Christoph Schmitz: Ein kurzer Rückblick. Lech Walesa war noch keine 30 Jahre alt, da wurde er 1970 Mitglied des illegalen Streikkomitees auf der Danziger Werft. Nach der blutigen Niederschlagung des Streiks saß er im Gefängnis, verlor seine Arbeit, gründete die Untergrundgewerkschaft, aus der 1980 die offiziell anerkannte Solidarnosc hervorging, mit Walesa als Vorsitzendem. Drei Jahre später erhielt er den Friedensnobelpreis. Und seine Solidarnosc wurde zum Hauptmotor der Freiheitsbewegungen im kommunistischen Osteuropa. Doch kaum wurde Walesa zum ersten Präsidenten eines freien demokratischen Landes gewählt, wuchsen Kritik und Skepsis. Er sei IM der polnischen Staatssicherheit gewesen. Das war für Polen ein Schock. Vergleichbar mit einem Schock, der eingetreten wäre, wenn Willy Brandt als Spitzel des KGB oder Helmut Kohl als Zuträger der CIA enttarnt worden wäre. Vorgestern ist in Polen ein Buch erschienen über Walesa und den kommunistischen Geheimdienst SB. Wer sind die Autoren und was sagen sie in ihrem Buch über die Verbindungen Walesas zum SB? Das habe ich Martin Sander gefragt.
Martin Sander: Die Autoren sind zwei jüngere, ausgesprochen konservativ-national eingestellte Historiker Piotr Gontarczyk und Slawomir Cenckiewicz. Sie sind Mitarbeiter des Instituts für historisches Gedenken in Warschau, einem Art Pendant zur Gauk-Birthler-Behörde in Deutschland. Sie haben unmittelbaren Zugang zu den Archiven des kommunistischen Geheimdienstes, und daraus haben sie sich auch ausgiebig bedient. Das Buch hat ja rund 750 Seiten. Es gibt da drin eine recht politisch zugespitzte Einleitung darüber, dass Lech Walesa ein Zuträger des kommunistischen Geheimdienstes in den 70er-Jahren war, dass er versucht hat, als polnischer Präsident zwischen 1990 und 1995 diese Agententätigkeit aus den 70er-Jahren zu vertuschen, indem er Akten vernichtet hat. Und die beiden Autoren stellen ihre beiden Befunde dann in einen politischen Kontext. Das heißt, sie sehen die Tätigkeit Walesas auch als Teil einer dauerhaften politischen Verbindung der ehemaligen kommunistischen Machthaber in Polen mit Teilen des Solidarnosc-Establishments. Nicht nur Walesa, sondern natürlich auch alle, die man so als liberale Demokraten heute in Polen kennt, angefangen mit dem Chefredakteur der "Gazeta Wyborcza" Adam Michnik mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki und so vielen anderen.
Schmitz: Gehen wir noch mal einen Schritt zurück. Nach heutigem Kenntnisstand der historischen Forschung, was ist denn haltbar von dem, was in dieser neuen Publikation formuliert wird und was nicht?
Sander: Das ist ganz schwierig. Und ich glaube, selbst Historiker, die Erfahrung mit der Dechiffrierung von Geheimdienstakten haben, werden so schnell da nichts Schlüssiges vorlegen können, und zwar aus folgendem Grund. Es ist tatsächlich so, das hat Lech Walesa auch ja immer wieder zugegeben, dass er Kontakt zum kommunistischen Geheimdienst als Streikender, als Arbeiterführer Anfang der 70er-Jahre hatte, dass er auch das eine oder andere unterschrieben hat, dass es da Gespräche gab. Zugleich war er aber auch politisch verfolgt. Und auf der anderen Seite hatte er vehement abgestritten, dass er mit dieser Figur des Geheimagenten Bolek, die hier im Buch bemüht wird, als eine Person, die er gewesen sein soll, etwas zu tun gehabt haben soll. Es geht ja vor allen Dingen darum, dass von dem Augenblick an, als Lech Walesa wirklich eine Symbolfigur der Solidarnosc wurde, als er 1980/81, vor allen Dingen dann aber auch kurz vor der Nobelpreisverleihung, der Verleihung des Friedensnobelpreises 1983, nachweislich der polnische kommunistische Geheimdienst versucht hat, Walesa auf alle nur erdenkliche Weise zu diskreditieren, die Botschaft zu streuen, er ist in Wirklichkeit gar kein Oppositioneller, sondern er war immer unser Mann, er hat immer mit uns kooperiert. Und zu diesem Zweck wurden natürlich Massendokumente gefälscht und diese Dokumente sind in diesem Buch als wahre Dokumente vorgestellt worden. Und darüber wird es natürlich nach einer gründlichen Lektürepause sicher noch mal eine interne historische Diskussion unter Fachleuten geben, wobei offen bleibt, ob man da nach so vielen Jahren und so viel Aktenverlusten noch etwas Definitives feststellen kann.
