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Spielen mitten auf der Straße

In New York entdeckten vor einigen Jahren Menschen einen kindlichen Zeitvertreib: das Spielen auf der Straße. Inzwischen ist die Streetgames-Community in Metropolen auf der ganzen Welt aktiv. In Berlin treffen sie sich nun bei der Playpublik.

Von Monika Hebbinghaus | 09.08.2012
    Wassereimer, in denen Pingpongbälle schwimmen, bunte Plastikbecher, Gartenschläuche, Wasserpistolen. Und lauter herumalbernde Menschen. Auf einem Parkplatz neben dem Computerspielemuseum in Friedrichshain sieht es auf wie auf einem Kindergeburtstag. Aber das täuscht. Dies sind Spielentwickler bei einem "Game Storm" – einem Brainstorming, bei dem neue Spiele entwickelt werden - durch wildes Ausprobieren.
    Hier sollen jetzt Spiele rund ums Thema Wasser entwickelt werden – eine Spielmechanik und auch die Geschichte dazu, erklärt Organisator Kevin Blank den Spielern aus aller Welt:
    "The big topic for today's game will be water. Every team will get one specific piece of equipment, which should be the center of your game. And the goal today is not only game mechanics, but also put them into a narrative – so, what are you doing in the game.”"

    Straßenspiele sind seit Jahrhunderten Teil unserer Kultur. Doch während Kinder heute kaum noch zum Spielen auf die Straße dürfen, entdecken seit einigen Jahren Erwachsene ihre Lust am "Draußenspielen". Sie tun es mit Smartphones, aber auch mit Kreide. Sie spielen mit Hirnwellenmessern, aber auch mit Plastikbällen. Sie nutzen WiFi-Zonen, aber auch Luftballons. Technik und Alltag werden eins. Entstanden ist das Ganze in den USA. Dort ging es am Anfang darum, Computerspiele in die reale Welt zu verlegen. So wurde 2004 in New York aus dem Spieleklassiker Pacman Pacmanattan.
    ""Wo Spieler dann ausgerüstet mit Handys als Gespenster und Pacman durch Manhattan gelaufen sind, ihre Position durchgegeben haben, unsichtbare Münzen aufgesammelt haben. Das Spannende ist aber: Was passiert dann? Was für Seiteneffekte hat das? Das ist plötzlich ein Spektakel, das auch andere Leute sehen können, das findet also in einer Form von Öffentlichkeit statt. Es ist aber auch so, dass man als Spieler viel mehr erlebt von der Stadt, als wenn man jetzt Pacman spielt."
    Sebastian Quack ist einer der Gründer von "Invisible Playground". Das Ziel des Berliner Künstlerkollektivs: die ganze Stadt zur Playstation zu machen. Die städtische Infrastruktur wird dabei Teil des Spiels: Verkehrssysteme, Ampelschaltungen oder Passantenströme. Die Spieler "hacken" das System, indem sie es kreativ umnutzen. Dabei entstehen neue, überraschende Momente, die die Performancekünstlerin Wilma Renfordt besonders interessieren.
    "Ich laufe wo lang, plötzlich ist da was, wo ich denke – Moment, was ist das? Ist das jetzt Alltag oder ist es Kunst oder ist das ein Spiel? Ist das was, wo ich mitmachen soll oder wo ich mitmachen will? Ist das was, wo ich stehen bleibe und gucke? Also, dass in diesen normalen Ablauf von 'Ich fahre mit dem Fahrrad nach Hause und will einfach nur so schnell wie möglich nach Hause so eine Irritation reinkommt, die mich auffordert, mich zu der Situation zu verhalten."
    Streetgames, Urban Hacktivism, Intervention – egal, welchen Begriff man verwendet, es geht den Machern vor allem um eines: soziale Prozesse in der Stadt aufzumischen oder erst anzuregen. Das Besondere daran: Man hat sein Spielfeld - anders als im Computer - nicht unter Kontrolle, sagt Sebastian Quack:
    "Sondern es geht darum, während des Spiels offen zu sein für die Welt, die das Spiel trägt und ermöglicht. Für die Blicke, die das Spiel eröffnet nach draußen. Gerade hier in der Karl-Marx-Allee ist das unheimlich reizvoll zu spielen. Weil man diesen seltsamen postutopischen Raum hier mit neuen Ideen, neuen Utopien füllt, die dann für kurze Zeit so eine gigantomanische Kulisse bekommen."
    Die sowjetischen Prunkbauten hier passen besonders gut in das Spiel, das Lena Mechtchanova aus Weißrussland für das Festival entwickelt hat.
    Es ist ihre Version von Räuber und Gendarm: Demonstranten gegen Geheimpolizisten.
    ""Actually, you are a group of people who want to get to a demonstration. But you don't know where it is. But – there is a secret police in here as well.”"
    Die Spieler wissen nicht, wo die Demo stattfindet. Als Passanten auf der Straße versuchen sie per Augenkontakt, ihr Mitstreiter zu finden – ohne dabei dem Geheimdienst in die Hände zu fallen. Während des Spiels erfahren sie viel über die aktuelle Situation in Weißrussland unter Machthaber Lukaschenko.
    Die politische Situation in Weißrussland ist so absurd, dass ein Spiel genau der passende Weg ist, um Menschen darüber aufzuklären, meint Spielentwicklerin Lena Mechtchanova.
    ""I want to inform people. For now, it's Belarus, but I would like to do a kind of environmental game about wasting food. It's a good way to inform people, because they don't just read it, or hear it, but experience it. And so they will remember it.” "
    In Zukunft will Lena auch Umweltthemen durch Streetgames umsetzen. Wenn man etwas spielt, erinnert man sich besser daran, als wenn man nur darüber liest, meint sie. Das ist wirklich mehr als Kindergeburtstag.

    Weiterführende Links:
    www.playpublik.de
    www.urbanophil.net
    www.urbanshit.de
    www.urbanaut.org