Freitag, 03. Mai 2024

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Spielzeitauftakt in Bochum

Um es gleich zu sagen: Mit diesem Peer Gynt hat Jürgen Gosch seinem Projekt, die über hundertjährigen Stücke aber so was von von heute zu lesen, noch eins draufgesetzt. Die Sprache des "dramatischen Gedichts" von Ibsen hat höchstens noch Signalcharakter. Hier mal ein Reim, da mal ein Name. Sonst: Halbstarken-Pöbeleien: "Ja, ich werd Kaiser, bau 'ne Rakete, schieß mich ins All". Oliver Stokowski ist der große Junge, der seine Geschichten, an die er selbst wohl glaubt, nicht erzählt, sondern körperlich formt. Er ist Muttersöhnchen und aggressiver Phantast in einem, sein "Hotel Mama" ein großer schwarzer Bühnenkasten, vor dem ein etwas kleineres Rechteck mit Schnüren abgespannt ist. Am Boden liegt Schnee. Dieser leere Raum wird von nichts anderem bespielt als den Schauspielern, die mit wenigen Requisiten, langen Ästen beispielsweise, lebendige Bühnenbilder zaubern. Einen Weidezaun samt Getier; die Häuslerhütte; das Sterbebett der Mutter; das Schiff, mit dem Peer zurück kommt.

Von Karin Fischer | 03.10.2004
    Zuletzt hat man solch poetischen Theaterzauber in John Bergers "Die drei Leben der Lucie Cabrol" des permanent unterfinanzierten Münchner Metropoltheaters gesehen. Wunderbar leicht wird in diesem "armen Theater" in Bochum auch alles ins Heute transformiert. Solveig ist Aussiedlertochter, die Hochzeitsgesellschaft eine Saufpartie jugendlich wehleidiger Jammerlappen, in der alle möglichen schlimmen Geschichten von Peer ihren guten Platz finden. Hinreißend: die drei alten Weiber als Sensen-Rocker, die mit Ernst Stötzner als Anführerin eine lustige Parodie psychotherapeutisch verarbeiteter Witwenschaft hinlegt: "Ich bin da so in eine Normalitätsfalle getappt".

    Die Trolle sind Menschen in Schweinsmasken und nur eine etwas schlechtere Gesellschaft als die streitsüchtige Dorfjugend; und wo Lärm und Klamauk die Schmerzgrenze erreichen, flicht Jürgen Gosch einen ruhigen Szenenwechsel ein, in dem ein Choral gesungen wird. Und Peer entwickelt sich: vom Raufbold zu einem jener gefährdeten Menschen, deren Zuviel an Energie sich irgendwann gegen sich selber richtet. Deshalb müssen seine Untaten in Afrika auch nicht gezeigt werden; die Aufführung überspringt die Jahrzehnte und bringt Peer Gynt als haltlosen Fremden zurück. Die Frage nach Schuld oder Moral interessiert Gosch nicht wirklich, dann schon eher Freud und die Unveränderbarkeit der psychischen Struktur. "Das Leben hat einen Aal im Nacken, es schlüpft durch die Finger", sagt Peer Gynt, und der Troll, an anderer Stelle: "Auf die innere Verwandtschaft kommt es an." Am Schluss begegnen sich Peer und Solveig als alte Tattergreise. Sie erkennen einander. Aber da ist kein Begehren mehr.

    Nie mehr lieben! mit Ausrufezeichen heißt es auch in Sibylle Bergs neuem Stück, das dritte schon, das sie fürs Bochumer Schauspiel geschrieben hat. Ein zu Flut-Zeiten abgesoffener Beate-Uhse-Vertreter aus dem Osten macht jetzt auf Psychologe und gibt an Silvester einen Workshop. Seine Kundinnen, die eine Mitte 30, die andere Mitte 40, sind wie wir alle: gutaussehende Selbstversorgerinnen, mit kalten Füßen und Bausparvertrag und Sehnsucht nach Sex oder Liebe. Sie wissen nicht wirklich, warum es nie geklappt hat, und wollen jetzt ein "solides, intellektuelles Fundament für ihre Einsamkeit errichten". 40 Jahre Emanzipation sind nämlich schnell vergessen, wenn man nachts allein im Bett liegt, statt dessen also: Selbstreinigung durch Familienaufstellung oder Konfrontationstherapie.

    Der Psychologe - Felix Vörtler gibt hinreißend den noch in ganz vielen anderen Rollen gefragten, durchschnittlich schmierigen, durchschnittlich machistischen, durchschnittlich fetten "Universalmann" des Stücks -, der Psychologe tritt als Entertainer im Glimmerjackett auf, als Impresario im Frauenpark, zu dem noch ein assistierendes "Klageweib" gehört und ein Musiker, der das Arrangement mit E-Gitarre und esoterischem Knistern unterlegt. Die Kursteilnehmerinnen werden nun in Trance versetzt und in gelb verhangene runde Gruselkabinette ihrer Beziehungsgeschichten geführt. Im "Raum der Illusionen" gibt es zum Beispiel die Partybekanntschaft, die SIE im Regen im Park mit Adorno bequatscht. Seither denkt SIE an Paris! Und: Heiraten!, und vergeht zwischen Warten und hysterischen Phantasien, während ER zu Peter-Huchel-Reden onaniert. Im "Raum der Illoyalität" wird ER, Künstler, von IHR, ausgehalten, bis er sich in eine platinblonde Jüngere verliebt. Irgendwann zwischen dem Drogentyp und dem Pilotenschwadroneur hat man dann ein paar alberne Klischees zuviel gekriegt – "Sex & the City" dauert ja auch nur 30 Minuten, mit Werbung! -, aber dieses Zuviel hat eigentlich nur damit zu tun, dass es hier trotz des trashigen Outfits um das wahre, traurige Leben von Frauen geht, wie es nicht in der BRIGITTE steht.

    Aber will man die eigenen Gespräche mit Freundinnen wirklich soo eins zu eins auf der Bühne sehen? Man will. "Das wird schon" ist als Stück eine witzige Kapitulation in Sachen Geschlechterkampf, im Theater unter Tage ohne große Tiefe, aber mit tollen Darstellern musikalisch-spritzig umgesetzt. Noch-Intendant Matthias Hartmann schafft zum Spielzeitbeginn also die bewährte Mischung, mit der er sich auch für Zürich empfohlen hat: Schauspielerfutter mit dem richtigen Oberflächendesign, und was den Peer Gynt betrifft: Er hat nicht die Intensität der Düsseldorfer "Sommergäste", aber er ist einfach gutes Theater.