Schmitz: Andererseits, wie Sie bereits andeuteten, ist die Diskussion jetzt um dieses Buch und der Anlass zu diesem Buch eine politische Dimension. Hier geht es um Geschichtsverständnis, um Geschichtspolitik. Das heißt, der Konflikt, der durch dieses Buch provoziert wird, ist im Grunde nur ein Stellvertreter-Krieg?
Sander: Es ist auf jeden Fall ein Stellvertreter-Krieg. Es geht noch mal um die großen Auseinandersetzungen zwischen Konservativ-Nationalen und Liberaldemokraten in Polen, um den Umgang mit der Vergangenheit jener Solidarnosc-Leute, die auch Kompromisse mit dem kommunistischen Regime, mit den liberalen Kommunisten gesucht haben, die grundsätzlich auch mal irgendwann Verständigungsbereitschaft gezeigt haben. Fundamentalisten, oft junge Leute, die erst politisch tätig geworden sind nach der Wende, mit denjenigen, die vielleicht oder zum nicht geringen Teil eben auch eine schwierige Biografie hatten, die auch teilweise eben sich dem kommunistischen Regime in einigen Fragen angenähert hat, gebrochene Biografien. Und das ist eigentlich der große Streit. Muss man das anerkennen als Teil einer polnischen Zeitgeschichte, die insgesamt als etwas Heldenhaftes dastehen soll, die Solidarnosc-Zeit, oder muss man das auseinanderdividieren und kann man jemanden wie Lech Walesa, eine so große historische Legende, versuchen, auf diese Art und Weise zu demontieren, wie das jetzt erneut in diesem Buch, was vor zwei Tagen erschienen ist, geschehen ist.
Schmitz: Martin Sander über den Konflikt in Polen wegen Verbindungen Lech Walesas zum polnischen Geheimdienst in kommunistischer Zeit.
Martin Sander: Die Autoren sind zwei jüngere, ausgesprochen konservativ-national eingestellte Historiker Piotr Gontarczyk und Slawomir Cenckiewicz. Sie sind Mitarbeiter des Instituts für historisches Gedenken in Warschau, einem Art Pendant zur Gauk-Birthler-Behörde in Deutschland. Sie haben unmittelbaren Zugang zu den Archiven des kommunistischen Geheimdienstes, und daraus haben sie sich auch ausgiebig bedient. Das Buch hat ja rund 750 Seiten. Es gibt da drin eine recht politisch zugespitzte Einleitung darüber, dass Lech Walesa ein Zuträger des kommunistischen Geheimdienstes in den 70er-Jahren war, dass er versucht hat, als polnischer Präsident zwischen 1990 und 1995 diese Agententätigkeit aus den 70er-Jahren zu vertuschen, indem er Akten vernichtet hat. Und die beiden Autoren stellen ihre beiden Befunde dann in einen politischen Kontext. Das heißt, sie sehen die Tätigkeit Walesas auch als Teil einer dauerhaften politischen Verbindung der ehemaligen kommunistischen Machthaber in Polen mit Teilen des Solidarnosc-Establishments. Nicht nur Walesa, sondern natürlich auch alle, die man so als liberale Demokraten heute in Polen kennt, angefangen mit dem Chefredakteur der "Gazeta Wyborcza" Adam Michnik mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki und so vielen anderen.
