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Spitzensportreform
Experten zweifeln an Spitzensportreform

Nach dem "Schulterschluss" zwischen DOSB und den Sportverbänden am Vorabend hagelte es bei der öffentlichen Expertenanhörung im Sportausschuss des deutschen Bundestages Kritik für die geplante Leistungssportreform. Die geladenen Wissenschaftler bezweifeln unter anderem die Vorhersagbarkeit von Erfolgen mithilfe mathematischer Methoden.

Von Robert Kempe | 19.10.2016
    Silbermedaillen bei den Olympischen Spielen in Rio 2016
    Ziel der Spitzensportreform: mehr Medaillen für deutsche Athleten (imago sportfotodienst)
    Es war nach zwei Jahren Hinterzimmerpolitik die erste öffentliche Diskussion zur geplanten Leistungssportreform, ausgerechnet im Sportausschuss des Bundestags, der sonst auch lieber den Kontakt zur Öffentlichkeit meidet. In der Sitzung gab es harte Kritik von den geladenen Experten an der Reform.
    Unter Beschuss, neben der Medaillenfixierung, vor allem das Kernelement der Reform – das Potenzialanalysesystem, "Potas" genannt. Anhand von 20 Attributen und 59 Unterattributen soll eine Kommission demnächst die Sportarten und Disziplinen bewerten. Ziel: Sportarten mit Medaillenpotenzialen herausfiltern.
    "Erfolg mathematisch nicht lösbar"
    Der Volkswirt und Ruder-Olympiasieger von 1988, Wolfgang Maennig, führte aus, dass Deutschland bei Olympia in Rio 80 Prozent seiner Medaillen in zehn Sportarten gewann. 16 Sportarten gingen leer aus. Das Potas-System hält er für überzogen: "Ich halte es ehrlich gesagt für mathematisch nicht lösbar. Ich glaube, dass wir einen sehr guten Prädiktor haben für den zukünftigen Erfolg und das ist der derzeitige Erfolg", gab er zu bedenken. "Alle Studien, die es aus der Sportwissenschaft und Sportökonomie gibt, zeigen, dass etwa 75 Prozent des Erfolges der nächsten Olympiade über den Erfolg in dieser Olympiade erklärt werden können."
    Immer deutlicher zeigen sich klare Risse zwischen BMI und DOSB. So äußerte DOSB-Chef Hörmann in der Sitzung, dass das Analysesystem Potas Wunsch des BMI gewesen sei, den man akzeptiert habe. Die Anwendung halte man aber nur für bedingt möglich.
    "Mit Angst keine sportliche Höchstleistung möglich"
    Starke Kritik am Konzept kam auch von Michael Teuber. Der mehrfache Paralympics-Sieger forderte eine konsequente Gleichstellung von olympischem und paralympischem Sport. Die Paralympics, so Teuber, würden die Olympischen Werte möglicherweise stärker repräsentieren als Olympia selbst.
    Öffentliche Sportausschuss-Sitzung zur Spitzensportreform
    Öffentliche Sportausschuss-Sitzung zur Spitzensportreform (Robert Kempe, DLF)
    Außerdem forderte Teuber, den Athleten stärker und nachhaltiger finanziell zu fördern. Unterstützt wurde er dabei auch von der Kanu-Olympiasiegerin Franziska Weber. "Das Wichtigste für einen Athleten ist erst einmal, dass wir ihm eine sichere Zukunft schaffen. Das er eben nicht mit Angst und Unsicherheit irgendetwas bestreiten muss. Denn mit Angst und Unsicherheit kann man keine sportlichen Höchstleistungen bringen."
    "Prozess noch lange nicht abgeschlossen"
    Die Frage ist nun, was politisch aus dieser Anhörung folgt. Nächste Woche trifft sich das sogenannte Beratungsgremium aus DOSB und BMI. Dann will man die Reform weiter finalisieren. SPD-Politiker Matthias Schmidt rät von Schnellschüssen ab und pocht auf die Mitsprache des Parlaments: "Nein, der Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Wir haben ihn jetzt erst richtig begonnen. Die Arbeitsgruppen, die vor uns getagt haben, haben uns sozusagen die Grundlage geliefert, aber jetzt muss breit diskutiert werden. Und die Zeit, die diese Diskussion braucht, die müssen wir uns auch nehmen."
    Eiliger hat es der DOSB. Der Dachverband werkelt eifrig im Hinterzimmer an mehr Steuergeld. Bis zu 15 Millionen Euro will der Dachverband nach Deutschlandfunk-Informationen zusätzlich für das nächste Jahr. Die Wunschliste soll bereits im Parlament eingegangen sein. Reform hin oder her.