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Sport und Corona
Fitness-Parcours in der Wohnung

Liegestütze, Kniebeuge und Hockergymnastik: In Zeiten in denen die Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird, wird das Sporttreiben schwierig. Vereine bieten Kurse über das Netz an oder stellen Anleitungen zur Verfügung. Doch der Wille der Heimsportler muss für einen sehr langen Zeitraum halten.

Von Jessica Sturmberg | 21.03.2020
Ein paar Sportschuhe in orange liegt auf einem garuen Kunstrasen.
Sportvereine haben ihr Angebot eingestellt, Fitness-Studios geschlossen. Die Optionen um Sport zu treiben werden knapper. (Unsplash / Fachry Zella Devandra)
"Diejenigen, die normalerweise dabei sind, wissen, das ist nicht unsere normale Location, wir haben uns eine gesucht, die nicht ganz so gefährlich ist für alle, Schaut, dass ihr zu Hause Platz habt, dass ihr euch frei bewegen könnt … wir fangen an…"
Düsseldorfs kostenloses Angebot Sport im Park gibt es jetzt als Livestream und später abrufbares Video.
Alba Berlin hat mit seiner täglichen Sportstunde für Kinder und Erwachsene schon viele Anhänger gefunden. Fitnessstudios bieten Tutorials im Netz an, viele Vereine geben auf ihrer Homepage Anleitungen sich fit zu halten.
Wie die SG Essen Schönebeck oder der Kölner DJK Wiking, der auch Gedächtnistraining aufgreift.
"Der Körper und der Geist baut über die Zeit ab"
Die Angebote sind einfach und kreativ. Und sie richten sich an alle, explizit nicht an nur diejenigen, die auch sonst viel Wert auf Sport legen. Dass zu Hause Zeit für sportliche Aktivität eingerichtet werden sollte, ist gerade jetzt wichtig, erklärt Trainingswissenschaftler Lars Donath von der Deutschen Sporthochschule in Köln
"weil der Körper und der Geist nämlich auch über die Zeit abbauen. Das geht zwar nicht so dramatisch, solange man noch regelmäßige Alltagsaktivitäten hat, sich zumindest im Haus auch ein bisschen bewegt. Wenn man sich richtig ins Bett legen würde, würde das bis zu einem Prozent pro Tag bedeuten."
Lars Donath hat sich auf das Thema spezialisiert, wie Training sich auf die Leistungsfähigkeit von Menschen sowohl im Kopf als auch auf den Körper auswirken. Wenn Menschen so rasch von 100 auf null gingen, wäre das aus vielen Gründen problematisch:
"die Muskelkraft ginge zurück, die Ausdauer ginge zurück, auch die Ausgeglichenheit, die psychische Verfassung würde darunter leiden. Es ist auf allen Ebenen mit Rückgängen zu rechnen."
Liegestütze, Kniebeuge und Hockergymnastik
Und das umso deutlicher, je mehr der Körper an sportliche Aktivität gewöhnt ist. Jeder müsse dabei seinen eigenen Übungen finden.
"Ausfallschritte, Seitfallschritte, Kniebeuge, ganz klassisch ein paar Liegestütze an der Wand, an der Tischkante, klassische Hockergymnastik – da reichen fünf bis acht Übungen am Tag, zehn Wiederholungen und drei Durchgänge, da ist man 15 bis 20 Minuten beschäftigt, kommt aus der Puste, der Puls geht nach oben und da hat man sein Häkchen für die gesundheitsfördernde körperliche Aktivität gesetzt."
