Donnerstag, 28. März 2024

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Sportjournalismus
"Die eigene Kompetenz wird abgegeben an Experten"

In der Fußball-Berichterstattung kommen immer mehr Experten und weniger Journalisten zu Wort. In dem Bereich fehle dadurch die journalistische Einschätzung, sagte der Sportwissenschaftler Christoph Grimmer im Deutschlandfunk. Die eigene Kompetenz werde an die Experten abgegeben. Journalisten seien dann "Moderator der Sache und weniger analytische Begleiter".

Christoph Grimmer im Gespräch mit Susanne Luerweg | 10.06.2016
    Das ARD-Kommentatorenteam Matthias Opdenhövel (l.) und Mehmet Scholl bei einer Pressekonferenz von ARD und ZDF zur TV-Berichterstattung von der Fußball-EM in Berlin zusammen. Foto:
    Mehmet Scholl (r.) ist der ARD-Experte während der Fußball EM 2016. (picture-alliance/dpa/Rainer Jensen/dpa)
    Susanne Luerweg: Hochwasser, Terrorangst, Massenproteste und Massenstreiks. Die EM in Frankreich steht unter keinem guten Stern, doch trotz aller Widrigkeiten wird der Anpfiff heute Abend von vielen sehnlichst erwartet, und während die Zeiten einerseits schlecht sind, war das Interesse an Fußball noch nie so groß. Auch die EM war noch nie so groß wie 2016. 24 statt 16 Teams und ein Turnier, das, ähnlich einer WM, über vier Wochen geht. Zeitungen, Fernsehen und auch wir im Radio berichten über das sportliche Großereignis – nicht immer, aber ab heute immer öfter. Fußball scheint, zumindest im Fernsehen, eines der letzten Lagerfeuer zu sein, vor dem sich alle versammeln.
    Christoph Grimmer lehrt an der Uni Tübingen. Sein Studiengang Sportwissenschaften kooperiert mit dem Medienstudiengang und mit ihm wollen wir nun über das schöner, schneller, weiter in der Berichterstattung im Rahmen von sportlichen Großevents sprechen. Ich begrüße ihn jetzt erst mal am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Grimmer!
    Christoph Grimmer: Guten Tag!
    Luerweg: Herr Grimmer, Fußball total, um mal kurz die Holländer ins Spiel zu bringen, die ja leider am Turnier nicht teilnehmen dürfen, will heißen auf allen Kanälen, aus allen Rohren – wie viel geht es eigentlich bei der Sendezeit tatsächlich noch um Fußball?
    Grimmer: Wir haben eine Studie gemacht, die wir im Längsschnitt seit 1994 durchführen – ich bin jetzt seit ungefähr zehn Jahren mit daran beteiligt –, und da haben wir festgestellt, dass die Sendezeit sich immer weiter ausweitet von damals ungefähr vier Stunden auf inzwischen bei dem letzten Spiel, was wir untersucht haben vor zwei Jahren, das WM-Endspiel Deutschland gegen Argentinien, mehr als 9 Stunden. Das Spiel ging ja in die Verlängerung, insofern waren rund 130 Minuten reine Spielzeit, der Rest war rahmende Berichterstattung.
    Löwenanteil haben Expertengespräche im TV
    Luerweg: Und der Rahmen der Berichterstattung, da geht es ja im Grunde genommen auch nicht wirklich um den Sport, sondern da ist ziemlich viel pure Unterhaltung am Start.
    Grimmer: Genau, das ist richtig. Wie ich gesagt hatte ungefähr ein Drittel ist Vorbericht, ein Drittel Nachbericht, und einen großen Anteil nehmen darin die Expertengespräche ein, also wenn der Moderator mit beispielsweise Mehmet Scholl vorher über das Spiel spricht und hinterher das Gesehene noch mal analysiert.
    Luerweg: Das heißt, es gibt immer mehr Sportberichterstattung, aber man braucht eigentlich gar nicht mehr Sportjournalisten, sondern eher vielleicht Unterhaltungskünstler, die sich damit beschäftigen?
    Grimmer: Ja, das könnte man so zusammenfassen, wobei man auch den Kontext natürlich berücksichtigen muss. Da es sich um ein Live-Ereignis handelt, ist es natürlich auch schwierig für Journalisten, da direkt journalistische Beiträge zu produzieren, aber die Ausweitung der Sendezeit wird damit gefüllt, dass eben über Fußball gesprochen wird, und das machen immer weniger die Journalisten, sondern immer mehr eben unter Einbeziehung der angesprochenen Experten mithilfe eines Moderators.
    Luerweg: Ich wollte gerade sagen, weil man kann ja durchaus auch live journalistische Arbeit produzieren.
