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Sport und Flüchtlinge
"Keine Hallen mehr für die Vereine"

Immer mehr Turnhallen dienen als Notunterkünfte für Flüchtlinge. Ohne Sportstätten leiden die Vereine massiv unter dieser Situation, deren Ende noch lange nicht abzusehen ist.

Von Thorsten Poppe |
    Ein Mädchen aus Eritrea steht neben seiner Mutter vor einem Absperrgitter in einer Turnhalle.
    Vielerorts in Deutschland werden Turnhallen zu Notunterkünften umfunktioniert (dpa / Andreas Gebert)
    Ein leerer Parkplatz, dahinter eine große Turnhalle, wo normalerweise bis zu drei Vereine gleichzeitig Sport treiben können. Die Türen sind allerdings verschlossen. Nur ein schnödes DIN-A4 Papier an der Eingangstür zu der Dreifachhalle in Köln-Mülheim weist darauf hin, dass die Stadt diese Sportstätte ab sofort als Notunterkunft nutzen wird. In ein paar Tagen ziehen hier bis zu 250 Flüchtlinge ein. Davon betroffen ist vor allem der MTV Köln, der größte Breitensportverein der Stadt mit rund 5.000 Mitgliedern. Für Geschäftsführer Holger Dahlke ein herber Verlust, weil es schon die zweite städtische Sporthalle ist, die seinem Verein so abhandengekommen ist:
    "Wir haben eine Halle kompensieren können mit List und Tücke und sehr viel Unterstützung. Da haben die Ehrenamtler auch einen Super Job gemacht. Die zweite Halle, das kriegen wir nicht hin. Das ist nicht möglich, eins zu eins deckungsgleich die Termine zu verlegen. Existenzbedrohend ist es für die Abteilungen, die ihre Trainingszeiten komplett in den betroffenen Sporthallen haben, und in sofern sind einige Angebote ausgefallen, und es haben schon zwei Volleyballteams zurückgezogen werden müssen. Die eine oder andere Mitgliedschaft wurde auch schon vor diesem Hintergrund dieser Problematik gekündigt."
    120 Trainingsstunden fallen seitdem Woche für Woche aus, die der MTV nicht mehr auffangen kann. Mehr als 500 Mitglieder sind davon allein in diesem Verein betroffen. Abgesehen von den anderen Sportklubs, die eben auch diese städtische Dreifachhalle mit genutzt haben. Weil solche Turnhallen aber alle gewisse Standards bieten, sind sie besonders geeignet für eine rasche Unterbringung: Sie sind direkt verfügbar, besitzen sanitären Einrichtungen, und voneinander abgetrennte Räume. Deshalb dienen sie für Städte und Kommunen momentan als Anlaufstelle Nummer eins für die Unterbringung von Flüchtlingen. Josef Ludwig vom Wohnungsamt Köln weiß zwar um die Not der Vereine, kann sich aber gegenwärtig anders in dieser Frage nicht mehr helfen:
    "Ich quäle den Sport mit dem, was ich da tue. Weil ich Trainingszeiten, Trainingsgelegenheiten wegnehme. Und besonders natürlich den Ligaspielbetrieb in diesen Dreifachturnhallen damit störe. Was nicht passieren darf ist, dass wir unserer Unterbringungsverpflichtung, die ja gesetzlich geregelt ist, nicht mehr nachkommen können. Von daher geht es hier nur darum in diesen Turnhallen Obdachlosigkeit zu vermeiden. Da werden die Turnhallen noch eine ganze Weile meiner Einschätzung nach eine Rolle spielen."
    Der Sport wird auch deshalb gerne von den Städten und Kommunen in die Pflicht genommen, weil seitens der Ehrenamtler wenig Widerspruch zu erwarten ist. Überraschend, weil in den allermeisten Fällen die Sportvereine sehr kurzfristig darüber informiert werden. Und dann nicht einmal ein paar Tage Zeit bekommen die städtische Sportstätte zu räumen. Das sorgt immer wieder für Ärger, doch massive Proteste gab es laut unseren Recherchen deutschlandweit nur in einem Fall. In Leverkusen beim Neukirchener Turnverein wie der Vorsitzende Richard Hofschlaeger berichtet:
    "Wir haben an einem Freitagnachmittag eine Mail bekommen, als unser Büro natürlich schon geschlossen hatte, vom Stadtsportbund im Auftrag der Stadt: Am Dienstagabend müsst Ihr die Halle verlassen haben. Dass, was dann noch drinsteht, wird dann alles entsorgt. Das war natürlich eine Art und Weise, mit der wir nicht klar kamen. So geht man nicht fair miteinander um. Da haben wir natürlich dann hier am Montag drauf im Gespräch mit den Vertretern der Stadt gut 200 Mitglieder aktivieren können, die dann hier sehr spontan am Nachmittag aufgelaufen sind, und sich da natürlich auch lautstark dem entgehen gestellt haben, was da vorgestellt wurde."
    Der Protest führte zu zwei Erfolgen. Einmal konnten die Abteilungen des Neukirchener Turnvereins ihre jeweilige Saison in den verschiedenen Mannschaftssportarten zu Ende spielen. Erst danach wurde die Halle zur Notunterkunft, zwei Monate später als ursprünglich geplant. Und zum anderen blieb sie das auch nur bis zum Ende der Sommerferien.
    Der Landessportbund Nordrhein-Westfalen hat gerade festgestellt, dass ca. 200 Hallen als Notunterkünfte in dem Bundesland dienen. Davon betroffen sind ca. 800 Vereine, weil es sich dabei überwiegend um die großen Dreifachturnhallen handelt. Im Umkehrschluss heißt dies: In NRW sind um die 30.000 Menschen darin zurzeit untergebracht!
    Holger Dahlke vom MTV Köln fordert angesichts dieser Zahlen ein Umdenken bei den Städten und Kommunen und sieht den Sport hier nicht mehr allein in der Verantwortung:
    "Es ist bekannt, auch hier im Stadtbezirk, dass es Immobilien, Liegenschaften gibt, die geeignet sind, und nicht genutzt werden. Weil aus irgendwelchen verwaltungs- oder bautechnischen Gründen, diese Möglichkeit nicht ausgeschöpft werden. Das ärgert seinen sehr, weil man das Gefühl hat, es wird auf dem Rücken der Schwächste ausgetragen. Wir haben halt einen Stadtbezirk mit einem hohen Anteil mit Migrationsanteil. Und da ist es sehr, sehr wichtig, dass die Menschen eine vernünftige Freizeitbeschäftigung haben, gerade die Kinder und Jugendlichen. Das ist unter anderem der Sport!"
    Vorgestern hat die Stadt Köln erst verkündigt, dass bis Ende des Jahres noch 16 weitere Sporthallen als Notunterkünfte benötigt werden. Der Sport wird also bis auf absehbare Zeit seine starke Integrationskraft ohne die entsprechenden Sportstätten kaum entfalten können.