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Spitzenkunst

Klöppeln heißt das Handwerk aus dem Erzgebirge, bei dem mithilfe eines Holzklöppels und Fäden Spitzen für Kleidungsstücke gefertigt werden. Stefanie Kölbel hat der etwas angestaubten Handarbeit zu neuem Ansehen verholfen: Sie klöppelt nicht mit Leinenfaden oder Baumwolle, sondern mit Edelstahlfäden.

Von Heike Schwarzer |
    Wenn Stefanie Kölbel neue "Spitzenstücke" klöppeln will, geht sie erstmal zu ihrem Computer. Metallica, Nirvana oder die Black Keys hört sie dann am liebsten. Jedenfalls keine Musik aus der erzgebirgischen Hutzenstube.

    Die erzgebirgische Hutzenstube – vor 500 Jahren trafen sich hier die armen Frauen und Kinder der Bergarbeiter zum Klöppeln – und zum Singen. Von hier gingen feinste Kragen, Deckchen und Manschetten in die ganze Welt.

    "Waren auch andere Bedingungen, wenn man an die Beleuchtung denkt oder so, wenn die bis nachts geklöppelt haben, ich denk, mir macht's jetzt mehr Freude."

    Dresden, das Hechtviertel: jede Menge Künstler, Familien, Kneipen. Mittendrin liegt Stefanie Kölbels Ladenatelier. An der Glastür steht "Spitzenstücke". Dahinter liegt ein großer heller Raum.

    "Das hat mich schon immer beruhigt. Ist ja auch sehr meditativ, dieses Klappern."

    Ihre "Spitzenstücke" klöppelt sie aus millimeterdünnen Metallfäden, kombiniert manchmal mit antiken Glasperlen oder mit Nylonfäden, von Hand in expressiven Tönen gefärbt: meerblau, purpur, knallgrün.

    "Es gibt Stücke, wo auch nur Edelstahl verwendet wird. Dann hat es noch mehr diesen Spitzencharakter."

    Stephanie Kölbel, braune Haare, knielanger Rock und derbe Stiefel. Ihr Sohn, elf Jahre alt, ist in der Schule. Sie postet noch schnell auf Facebook: Spitzenstücke, next stop, Giftfair New York. Und setzt einen Link. Aufgewachsen ist sie in Lengenfeld, dort wird heute wie vor 500 Jahren geklöppelt. Sie war acht, als sie damit begann. Klöppeln ist ihr Leben.

    "In der Grundschule haben wir das gelernt, da kam eine ältere Dame am Nachmittag und hat uns das beigebracht. Ich fand das sofort bezaubernd. Mir war das immer schon klar, ich dachte, das machst du mal später. Das ist dein Ding."

    Klöppeln – ein angestaubtes Altfrauenhobby? Nein. Für Stefanie Kölbel ist es cool und hipp zu klöppeln. An der Hochschule in Schneeberg hat sie den Leinen- gegen den Edelstahlfaden eingetauscht. Tradition, Handwerk und Innovation, so etwas lieben nicht nur die Amerikaner.

    "Dass es einen künstlerischen Anspruch hat und ein gestalterisches Weitergehen, das war mir schon wichtig."

    Blitzschnell wirft sie die vier hölzernen Klöppel über- und untereinander, setzt Stecknadeln in den dicken gepolsterten Klöppelsack und zieht die Stahlfäden fest. Knochenarbeit! Und: chaotisch – aber nur für den Laien.

    "Klöppeln hat schon System. Es gibt drei Grundschläge, drei Grundmuster. Ganz banal klöppelt man Streifen, bis man es drauf hat, bis man Tempo kriegt, weil es dann erst Spaß macht."

    Ein gutes mathematisches Verständnis braucht man zum Klöppeln, sagt die diplomierte Designerin, und mehr noch: Geduld.

    "Es dauert halt einfach seine Zeit, aber vielen dauert es eben zu lange, eh man ein Stück fertig hat. Es kann sein, dass man an einem Deckchen vier bis fünf Wochen sitzt."

    Für eine Halskette, die als über drei Meter langes schmales Band auf dem Klöppelsack entsteht, nimmt sie nur einen einzigen Grundschlag.

    "Das hat auch wieder seine Ruhe, wenn man zwei Tage lang nur eine Form klöppelt. Das ist auch gut, in einer so hektischen Zeit, dass das einen so runterholt."

    Später dreht sie dann aus dem Dreimeterband eine halsenge Spiralkette. In der Unermesslichkeit feinster Strukturen macht es Spaß, sich zu verlieren.

    "Das ist mir halt auch wichtig, dass man den Leuten ein bisschen Zeit abluchst und die sich genau damit beschäftigen. Man sieht es ja auch auf den Ausstellungen, manche gehen einfach vorbei und andere kommen immer wieder und können sich endlos darüber freuen und jedes Stück genau angucken. Für solche Leute macht man es auch."

    Und diese Leute finden es schick, an Ohren, Hals und Fingern feinste Klöppelkunst aus Metall zu tragen. Im Erzgebirge verwurzelt, in Dresden von Hand gemacht und getragen inzwischen auch in Madrid, L.A. oder New York.