Damit es in der Familie mehr Spaß macht, könnten sich Eltern auch einen Parcours für Kinder überlegen, mit Balancieren, über geeignete Möbelstücke steigen. Zähneputzen auf einem Bein mit geschlossenen Augen ist auch etwas für die ältere Generation, die wiederum einen anderen Schwerpunkt legen sollte, erklärt Lars Donath:
"Alles, was Gleichgewicht und Kraft betrifft, das ist insbesondere für Senioren im Kontext der Sturzprävention wichtig und alles, was so Oberkörperkraft, Beinkraft betrifft, mit hohen Belastungsspitzen vielleicht auch mal, mit höheren Pulsen, das kann man auch Jüngeren zumuten, aber eigentlich kann man sagen, dass alles für jeden auch machbar ist, was gut tut, was nicht extreme Körperpositionen betrifft, also man muss da auch ein bisschen mit Augenmaß agieren."
Begeisterung muss über einen längeren Zeitraum halten
Schließlich soll der Sport, der jetzt in den meisten Fällen ohne Kontrolle von ausgebildeten Trainern und Lehrern stattfindet, nicht noch wiederum nicht gefährlich werden.
Was auch wichtig ist – das Ganze sollte kein Strohfeuer sein. Im Moment sind die Ideen zahlreich, die Begeisterung groß, aber das muss sich über einen längeren, undefinierten Zeitraum halten. Der Sport könnte in die neuen Tagesabläufe als Ritual eingebunden werden oder man verabredet sich über digitale Netzwerke mit anderen zur gemeinsamen Sportstunde.
Stefan Schneider, vom Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft der Deutschen Sporthochschule untersucht, wie Sport auf Menschen in Isolation wirkt. Er war beteiligt an dem sogenannten "Mars-Missions-Projekt", bei dem geschaut wurde, wie sechs Personen in einem geschlossenen Raum über 520 Tage auskommen.
"Wir wissen heute aus der Stressforschung, dass Stress mit einer erhöhten Aktivität im vorderen Teil des Gehirns einhergeht und das ist ähnlich wie bei einem Computer, bei dem wir zu viele Fenster aufhaben, irgendwann sagt unser Gehirn ich kann jetzt nicht mehr. Ich muss mich mal entspannen und Sport und Bewegung ist insofern sehr schön, dass es eine andere Region nutzt im Gehirn und hier kommt es zu einer Verschiebung von Aktivität und um bei der Analogie des Computers zu bleiben: es ist tatsächlich so, dass man den Kopf im wahrsten Sinne des Wortes frei bekommt und dadurch wieder neue Ressourcen für Denken, für Fühlen, für Emotionen frei hat."
Körperbetätigung ist wichtig für das Wohlbefinden
So wie für Astronauten und die isolierten Testpersonen gilt auch jetzt für alle Menschen daheim: das Training muss Spaß machen. Es darf kein Zwang sein, sonst verursacht es selbst auch wieder Stress, der dann kontraproduktiv wäre. Der Sport ist hier auch Seelsorger. Elisabeth Keilmann, Sport- und Olympiaseelsorgerin der deutschen Bischofskonferenz weiß aus ihrer Erfahrung,
"Dass unser Wohlbefinden und unser Gleichgewicht schon davon abhängt, dass wir uns in Form halten, also dass Körperbejahung wichtig ist um auch mit uns selbst zufrieden zu sein und es geht letztlich um die Verbindung von Körper und Seele, um den ganzen Menschen."
Und für die Spitzensportler, die nun in der Luft hängen, nicht wissen, ob Olympia stattfindet oder nicht, denen das große Ziel, der Olympiatraum nun davon fließt, rät Elisabeth Keilmann, aus dem berühmten Tunnelblick auszusteigen und den Blick zu weiten, auch wenn es schwer fällt:
"Ich kann das auch total nachvollziehen, wenn wirklich sein ganzes Leben darauf ausgerichtet hat, die Qualifikation auch geschafft hat, dann wirklich nochmal auf mein Leben zu gucken und dass es da auch andere Möglichkeiten, andere Chancen sich sicherlich nochmal auftun."
Denn ganz unabhängig davon, wie und wann entschieden wird, was mit den Olympischen Spielen passiert, unter gleichen und fairen Bedingungen fänden sie eh nicht mehr statt.