    Grimmer: Genau, richtig. Das ist eben auch eine Form der journalistischen Berichterstattung, aber was in dem Bereich dann fehlt, ist die journalistische Einschätzung. Also die eigene Kompetenz wird meines Erachtens abgegeben an Experten, was vielleicht auch nachvollziehbar ist, weil diese, aufgrund ihrer eigenen Karriere, über dieses sportliche Wissen verfügen, aber Journalisten sind dann Moderator der Sache und weniger analytische Begleiter. Wobei man diese Formate ja jetzt abseits der Live-Berichterstattung durchaus findet, also im ZDF "Sportstudio" gibt es ja die 3-D-Analyse, es gibt die Spieltagsanalyse bei Sport1, wobei bei dem letztgenannten, bei Sport1 wiederum auch frühere Fußballer oft die Gäste sind.
    Öffentlichkeitsarbeit der Vereine sehr professionalisiert
    Luerweg: Ist es nicht auch sowieso immer schwieriger für die Sportjournalisten über das Ereignis, beispielsweise Fußball, zu reden, zu sprechen, weil sie gar nicht mehr an die Protagonisten herankommen? Wir erinnern uns alle an das Beispiel FC Bayern, die dem BR dann gerne Geld abnehmen wollten für eine Berichterstattung und gesagt haben, gut, wenn ihr nicht zahlt, dann machen wir das halt selber bei Bayern TV.
    Grimmer: Auf jeden Fall, das ist auch ein wichtiger Punkt, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Vereine, wenn wir jetzt beim Fußball bleiben, sich natürlich sehr, sehr professionalisiert hat. Beim FC Bayern arbeiten beispielsweise ungefähr 25 Leute. Ich weiß nicht die genaue Anzahl. Zwei Drittel beschäftigen sich davon schon proaktiv mit den vereinseigenen Medien, also steuern Inhalte auf den klubeigenen Informationskanälen, Klub TV, soziale Medien, und ein Drittel ist reaktiv und geht mit externen Medienanfragen um. Ich habe eine Studie gemacht zur Öffentlichkeitsarbeit in der Fußball-Bundesliga und damals die 18 Kommunikationsleiter der damaligen Erstligisten und Printjournalisten befragt, und beide Seite bestätigen mir, dass die Abhängigkeit der Journalisten größer ist von den Öffentlichkeitsarbeitern als umgekehrt.
    Luerweg: Ja, man hat schon auch stark den Eindruck, dass das gar nicht mehr gewünscht ist, so hart nachzufragen. Da gibt es unangenehme Situationen. Da entsteht ja auch oft der Eindruck, die Journalisten sind so eine Art Kumpel, beispielsweise der Fußballer, wenn sie am Rand die noch mal kurz schnell befragen wollen, und von Kritik ist da wenig mitzukriegen.
    Grimmer: Ja, also ich finde, dass wir insgesamt einen sehr guten Sportjournalismus in Deutschland haben. Ich möchte jetzt auch aus der Wissenschaft nicht der Besserwisser sein, der sagt, wie alles anders sein müsste, aber es gibt sicherlich ein, zwei Verbesserungsmöglichkeiten, und die haben Sie da auch schon angesprochen. Zum einen denke ich da an die Distanz. Also wenn man sich auch mal vielleicht einfach vorstellt, wie das im politischen Journalismus ist, und im Wirtschaftsjournalismus wird wahrscheinlich auf keiner Bilanzpressekonferenz der Journalist sagen, Glückwunsch zum neuen Umsatzrekord und dann seine Frage stellen. Also vielleicht ist da ein bisschen Distanz durchaus von Vorteil.
    Was ganz interessant ist, ich habe diese Woche mir noch mal die Übertragung angesehen von dem WM-Endspiel 2014, und ich denke, das könnte auch ein Ansatzpunkt sein, dass gerade die TV-Berichterstatter sich vielleicht mit ein bisschen zeitlichem Abstand noch mal ihre eigene Performance von vor zwei Jahren ansehen und vielleicht da selbst auch Verbesserungsmöglichkeiten eben erkennen.
    Luerweg: Was hätten Sie dran verbessert an 2014?
    Grimmer: Ich habe zum Beispiel die Einstiegsfrage … die Eröffnung von Moderator Matthias Opdenhövel mit Mehmet Scholl war, sie haben ja jetzt heute hier Endspiel, wie fühlst du dich oder wie geht es dir oder so was, und ich glaube, da kann man durchaus einen besseren Einstieg wählen als diesen.
    Luerweg: Das bringen Sie dann auch Ihren Studenten bei, das sind dann so die schlechten Beispiele, die gezeigt werden?
