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Spiritualität
Die Reise zum Ich

Wanderfasten, Klosterauszeiten, historische Pilgerrouten: Spirituelle Reisen sind ein Trend, aber noch kein Massenmarkt. Kirchen, die keine Gemeinden mehr haben, sind als Konzert- und Meditationsorte attraktiv.

Von Thomas Klatt | 29.07.2019
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Der spirituelle Tourismus wächst - auch in Deutschland, schätzen Reisefachleute (imago stock&people)
Die Reise zum Ich beflügelt die Tourismusbranche. Spiritualität, Glaube, Selbstfindung – das sei ein anhaltender Trend, sagt Rulf Treidel. Er lehrt Tourismusmanagement an der Fachhochschule des Mittelstandes in Bielefeld.
"Das Thema spiritueller Tourismus im weitesten Sinne, religiöser Tourismus ist von der Welttourismus-Organisation als eine der Triebfedern des Tourismus international anerkannt worden. Das ungefähr ein Drittel aller Reisenden weltweit durch spirituellen oder religiösen Tourismus getrieben werden. Die Welttourismus-Organisation prognostiziert bis 2030 1,8 Milliarden internationale touristische Ankünfte."
Zum Beispiel: Der gezielte Besuch von Klöstern, um sich von der Ruhe und dem Raum inspirieren zu lassen. Oder buddhistische Retreats und Einkehrwochen, Wanderfasten bis hin zu Ayurveda-Kuren. Ein Trend, aber noch kein Massenmarkt, der die großen Reiseveranstalter auf den Plan rufe. Aber.
"Die großen Veranstalter bedienen auch wiederum nur die Hälfte des deutschen Reisemarktes. Die andere Hälfte des deutschen Reisemarktes ist ja individuell organisiert. Das sind Menschen, die ganz individuell ihre Angebote in der Region suchen. Die Jakobsweg-Pilger, die sind nur zu einem kleinen Teil organisiert."
Laut Deutschem Reiseverband begaben sich 2018 immerhin 47 Prozent aller Deutschen als Individualtouristen in den Urlaub. Immerhin ein Volumen von mindestens 30 Milliarden Euro. Ein Bruchteil davon fließe in den spirituellen Tourismus. Das Segment wachse auch in der Bundesrepublik stetig, schätzen die Reisefachleute. Etwa in Brandenburg. Schon in Polen beginnt der historische Pilgerpfad, der in Santiago di Compostela endet. Über Frankfurt Oder, die alte Bischofsstadt Lebus, in Richtung Westen an dem kleinen Ort Sieversdorf vorbei. Dort betreibt Silvia Scheffler eine kleine Pilger-Herberge.
Den Glauben an die Menschheit wiedergefunden
Sie sagt: "Ich gehe morgens mit den Pilgern in die Kirche, ich hab auch den Kirchenschlüssel, die Leute können sich an mich wenden. Ein Segenswort zu sprechen. Du Gott des Aufbruchs, segne und behüte uns, wenn wir Abhängigkeiten entfliehen, wenn wir festgetretene Wege verlassen und Neues wagen. Die Kerzen anmachen, die Kerzen auch wieder löschen und sie auf den Weg schicken. Und das ist meistens eine ganz schöne Begegnung und da fühle ich mich auch im Sinne eines Christen handelnd."
Das Doppelzimmer für derzeit 25 Euro. Wer den eigenen Schlafsack mitbringt, kann auch schon mal umsonst unterkommen.
Scheffler erzählt: "Einmal kamen zwei Polizisten. Ich wusste das da noch nicht, dass sie Polizisten sind, die waren so durchnässt. Und die waren so am Ende und kaputt und so müde und suchten jetzt unbedingt ne Unterkunft. Ich musste aber weg. Ich sag: Kommt, geht mal da hinten rein und da könnt ihr auch gleich hier in meinem Haus schlafen, die Pension ist voll. Und dann bin ich zum Chor gegangen. Und das war für die wohl ein nachhaltiges Erlebnis, dass Leute sie rein lassen, obwohl wir gar nicht wissen, wer es ist. Die haben hinterher gesagt, wir haben jetzt wieder den Glauben an die Menschheit wieder gefunden."
