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Spielzeugfreie Kita
Glücklich mit Stühlen, Höhlen, Stöcken

Eine Kindertagesstätte ohne Spielzeug. Das klingt erstmal wie Weihnachten ohne Geschenke – für Kinder also ziemlich öde. Für eine Hamburger Kita ist "Das Spielzeug macht Ferien" allerdings ein ziemlich spannendes Projekt.

Von Astrid Wulf | 24.03.2015
    Ronja, Hugo, Christian und Linda rennen wild durch die Flure und versuchen, sich gegenseitig kleine Kieselsteine abzuluchsen. Auf den ersten Blick: ganz normaler, fröhlich-chaotischer Kita-Alltag. Erst auf den zweiten Blick fallen rote Stopp-Schilder an den Spielzeugregalen auf. Puzzles und Puppen sind seit rund einer Woche für die Kinder tabu. Ronja, sechs Jahre alt und der fünfjährige Christian haben aber eine Menge Ideen, wie sie den Tag trotzdem gut rumkriegen: "Basteln und draußen spielen."
    "Ich spiel auch mit dem Edelsteinspiel. Wir basteln auch – ich habe einen Flieger gebastelt."
    Mehr Bewusstsein für Spielzeug zu schaffen - das war die Grundidee zum Experiment, auf das sich die Erzieher schon seit Monaten gemeinsam mit den Kindern vorbereiten. Die spielzeugfreien Wochen kamen für die rund 50 Kinder also nicht überraschend Roswitha Bollow ist trotzdem überrascht, wie kreativ die Kleinen mit der ungewohnten Situation umgehen.
    "Ich habe gestern Kinder beobachtet draußen im Garten, und die suchen sich ja jetzt wirklich tausend Stöcker und Steinchen und haben damit Spiele erfunden draußen, benutzen zum erstem Mal Dinge zum Balancieren, die Fahrradständer, da haben die Kinder sich gegenseitig geholfen – die benutzen den Garten auch komplett anders. Viel bewusster."
    Umstellung mit spannendem Effekt
    Auch alte Spiele wie "Mutter, Mutter wie weit darf ich reisen" und "Mein rechter, rechter Platz ist frei" haben nach Jahrzehnten in dieser Kita wieder Hochkonjunktur - denn sie funktionieren ohne Spielzeug. Auch diese Umstellung hat einen spannenden Effekt, sagt die Kitaleiterin; denn die Kinder kommunizieren mehr und anders miteinander als vor dem Experiment.
    Draußen wurden Regeln nochmal erklärt, ein Kind hatte dann "Eine Tasse Tee, Schokolade und Kaffee", die Größeren haben den Kleineren dann erklärt, was sie machen müssen, und dass die untereinander auch die Konflikte anders lösen als vorher. Vorher wurde oftmals die Erzieherin gerufen.
    "Es sind jetzt zwar erst ein paar Tage, aber ich finde schon, dass es sich verändert hat untereinander."
    Noch stärker in Beschlag
    Schon die Beschäftigung vorab mit dem Thema Spielzeug hat sowohl das Team als auch die Kinder ganz schön gefordert. So wollten die Vier- bis Sechsjährigen zum Beispiel unbedingt wissen, woher das Spielzeug kommt – viele von ihnen haben da zum ersten Mal erfahren, dass es in fernen Ländern Spielzeugfabriken gibt, in denen Kinder arbeiten. Und auch jetzt während der spielzeugfreien Wochen werden Erzieherinnen wie Kathrin Gundel noch stärker von den Kindern in Beschlag genommen als sonst.
    "Es ist schon eine große Herausforderung, weil einem dann erste bewusst wird, wie oft man zu den Kindern sagt: "Such dir ein Spiel.", also uns fehlt das Spielzeug auch irgendwo. Aber so wird man auch eingeladen, Spiele von den Kindern kennenzulernen, die sie sich ausgedacht haben."
    Und wer glaubt, dass es in einer spielzeugfreien Kita schön aufgeräumt ist, liegt falsch, hat die Kita-Leiterin Roswitha Bollow festgestellt:
    "Ich kam gestern in den Gruppenraum, die Kinder hatten Höhlen gebaut, die Kinder hatten Stöcker von draußen mit reingebracht, um damit zu basteln – und eigentlich sah der Gruppenraum viel unordentlicher aus als sonst, weil eben viel mehr von den Kindern rangeschleppt wird was sie verarbeiten oder bespielen wollen, aber es lohnt sich. Ich finde das Projekt ganz toll."
    Deshalb schickt die Kindertagesstätte Elbkinder das Projekt für den Wettbewerb "Kita 21" ins Rennen. Die Umweltstiftung "Save our Future" zeichnet so jährlich Kitas aus dem Hamburger Raum für besonders nachhaltige Projekte aus, die die Entdeckungslust von Kindern fördern. Und Erzieherin Kathrin Gundel wünscht sich, dass sich das Experiment auch unmittelbar nachhaltig auf den Kita-Alltag auswirkt:
    "Wir wollen halt hinterher mit den Kindern darüber reden, wie es ihnen gefallen hat und wollen auch überlegen, dass wir dem Spielzeug vielleicht einmal die Woche einen Ferientag gönnen und wir fangen wieder an zu bauen, experimentieren, gestalten."