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Spirituelle Sinnsucher und Patchwork-Religiosität

Mehr als ein Fünftel der Deutschen pflegen eine Patchwork-Religiosität, das heißt sie kombinieren Elemente verschiedener Religionen. Das ist ein Ergebnis der Studien, die Wissenschaftler im Rahmen des Exzellenzclusters "Religion und Politik" an der Universität Münster durchgeführt haben.

Von Barbara Weber | 07.02.2013
    "Du?" "Ja!" "Wofür betest du denn eigentlich?" "Dass alles so wird wie früher und ihr auszieht!" "Schick ‘nen Gruß mit rauf, ich nehme das gleiche. Ich find das nur eigentlich total krank, was du da machst, naja, nach Mekka und so." "Nazi!"

    Auch wenn die Fernsehmacher der Serie "Türkisch für Anfänger" die Szene konstruiert haben, gibt sie doch die Lebenswirklichkeit christlich-türkischer Patchwork–Familien wieder und zeigt die tiefe Irritation über Religion und Lebensgewohnheiten der anderen.

    "Es ist heute ja fast normal, dass Familien aus verschiedenen religiösen Herkünften zusammengesetzt sind","

    sagt Jost Mazuch, Pfarrer der evangelischen Gemeinde Sülz-Klettenberg in Köln.

    ""Was noch vor einer Generation etwa Schwierigkeiten gemacht hat, wenn ein evangelischer Christ eine katholische Christin oder umgekehrt heiratete, das ist heute gang und gäbe, da fragt kein Mensch mehr nach. Erst wenn sie kirchlich heiraten wollen, wird das zum Thema. Aber das Gleiche gibt es natürlich auch über die Grenzen der Religionen hinweg, also ein Muslim und eine Christin oder umgekehrt, das ist auch häufiger schon der Fall, einfach durch die Einwanderungsgeschichte. Wir haben mehr Muslime in Deutschland. Aber es gibt natürlich auch die Situation, dass Menschen überhaupt nicht religiös geprägt sind und dann einen Partner oder Partnerin finden, die ganz stark religiös geprägt sind. Immer dann, wenn es ans Heiraten geht oder wenn Kinder kommen, dann wird das sehr stark zum Thema."

    Durch Globalisierung und Zuwanderung hat sich die religiöse Situation in Europa komplett verändert. Schon im 19. Jahrhundert entstanden viele kleine christliche Religionsgemeinschaften und Sekten, die bis heute existieren. Dazu kommt eine gewachsene große orthodoxe Gemeinde, in Deutschland immerhin die drittgrößte christliche Kirche.

    "Daneben haben wir durch Zuwanderung Religionsgemeinschaften aus allen Weltreligionen: Judentum, islamische Religionen, hinduistische Religionen, Buddhismus. "

    Die Religionssoziologin Dr. Christel Gärtner forscht im Rahmen des Exzellenzclusters "Religion und Politik" an der Universität Münster.

    "Die prägen auch das Bild im Alltag, und der Islam ist in den meisten Ländern mittlerweile zur drittgrößten, manchmal sogar zur zweitgrößten Minderheitenreligion geworden und ist eigentlich die Einwandererreligion schlechthin."

    Hinzu kommt in vielen europäischen Ländern ein buntes Gemisch an religiösen Ideen und Philosophien. Die Wissenschaftler sprechen von Synkretismus. Dazu gehören beispielsweise Elemente aus fernöstlichen Religionen, aber auch Esoterik und New Age. Die Vermischung von Glaubensinhalten und Praktiken ist für viele selbstverständlich geworden.

    "In Deutschland haben wir mittlerweile in manchen Metropolregionen über zweihundert Religionsgemeinschaften, also Frankfurt zum Beispiel zählt neben New York und London zu den Städten mit der größten religiösen Vielfalt."

    Die Soziologin hat zahlreiche qualitative Studien durchgeführt, basierend auf biografischen Interviews. Sie fand viele Beispiele dafür, dass Veränderungen in der Lebenssituation auch zu einem Wechsel der Religion führen können. Konfliktpotenzial entsteht dann, wenn ein Paar unterschiedlichen Glaubens heiratet oder wenn gemeinsame Kinder sich für eine Glaubensrichtung entscheiden. Das deckt sich auch mit den Beobachtungen, die Pfarrer Mazuch gemacht hat.

    "Es passiert auch, dass über die Frage sich Ehen trennen. Das habe ich erlebt, dass eine Mutter eines Kindes zu mir kam und sagte, ihre Tochter will getauft werden aber der Vater, der auch das Sorgerecht hat für die Tochter, Muslim, wollte das nicht. Er wollte, dass seine Tochter im islamischen Glauben aufwächst, aber sie lebt bei der Mutter. Und das ist natürlich ein schwer lösbarer Konflikt."

    In einer säkular geprägten Gesellschaft wie der deutschen haben es Menschen häufig schwer, ihre Religiosität auszuleben. So werden nicht alle Lebensentwürfe gleichermaßen toleriert und respektiert. Die Erwartung, Religion gehöre eher in den Privatbereich, ist weit verbreitet:
    Christel Gärtner:

    "Die muslimischen Jugendlichen beispielsweise haben es viel schwerer als ihre katholischen oder evangelischen Gleichaltrigen, weil der Islam viel stärker mit Vorurteilen befasst ist und ihre Religiosität auch öffentlich sichtbarer ist, und man unterstellt ihnen, dass sie nicht modern sind, sondern traditional sind."

    Ähnliches gilt für ostdeutsche religiöse Jugendliche, die es schwerer haben als junge Christen in Westdeutschland,

    "… weil in Ostdeutschland das Umfeld sehr viel säkularer ist."

    In Ostdeutschland gibt es ganze Regionen, in denen die Religionslosigkeit zur Norm geworden ist. Aber auch in Westdeutschland wächst die Gruppe der nichtreligiösen Menschen stetig. In Zahlen ausgedrückt, stellt sich die Situation hierzulande so dar:

    "Also wir haben die beiden christlichen Großkirchen, zu denen gehören in Deutschland etwa jeweils dreißig Prozent der Bevölkerung, dann haben wir die vielen Religionen, die durch Zuwanderung und Globalisierung dazugekommen sind, die liegen knapp bei zehn Prozent, aber auch dreißig Prozent der Bevölkerung gehören gar keiner Religion mehr an."

    Diese Vielfalt birgt nicht nur Stoff für Konflikte, meint Pfarrer Mazuch. Er sieht auch neue Chancen.

    "Ich entdecke dabei, dass der Respekt vor der anderen Religion wächst, je näher man sich damit beschäftigt, und das finde ich ein gutes Phänomen. Wir reden oft viel zu oberflächlich über andere Religionen. Wir nehmen dann so die spektakulären Dinge wahr. Das kann man beim Islam, beim Judentum im Moment auch sehr stark beobachten. Aber die wirkliche Auseinandersetzung, die passiert da, wo man durch einen Partner oder Freund oder Kind oder wen auch immer bedingt jetzt sich auch näher damit auseinandersetzen muss. Da muss man die tiefen Schichten der jeweiligen Religion kennenlernen, und das ist eine große Chance."