Schmitz: Gehen wir noch mal einen Schritt zurück. Nach heutigem Kenntnisstand der historischen Forschung, was ist denn haltbar von dem, was in dieser neuen Publikation formuliert wird und was nicht?
Sander: Das ist ganz schwierig. Und ich glaube, selbst Historiker, die Erfahrung mit der Dechiffrierung von Geheimdienstakten haben, werden so schnell da nichts Schlüssiges vorlegen können, und zwar aus folgendem Grund. Es ist tatsächlich so, das hat Lech Walesa auch ja immer wieder zugegeben, dass er Kontakt zum kommunistischen Geheimdienst als Streikender, als Arbeiterführer Anfang der 70er-Jahre hatte, dass er auch das eine oder andere unterschrieben hat, dass es da Gespräche gab. Zugleich war er aber auch politisch verfolgt. Und auf der anderen Seite hatte er vehement abgestritten, dass er mit dieser Figur des Geheimagenten Bolek, die hier im Buch bemüht wird, als eine Person, die er gewesen sein soll, etwas zu tun gehabt haben soll. Es geht ja vor allen Dingen darum, dass von dem Augenblick an, als Lech Walesa wirklich eine Symbolfigur der Solidarnosc wurde, als er 1980/81, vor allen Dingen dann aber auch kurz vor der Nobelpreisverleihung, der Verleihung des Friedensnobelpreises 1983, nachweislich der polnische kommunistische Geheimdienst versucht hat, Walesa auf alle nur erdenkliche Weise zu diskreditieren, die Botschaft zu streuen, er ist in Wirklichkeit gar kein Oppositioneller, sondern er war immer unser Mann, er hat immer mit uns kooperiert. Und zu diesem Zweck wurden natürlich Massendokumente gefälscht und diese Dokumente sind in diesem Buch als wahre Dokumente vorgestellt worden. Und darüber wird es natürlich nach einer gründlichen Lektürepause sicher noch mal eine interne historische Diskussion unter Fachleuten geben, wobei offen bleibt, ob man da nach so vielen Jahren und so viel Aktenverlusten noch etwas Definitives feststellen kann.
Schmitz: Andererseits, wie Sie bereits andeuteten, ist die Diskussion jetzt um dieses Buch und der Anlass zu diesem Buch eine politische Dimension. Hier geht es um Geschichtsverständnis, um Geschichtspolitik. Das heißt, der Konflikt, der durch dieses Buch provoziert wird, ist im Grunde nur ein Stellvertreter-Krieg?
Sander: Es ist auf jeden Fall ein Stellvertreter-Krieg. Es geht noch mal um die großen Auseinandersetzungen zwischen Konservativ-Nationalen und Liberaldemokraten in Polen, um den Umgang mit der Vergangenheit jener Solidarnosc-Leute, die auch Kompromisse mit dem kommunistischen Regime, mit den liberalen Kommunisten gesucht haben, die grundsätzlich auch mal irgendwann Verständigungsbereitschaft gezeigt haben. Fundamentalisten, oft junge Leute, die erst politisch tätig geworden sind nach der Wende, mit denjenigen, die vielleicht oder zum nicht geringen Teil eben auch eine schwierige Biografie hatten, die auch teilweise eben sich dem kommunistischen Regime in einigen Fragen angenähert hat, gebrochene Biografien. Und das ist eigentlich der große Streit. Muss man das anerkennen als Teil einer polnischen Zeitgeschichte, die insgesamt als etwas Heldenhaftes dastehen soll, die Solidarnosc-Zeit, oder muss man das auseinanderdividieren und kann man jemanden wie Lech Walesa, eine so große historische Legende, versuchen, auf diese Art und Weise zu demontieren, wie das jetzt erneut in diesem Buch, was vor zwei Tagen erschienen ist, geschehen ist.
Schmitz: Martin Sander über den Konflikt in Polen wegen Verbindungen Lech Walesas zum polnischen Geheimdienst in kommunistischer Zeit.