Kreislauf der Angst durchbrochen und das kurdische Volk aktiviert. Dieses Regime wird uns nie etwas von alleine geben, wir müssen dafür kämpfen."

    Dieses kurdische Selbstbewusstsein und die damit verbundenen innenpolitischen Ambitionen sind für Syrien neu. Jahrzehnte lang unterstützte Damaskus die Kurden, denn diese waren ein willkommenes Druckmittel gegen die Türkei und den Irak: Um die Feinde in Ankara und Bagdad zu schwächen, half Syrien kurdischen Widerständlern wie PKK-Chef Öcalan und Iraks Kurdenführer Barazani. Jetzt werden die Karten neu gemischt. Menschenrechtler Nidal Darwisch:

    "Seitdem Syrien und die Türkei sich angenähert haben und Saddam Hussein entmachtet ist, ist das Spiel mit den Kurden aus. So ist aus einer Frage der nationalen Sicherheit ein innenpolitisches Problem geworden."

    In ihrem Widerstand gegen das syrische Regime teilen sich die Kurden in zwei Fraktionen. Die eine sieht die Kurden als Speerspitze der Opposition und Schlüssel zur Demokratie in Syrien. Erst wenn die Kurden ihr Recht bekämen, könne es überhaupt Demokratie geben, meint ihr Vertreter Hassan Saleh. Die andere Fraktion will zusammen mit den arabischen Oppositionellen für mehr Demokratie kämpfen. Dadurch werde sich das Kurdenproblem von alleine lösen, so Abdelhamid Darwisch von der gemäßigten kurdischen Fortschrittspartei:

    "Zusammen kann das syrische Volk vielleicht etwas bewirken, aber die Kurden alleine können das Regime nicht verändern. Wenn wir alleine agieren, wird uns das Regime zerstören."

    Um die Kurden zu isolieren, hetzten Geheimdienstmitarbeiter die Menschen gegeneinander auf, sagt Mashaal Tammo von der Zukunftsbewegung. Offensichtlich mit Erfolg: Kurdische Proteste arten inzwischen regelmäßig zu Kämpfen zwischen Kurden und Arabern aus. Am Ende gibt es zerstörte Geschäfte, Verletzte, sogar Tote. Statt gemeinsam gegen das Regime zu opponieren, bekämpften sich die Syrer untereinander, so Tammo:

    "Früher haben uns Polizisten oder Soldaten verhaftet. Heute schicken sie meinen Nachbarn, damit er mich verprügelt. So entfachen sie einen Bürgerkrieg zwischen Kurden und Arabern – das ist ein Spiel mit dem Feuer, ein sehr gefährliches Spiel."