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Spinnenseide für die Textilindustrie

Biotechnologie. - Spinnennetze müssen ein Zigtausendfaches ihres Eigengewichtes halten können. Solche Seile wünschen sich die Materialforscher auch. Und aus Spinnenseiden-Stoffen ließen sich zum Beispiel kugelsichere Westen fertigen. Doch weil Spinnen einen Hang zum Kannibalismus haben, lassen sie sich nicht so wie Seidenraupen züchten. Forschergruppen auf der ganzen Welt versuchen es deshalb mit biotechnologischen Tricks. So auch ein Team in München.

Von Hellmuth Nordwig |
    Ein Kletterseil, das nur einen Millimeter dünn ist - mit einem Spinnenfaden wäre das möglich. Denn der Abseilfaden der achtbeinigen Tiere trägt fünf Mal so viel wie ein Stahldraht gleicher Dicke. Und diese Rettungsleine ist nur einer von sieben verschiedenen Spinnenfäden. Chemisch gesehen, bestehen sie alle aus Eiweiß - doch sie weisen völlig unterschiedliche Eigenschaften auf. Ganz andere Anforderungen als der Abseilfaden muss zum Beispiel das Netz erfüllen, die "Fangspirale", wie Fachleute sagen.

    Die Fangspirale muss sehr dehnbar sein, denn wenn ein Insekt reinfliegt, wäre etwas Starres ungünstig. Trotzdem darf sie nicht reißen, und wir versuchen zu verstehen, warum diese Seiden so stabil und dehnbar sind, und wir versuchen das jetzt auch nachzubauen.

    Wir, das ist die Arbeitsgruppe von Thomas Scheibel vom Lehrstuhl für Biotechnologie an der Technischen Universität München. Zum Nachbau der Spinnenfäden nutzen die Forscher die Gentechnologie: Sie übertragen also die entsprechende Erbinformation aus der Spinne in andere Zellen, die dann die Fadenmoleküle herstellen. Das ist auch anderen Wissenschaftlern schon gelungen. Sogar in der Milch transgener Ziegen kann man das Eiweiß aus dem Spinnenfaden gewinnen - wenn auch in ziemlich geringer Menge. Und das Leibniz-Institut in Gatersleben hat vor kurzem die erste Ernte transgener Kartoffeln eingebracht, die ebenfalls das Spinneneiweiß enthalten. Derzeit bemühen sich die Forscher um die Aufreinigung. Thomas Scheibel und seine Münchner Kollegen haben einen anderen Weg gewählt.

    Wir extrahieren die Gene aus den Spinnen und verfrachten sie in ein Virus. Diese können Zellkulturen von Schmetterlingszellen befallen und sie haben die Eigenschaft, dass sie dort das Gen für die Spinnenseide anschalten können.

    Auch dieses Verfahren hat aber seine Grenzen: Je länger der Spinnenfaden wird, desto mehr füllt er die Zellen aus - bis sie platzen. Deshalb sind die Münchner Forscher noch einen Schritt weiter gegangen und haben die Erbinformation der Spinnen in Bakterien übertragen. Dabei standen sie vor einem großen Problem.

    Bakterien können die Geninformation der Spinnen nicht lesen. Wir haben die Übersetzerrolle übernommen und Geninformation umgeschrieben, so können auch Bakterien Spinnenseiden herstellen.

    Das Verfahren entspricht also der biotechnologischen Herstellung von Insulin und anderen Medikamenten. Allerdings entstehen die Eiweiße mit dem biotechnologischen Verfahren zunächst gelöst in Wasser - genau wie in der Drüse der Spinnen. Um daraus Fasern zu gewinnen, haben die Münchner Forscher ihren achtbeinigen Vorbildern einige Tricks abgeschaut. Geringfügige Veränderungen im chemischen Milieu sorgen dafür, dass aus der konzentrierten Eiweißbrühe ein fester Faden wird. Und mit den Methoden der Gentechnik lassen sich die Eiweiße aus den Spinnenfäden auch gezielt verändern.

    Diese Eiweißmoleküle sind sehr ähnlich, aber die kleinen Veränderungen geben den Ausschlag dafür, dass sich die Moleküle anders aneinander lagern und dass man im entstehenden Faden eine ganz andere Materialeigenschaft gewinnt.

    Es sollte also im Prinzip möglich sein, verschiedene Arten von Spinnenseide für unterschiedliche Anwendungen zu erzeugen: für hoch belastbare Kleidung wie etwa Arbeitshandschuhe; für biologisch abbaubares Nahtmaterial in der Chirurgie; oder auch für reißfestes Papier. Noch ist es nicht so weit, denn die Fäden lassen sich noch nicht verspinnen oder weben. Doch die Industrie ist interessiert, denn mit dem neuen Verfahren lässt sich Spinnenseide so preisgünstig herstellen wie Kunstfasern.