    Grimmer: Wie gesagt, ich möchte da nicht jetzt derjenige sein, der das alles kritisiert, denn ich denke, dass wir insgesamt eine ausgezeichnete Sportberichterstattung haben. Wenn ich beispielsweise an den sogenannten DFB-Skandal denke oder auch FIFA und Korruption und Doping, dann machen die Sportjournalisten meines Erachtens in der Breite einen ausgezeichneten Job. Wir versuchen aber natürlich unsere Studierenden darauf vorzubereiten, später auch den Job gut zu machen und bieten unterschiedliche Vertiefungsseminare an, die sich beispielsweise mit der medialen Darstellung des DFB-Skandals auseinandersetzen oder auch rechtliche und ethische Aspekte des Sports und der Sportberichterstattung beinhalten. Ich selbst unterrichte ein Vertiefungsseminar mit dem Titel "Sport, Medien und ihre Inhalte". Da geht es dann um Dopingberichterstattung, sexualisierte Darstellung von Frauen in der Sportberichterstattung, Stereotypisierung und Behindertensport.
    Luerweg: Aber trotzdem noch mal Stichwort FIFA-Skandal, UEFA-Skandal: Jetzt im Vorfeld der EM hat die UEFA ARD und ZDF darauf hingewiesen, doch mal bitte jeder vier Vorberichte zu machen – das war vertraglich so festgelegt –, und gerne auch mit Bildern, die die UEFA auch gleich mitgeliefert hat. Da wird es dann schwierig, oder?
    Grimmer: Das ist ein ganz interessanter Punkt, den Sie da natürlich ansprechen. Die TV-Signale sind ja inzwischen auch vertraglich geregelt, dass eigentlich alle das einheitliche Bild bekommen, das heißt, die Bildsprache ist bei den Großturnieren, wenn wir jetzt auch an das Live-Event denken, von den großen Sportorganisationen geregelt, und eigentlich hat der Journalismus nur über die Textsprache, also über die Kommentierung oder Analyse die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Es geschieht ja auch, dass beispielsweise Flitzer oder Pyrotechnik oder so was gezielt ausgeblendet werden können dadurch.
    Hohe Arbeitsbelastung durch Social Media
    Luerweg: Kommen wir noch mal auf den Stichpunkt Social Media, da haben Sie gerade schon drüber gesprochen. Da sind die Vereine schwer aktiv, aber im Netz sind die Leute auch sehr aktiv. Da ist jeder Trainer, jeder weiß alles besser. Wie kann man damit umgehen als Sportjournalist? Das ist ja wie so eine zweite Ebene, sag ich mal, die da eingezogen wird – das sportliche Großevent kommentiert im Netz von Fans, die sich aber für Experten halten.
    Grimmer: Ja, das ist eine große Herausforderung. Natürlich bietet sie Möglichkeiten für Journalisten, beispielsweise Twitter auch als Recherchemöglichkeit zu nutzen für Themen, auch zu begleiten, was interessiert, was bewegt die Menschen und das dann in der Berichterstattung traditioneller Medien aufzugreifen, macht es aber gleichzeitig natürlich auch zu einer großen Herausforderung, weil ein ständiges Monitoring unterschiedlicher Profile, beispielsweise von Athleten oder Sportorganisationen, stattfinden muss. Also die Arbeitsbelastung ist damit natürlich relativ hoch.
    Luerweg: Aber wie reagieren überhaupt, ich sag mal, auch Sportler darauf, wenn sie lesen müssen in den sozialen Netzwerken, Mensch, das hast du aber nicht gut gemacht, jenes war nicht gut, und jeder generiert sich da ja auch so ein bisschen als Experte oder gleich als Trainer und weiß es immer besser.
    Grimmer: Also ich habe keine Befragung von Athleten gemacht, wie die damit umgehen, es ist aber zu erkennen, dass die Athleten eigentlich relativ eindimensional kommunizieren. Das heißt, sie veröffentlichen ihren Post auf ihrer Facebook-Seite, und es findet kein Dialog im klassischen Sinne statt. Das heißt, wenn eine Frage von Seiten der Fans gestellt wird, dann gehen die Spieler in der Regel darauf nicht ein.
    Luerweg: Kommen wir jetzt noch mal direkt auf die Fußball-EM, die heute beginnt, zurück. Herr Grimmer, wie haben Sie denn im Vorfeld die Berichterstattung jetzt empfunden rund um das Ereignis, gerade auch im Hinblick auf Frankreich als Austragungsland?
    Grimmer: Interessanterweise passiert ja eigentlich wochenlang nichts, und eine Woche vor dem Großturnier dreht die Berichterstattung dann voll auf. Diese Woche war natürlich sehr in den Schlagzeilen die Streiks beispielsweise auch in Frankreich oder die Ausrichtung des Public Viewings vor dem Eiffelturm. Also meines Erachtens war die Berichterstattung differenziert. Wir wissen ja alle nicht so wirklich, was da auf uns zukommt. Es ist jetzt so gefühlt 50:50 zwischen sportlichen Inhalten und Rahmenberichterstattung.
    Luerweg: Christoph Grimmer, Sportwissenschaftler von der Uni Tübingen zu der heute beginnenden EM, der Berichterstattung und dem Stand des Sportjournalismus im Allgemeinen. Herr Grimmer, viel Spaß beim Gucken, und wir hoffen mal, dass alles friedlich bleibt!
    Grimmer: Das hoffe ich auch! Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.