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Spitzenforscher ohne Abi

Außerhalb der Universitäten gibt es viele Kandidaten, die einen Doktortitel verdient hätten, aber mangels formeller Voraussetzungen nicht promovieren dürfen. Torsten van der Lubbe beispielsweise ist ein weltweit anerkannter Dinosaurierexperte - ohne Abitur in der Tasche.

Von Michael Engel |
    Musik war immer die große Leidenschaft von Torsten van der Lubbe. Hier mit seiner Band aus Hamburger Tagen. Nur "leben" ließ sich davon leider nicht. So jobbte der gebürtige Soltauer nebenbei als Tischler. Später dann als Industrieelektroniker für Siemens, bis die Produktion eingestellt wurde. Und dann waren da noch die Dinos:

    "Ich habe mit drei Jahren das erste Mal Dinosaurierzeichnungen gesehen und war schon als Kleinkind oder Kleinstkind kann man ja sagen, dermaßen fasziniert, besonders der Allosaurus, der da abgebildet war, hat es mir angetan. Dass meine Eltern täglich diese sechs Seiten mir aus dem Buch vorlesen mussten, bis ich dann mit vier Jahren sämtliche Dinosauriernamen auswendig konnte, die da standen."

    Später – als junger Mann – holt sich Torsten van der Lubbe Fachliteratur aus dem Internet. Beschäftigt sich mit Abstammungsfragen der "schrecklichen Echsen". Als er arbeitslos wird, die Computerbranche ist mal wieder im Umbruch, geht er nach Hannover. Mit "Hartz 4" und viel Zeit für Dinos. So stieß er 2005 auf den Dinopark Münchehagen.

    "Hatte dann ein erstes Gespräch mit dem damaligen Chefpräparator Niels Knötschke. Und dem fiel auch gleich auf, oh, der Mann scheint sich ja sehr ernsthaft mit der Sache zu beschäftigen, zeigt mir dann Zähne, die bei der Langenberg-Grabung gefunden worden waren, und die sich dann auch als überaus interessant herausstellten, und das war dann auch meine erste Veröffentlichung zu diesen Raubsaurier-Zähnen aus dem Harz – die Dromedosauriden-Zähne, die da rausgekommen sind."

    Es sollte nicht der letzte Fachartikel bleiben. 2007 entdeckte der 47-Jährige für das Niedersächsische Landesmuseum in der Nähe von Hannover eine befiederte Dino-Art, die bislang nur aus China bekannt war. Die Fachwelt jubelte. Seitdem hält er Vorträge an Universitäten, korrespondiert mit Wissenschaftlern weltweit, betreut angehende Paläontologen. Studiert hat Torsten van der Lubbe allerdings nie, nicht mal ein Abitur in der Tasche. Den wissenschaftlichen Kollegen ist das egal:

    "In der Regel ist es so: Es gibt ein kurzes Gespräch, die fragen dann ein, zweimal nach und dann ist klar, der weiß Bescheid wie ich auch, und dann wird halt zusammengearbeitet. Und der eine weiß eben da Details, die der andere nicht weiß. Und aus der Zusammenarbeit ergibt sich dann letztlich das Projekt."

    Mittlerweile würde Torsten van der Lubbe allerdings doch gerne einen akademischen Titel haben. Dr. hc, Dr. rer. nat. oder so etwas. Nicht aus Eitelkeit, so der Rastalocken-Träger mit dem Reggae-Flair, doch ohne Titel kann er keine Forschungsanträge stellen, zum Beispiel bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dabei gäbe es doch so viel zu forschen.

    "Das scheint tatsächlich so zu sein, dass die akademischen Grade als sehr gleichwertig angesehen werden. Hat man erst mal einen in der Tasche, scheint das nicht mehr so problematisch zu sein. Man sieht es ja auch daran, dass es Personen gelingt, sich mit erschlichenen Auszeichnungen – siehe Guttenberg und diverse andere, die ihre Titel mehr oder weniger eingekauft haben, genauso akzeptiert zu werden, genauso in die Position rein zu manövrieren, als hätten sie tatsächlich so eine Qualifikation vorzuweisen. Und das muss einem auch schon zu denken geben, weil da fragt man sich, wie hoch sind denn eigentlich die Qualitätsmaßstäbe, die angelegt werden bei so einem Studium. Wie kann das sein, dass jemand, dem anscheinend die Befähigung abgeht zu originärer Forschung, trotzdem eben eine abgeschriebene Arbeit vorlegen kann und es nicht auffällt, dass der Mann das gar nicht verinnerlicht hat."

    Tatsächlich haben Hochschulen durchaus Möglichkeiten, Doktortitel auch an Nichtakademiker zu vergeben. Die "Ehrenpromotion" zum Dr. h.c. ist da nur ein Beispiel. Auf der anderen Seite können Universitäten sogar reguläre Doktorarbeiten auch an Nichtakademiker vergeben. Wer sich zu Höherem berufen fühlt, sollte sich einen Doktorvater suchen, empfiehlt Prof. Erich Barke, Präsident der Uni Hannover.