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Sportgeschichte
Beschönigt das Olympia-Museum die NS-Vergangenheit?

Im schweizerischen Luasanne kann man sich seit Kurzem im Olympia-Museum der Geschichte und Philosophie Olympias nähern. Doch offenbar ist das IOC bei der Aufarbeitung der Spiele von 1936 nicht genau.

Von Sascha Buchbinder | 18.01.2014
    Die Treppe beginnt direkt am Genfersee. Ganz oben thront das Museum. Blaue Scheinwerfer tauchen das Gebäude in ein entrücktes Licht. Musik rieselt, Wasserfontänen plätschern. Ein riesenhafter Männertorso, dazu Säulen neu errichtet als Ruinen. Ein Hauch von Klassik und ziemlich viel Wille zur Inszenierung.
    Willkommen beim IOC! Wo man zusammen kommt, in der Bruderschaft des Sports! Das Olympia-Museum rückt Leistungen und Emotionen ins Zentrum. Mit Einsatz von viel Elektronik werden alte Ausstellungsstücke animiert; die Philosophie und Geschichte der olympischen Spiele werden erzählt.
    Und doch - ausgerechnet mit der Geschichte nimmt man es hier nicht so genau. Zu den olympischen Spielen von 1936 ist die Darstellung im Museum sehr selektiv. Zunächst werden die Besucher zwar darüber informiert, dass die Nazis versucht hätten, die Spiele propagandistisch zu nutzen. Doch dann sei Hitlers Propaganda-Maschine ins Leere gelaufen. Die Spiele hätten nämlich nicht die Überlegenheit der weissen Rasse bewiesen. Dank den Siegen des schwarzen Läufers Jesse Owens habe der olympische Geist triumphiert.
    Tatsächlich? Der Fachmann reagiert erstaunt: “Jesse Owens als das grosse Beispiel dafür, dass Sport besser ist als die Nazis? Das ist völlig falsch. Absolut falsch. Aber die Subtilität des Beitrages zeigt, die wissen genau was sie tun und das was sie tun, sollten sie eigentlich nicht tun.“ So kritisiert Daniel Wildmann das IOC. Wildmann ist Vize-Direktor des Leo Baeck Institute und Geschichtsprofessor am renommierten Queen Mary College in London. Er findet die Darstellung der Spiele von 1936 geradezu manipulativ: “Der Beitrag ist äusserst subtil, weil er über Rassismus spricht, anhand des Themas Rassismus zu beweisen versucht, dass Spiele unschuldig sind.“
    Dabei, so Wildmann, waren die Siege eines schwarzen Athleten für die deutsche Propaganda gar kein Problem. “Aus der Perspektive des Nationalsozialismus sind Schwarze Tiere. Das heisst, es liegt gewissermassen in ihrem animalischen Instinkt, dass sie siegen. Das ist aber kein richtiger Sieg. Ein richtiger Sieg ist nur einer, der auf dem Willen basiert und einen Willen haben nur so genannte Arier.“
    Vor allem aber: wie kann jemand über die Spiele von 1936 reden, ohne ein Wort über den Antisemitismus der Nazis zu verlieren? Liegt es daran, dass dieses Thema das IOC direkter angeht als ihm lieb ist? Wildmann sagt: die Entrechtung und Verfolgung der Juden war dem IOC damals egal. Der spätere Präsident Avery Brundage verteidigte damals sogar die Nazis: “Brundage meinte Mitte der dreissiger Jahre: ‚In my club in Chicago Jews are not permitted either.‘ Antisemitismus war für ihn kein Problem sondern Normalität.“
    In seinem Klub in Chicago seien Juden schliesslich auch nicht zugelassen, erklärte Brundage. Doch von diesen Aspekten der Geschichte findet sich im olympischen Museum keine Spur. Stattdessen werden die Nazis zweimal dafür gelobt, dass die Spiele gut organisiert, sehr erfolgreich waren.
    Nach den Gründen dieser seltsamen Geschichtslektion gefragt, verweigert das IOC das Gespräch. Stattdessen teilt es schriftlich mit: die Darstellung sei korrekt, die Spiele seientechnisch wirklich gut organisiert gewesen. Außerdem könne ein so kurzer Beitrag den historischen Kontext nicht vertieft wiedergeben. Das sei nur ein Denkanstoss mehr nicht. Zu denken gibt diese Erklärung dem Historiker Daniel Wildmann. “Warum kooperiert eine Institution wie das IOC mit Ländern, die dermassen offen antisemitisch waren, die dermassen offen undemokratisch waren und die dermassen offen Gewalttätig gegen einen Teil ihrer Bevölkerung vorgegangen sind?“
    Natürlich ist das Vergangenheit. Doch andererseits zeigt das IOC gerade durch seinen aktuellen Umgang mit der Geschichte geringe Bereitschaft zur Einsicht. Dabei könnte gerade die Geschichte von 1936 einen höchst aktuellen Denkanstoss für die Gegenwart bieten. “Vielleicht ist es eben gar nicht so, dass Sport unpolitisch, neutral und völkerverbindend ist. Auf alle Fälle trifft es nicht zu für die 1936er Spiele.“
    Doch das ist unbequem. Denn wenn olympische Spiele nicht unpolitisch sind, dann müsste sich das IOC auch in der Gegenwart der Frage stellen, in welchen Ländern, zu welchen Bedingungen Spiele ausgerichtet werden.