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Spiel um Macht und Loyalität

In den amerikanischen Medien ist nach den Präsidentschaftswahlen nahezu Ruhe eingekehrt. Doch genau in dieser Zeit bringt das Atlantik Theater in New York Beau Willimons neues Stück "Farragut North" auf die Bühne - einen Thriller um Wahlkampfmanager, Umfragewerte und dem häßlichen, aber aufregenden Spiel um Macht und Loyalität.

Von Andreas Robertz |
    Ein blauer Raum wie ein Fernsehstudio, über dessen Wände in der Dunkelheit der Szenenübergänge das mittlerweile so vertraute Medienfeuerwerk aus Politikerbildern und den neusten Umfragewerten mit der Landkarte des gerade aktuellen Bundesstaates flimmert, und eine Geschichte, die einem zwar seltsam bekannt vorkommt, aber trotzdem gut funktioniert - so könnte man den zweistündigen Abend im Atlantik Theater beschreiben.

    "Farragut North" ist die Geschichte eines jungen ehrgeizigen Parteifunktionärs, der sich in wenigen Jahren mit Charme und Kalkül eine beispiellose Karriere als Pressesekretär eines demokratischen Präsidentschaftskandidaten aufgebaut hat. Als er durch Unvorsichtigkeit ein Spielball konkurrierender Lager wird, verwandelt sich der scheinbar alles im Griff habende jugendhafte Held in einen machtgierigen Intriganten, der lieber das gesamte Wahlkampfteam zerstört, als sich aus dem Rennen drängen läßt.
    Regisseur Doug Hughes hat gut daran getan, "Farragut North" mit rasend schnellen Szenenwechseln und aufpeitschender Musik in der Machart der TV-Kultserie "24" in hohem Tempo zu inszenieren, so dass man nicht so genau auf die häufig klischeehaften Dialoge achtet. Trotzdem erinnert das ganze sehr an Schwarz-Weiss Filme der 50er Jahre mit Tony Curtis and Burt Lancaster, in denen der "toughe", skrupellose Machtmensch portraitiert wird und Dialoge wie: "You shouldn’t like me, Molly. I’m not a good person" - "So am I", oder "I trusted you" - "You shouldn’t, I’m a bad guy" erfunden wurden.

    Vielleicht ist "Farragut North" eine Erinnerung, dass sich mit dem letzten Wahlkampf nicht wirklich etwas an den ewig gleich bleibenden Mechanismen der Macht verändert hat. Nur der Fluss der Informationen ist schneller geworden - das ganze Stück spielt innerhalb von zwölf Stunden -, und die Mittel der Manipulation haben sich durch Internet und Handy verfeinert.

    Aber da ist etwas in dem Spiel des Hauptdarstellers John Gallagher, Jr., der auch Moritz Stiefel in der preisgekrönten Broadwayproduktion "Frühlings Erwachen" spielte, das irritiert und nachdenklich macht. Wirkt er doch immer dann authentisch, wenn er mit der Presse spricht oder offensichtlich lügt, um an bestimmte Informationen zu kommen, während er stottert und völlig unglaubwürdig wirkt, wenn er sein Gegenüber davon zu überzeugen sucht, dass er die Wahrheit sagt.

    Er spielt einen Menschen, der überhaupt keine eigene Identität hat und nur eines kann: gut funktionieren und das System manipulieren. Lüge wird zur Wahrheit, Spontaneität wird zum Fremdwort und emotionale Verwundbarkeit zum Alptraum. So bleibt ihm am Ende nur das übermäßige Gefühl der Rache, das er nicht mehr zu kontrollieren weiß und seine ehemaligen Mitstreiter in den Abgrund zieht.

    Seine Figur macht Farragut North doch zu mehr als nur einen sehr unterhaltsamen Theaterabend, sie wirft einen beängstigenden Schatten auf die nächste Generation von jungen Politikern, denen Lügen zur zweiten Haut geworden ist. Das wäre eine Paraderolle für Tom Cruise, der immer dann am besten ist, wenn er eine Figur spielen muss, die lügt. Aber Warner Brothers hat den Stoff bereits für Leonardo DiCaprio und George Clooney reserviert.