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Spiel mit der Maske
Vom Gesichtverhüllen in den Kulturen

Im Karneval ist die Maske das i-Tüpfelchen einer perfekten Kostümierung. Das Spiel mit ihr fasziniert die Menschheit seit Jahrtausenden. Es gibt sie in allen denkbaren Variationen, und ihre Funktionen sind ähnlich vielfältig: Die Maske kann verhüllen, verschleiern oder offenbaren.

Von Nico Rau | 27.02.2014
    "Eine Maske verrät uns mehr als ein Gesicht" - Oscar Wilde.
    "Erstaunlich, dass der Mensch nur hinter seiner Maske ganz er selbst ist" - Edgar Allan Poe.
    "Wer nicht weiß, dass er eine Maske trägt, trägt sie am vollkommensten" - Theodor Fontane.
    Das Spiel mit ihr fasziniert die Menschheit seit Jahrtausenden: Die Maske ist eines unserer ältesten Kulturerzeugnisse. Vor 33.000 Jahren fertigten Neandertaler die Maske von La Roche-Cotard - ein grobes, dreieckiges Gesicht aus Feuerstein. Wozu ist nicht bekannt. Doch eines ist klar: Wir haben das innere Bedürfnis, verschiedene Facetten unserer Identität auszuprobieren, die wir sonst unterdrücken, sagt Psychoanalytiker Wolfgang Oelsner. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Karneval und Maskerade:
    "Im Schauspiel können wir das spielerisch tun, im Ritual in den Religionen, bei dem Schamanentum kann man das auf sehr rituellem Niveau tun. Es sind Seiten in uns, die im Alltag zwangsläufig still bleiben müssen. Die aber immer wieder klopfen und nagen und weil das ein menschliches Grundbedürfnis ist, macht sich das zu allen Zeiten in allen Kulturen breit, weil der Mensch so mehrdeutig angelegt ist."
    Die Maske als Bestandteil ritueller Bräuche erfüllt dabei ganz unterschiedliche Funktionen. Auf Bali beispielsweise verkörpert das löwenähnliche Wesen Barong das Gute und Rangda, die Dämonengöttin, das Böse. Der ewige Kampf zwischen beiden wird zu besonderen Anlässen in einem Maskentanz dargestellt. So auch, als vor einigen Jahren Bombenattentate Bali erschütterten, erklärt Ethnologin Clara Himmelheber vom Rautenstrauch-Joest Museum in Köln:
    "Dann hatten die Leute das Gefühl, jetzt ist der Kosmos aus dem Gleichgewicht. Und dann treten Barong und Rangda auf und es kommt zu rituellen Kämpfen zwischen den beiden, wobei letztlich keiner von beiden als Gewinner hervorgeht. Und dann haben die Leute wieder das Gefühl, sie sind gleich stark die beiden Kräfte und der Kosmos ist wieder im Gleichgewicht."
    Auf Sri Lanka verkörpern Dämonenmasken diverse Krankheiten. Eine Maske hat beispielsweise ein triefendes Auge - symbolisch für ein Augenleiden. Eine andere: schiefe Gesichtszüge - wie nach einem Schlaganfall. Ist ein Gemeindemitglied so krank, dass kein Arzt mehr Hilfe weiß, führt der Priester ein Ritual durch. Er trägt dabei Kostüm und Maske des Dämons, der die Krankheit hervorgerufen haben soll.
    Dem Bösen ein Gesicht geben
    Clara Himmelheber: "Der Kranke wird geschützt durch zwei Männer, die diese Maske dann abwehren. Die Maske versucht dann, diese zwei Männer zu bestechen und will die füttern, aber die weiß nicht so richtig, wie so Menschen zu füttern sind und tut denen dann irgendwie eine Kokosnuss auf den Kopf legen, statt in den Mund. Es ist wie ein kleines Schauspiel und der Kranke ist immer im Hintergrund, und außen rum ist die ganze Gemeinschaft, die kichert, wenn der Dämon wieder etwas Dusseliges macht."
    Wir geben dem Bösen ein Gesicht, um uns mit ihm vertraut zu machen. So binden wir unsere Angst. Identifikation mit dem Aggressor, heißt das in der Psychologie. Eine andere Identifikation findet in der Popkultur statt. Auch hier gibt es diverse Maskenträger: Ob Kiss, David Bowie, Slipknot oder Cro, das Konzert ist eine Art kultisches Ritual - Fans und Musiker bilden eine eingeschworene Gemeinschaft. Psychoanalytiker Wolfgang Oelsner:
    "Es dient der Steigerung. Es dient der Optimierung der Botschaft, die im Text, der Musik ohnehin enthalten ist, gibt auch noch so einen Exklusivitätswert und schützt vor allem den Darsteller auch."
    Zum Beispiel davor, an der Supermarktkasse von Fans erkannt zu werden. Den Wunsch, uns zu maskieren, vergleicht Oelsner mit der sogenannten magischen Phase in der Entwicklung eines Kindes. Das Kind ist sich dann sicher: Was es selbst tut und denkt, ist eine wichtige Ursache dafür, dass Dinge passieren. Wir Erwachsenen aber müssen uns ständig rational und vernünftig verhalten. Doch manchmal kehren wir zurück.
    Wolfgang Oelnser: "Und Reste davon zeigen sich im ganzen Leben hindurch, in dem wir - gerade an den Schwellensituationen des Lebens - gelegentlich regredieren zurückgehen auf frühere Entwicklungsstufen und dann noch einmal so tun, als wie die Kinder. Das hat etwas ungemein Tröstliches und Stabilisierendes."
    Schriftsteller Heinrich Böll weist allerdings darauf hin:
    "Wer den Mut hat zur Maske, muss den Mut haben, sich zu demaskieren: einen einzigen, sehr kurzen Augenblick lang sein Gesicht wirklich zu zeigen."