Die Pilgerherberge ist zwar ein angemeldeter Pensionsbetrieb, sei aber kein Geschäft. Mehr ein menschlicher Zugewinn für alle Beteiligten, sagt Herbergsmutter Silvia Scheffler.
Scheffler: "Pilger sind dankbare Menschen. Es gibt den netten Spruch: Der Tourist fordert, der Pilger dankt. Für die kleinsten Dinge kann man Dankbarkeit erfahren und das ist ja auch ein Geschenk." "8:10 Ich glaube wir pilgern nicht mehr so wie Luther wegen Ablass, sondern Pilger sind einfach Menschen, die sich auf den Weg machen und irgendetwas neu lernen wollen. Die sich einen offenen Raum begeben und das hat nichts mit katholisch oder evangelisch zu tun. Aber sehr wohl damit geistliche Erfahrung zu machen und dafür sollten alle Kirchen und alle Menschen auch offen sein."
Stille Stunden in alten Mauern
Im Trend eben auch: Die jahrhundertealten christlichen Kirchen, Kapellen und Gemeindehäuser auf dem Land entdecken, von Fachwerk bis Feldstein, von Barock bis Gotik. Bernd Janowski vom Förderkreis Alte Kirchen.
"Der Förderkreis Alte Kirchen hat bereits vor 20 Jahren angefangen eine Aktion zu starten: Offene Kirchen. Das bedeutet in Brandenburg eben, wir möchten verlässliche Ansprechpartner haben, von denen die Telefonnummer bekannt ist, die e-mail, wo man sich ankündigen kann und wo man den Schlüssel holt. Und das klappt im Prinzip sehr gut. Über 1000 Gemeinden beteiligen sich daran."
Viele einst verrottete Dorfkirchen wurden in den letzten 30 Jahren gerettet. Aber die christliche Gemeinde ist vielerorts kaum noch vorhanden. Es gilt intelligente und auch für Touristen attraktive Nutzungen zu finden.
Janowski sagt: "Da finden Konzerte statt, Lesungen, da wird Theater gespielt. Man hat in einigen Kirchen während der Fußballweltmeisterschaft Public Viewing gemacht. Warum auch nicht? Der Kirchenraum ist durch das Kreuz determiniert und alles was sich vor diesem Kreuz nicht verstecken muss, das ist in einer Kirche möglich, also sehr viel."
Diakon Sven Ahlhelm ist im Kloster Chorin angestellt. Er versucht etwa auch den gestressten Großstädtern das zu bieten, was sie bei sich in der eigenen Kirchgemeinde nicht so leicht finden können.
Ahlhelm: "Hier im Kloster Chorin haben wir jetzt seit einiger Zeit die Stille Stunde installiert. Das ist ein Angebot ein Mal im Monat an einem Freitag Abend, an dem man schweigend die Klostermauern noch mal genießen kann abseits des großen touristischen Begängnisses."
Es gebe allerdings für den spirituellen Tourismus noch kein Konzept zwischen der Landeskirche und den örtlichen Gemeinden. Vieles wie Pilgerwege, Einkehrhäuser oder Meditationswochen seien noch singuläre Angebote, ohne groß vom Land Brandenburg beworben zu werden. Aber man sei auf dem Weg, den spirituellen Tourismus bekannter zu machen, etwa durch erhöhte Online-Präsenz, verspricht Diakon Sven Ahlhelm:
"Wir arbeiten daran, dass es leichter wird. Es wäre auch für die Region ein Gewinn, Gäste zu empfangen, die sich auf der Suche nach sich selbst auf den Weg machen."