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"Sportnetzwerk" plädiert für journalistische Standards

Journalistische Standards in der Sportberichterstattung wollen sie wieder wachrufen - Jens Weinreich und seine 23 Mitstreiter. Vergangene Woche verkündeten sie in einem offenen Brief ihren Austritt aus dem Verband deutscher Sportjournalisten, VDS, und bilden nun eine eigene Organisation - das "Sportnetzwerk". Gründe für diesen Schritt können sie genügend anführen. Denn der deutsche Sportjournalismus ist - neben seinen bekannten Skandalen - mindestens diskutabel.

Von Vera Linß |
    Aus Sport werden heute familientaugliche Unterhaltungsprogramme gestrickt. Mit riesigen Summen, die für Übertragungsrechte an die Vereine fließen, wird der Sport alimentiert, während die Unabhängigkeit der Berichterstattung auf der Strecke bleibt.

    Im lokalen Bereich fühlen sich Reporter oft eins mit dem Verein vor Ort und verstehen sich gar als Promoter von Sport. Themen wie Korruption, Doping oder so genannte Randsportarten müssen zurücktreten. Sportjournalist Jens Weinreich ist überzeugt: Ginge es nach dem VDS, würde sich daran nichts ändern.

    "In diesem VDS ist da nichts zu retten. Mit dieser Mentalität, die dort vor allen Dingen vom Vorstand verkörpert wird, ich glaub auch von der Mehrheit der Mitglieder, der Mentalität "Wir sitzen alle in einem Boot", wir sitzen mit den Objekten unsrer Berichterstattung in einem Boot. Mit dieser Mentalität ist da nichts mehr zu rücken."

    Weinreich dagegen will einiges bewegen mit dem "Sportnetzwerk". Zum Beispiel will er einen Informations- und Meinungsaustausch führen, der Sportjournalisten Mut machen soll umzudenken – nicht unwichtig, angesichts dessen, dass viele Kollegen unter ökonomischem und moralischem Druck ihrer Redaktionen stehen.

    Themen, die - so Weinreich - im VDS nicht diskutiert werden konnten, sollen auf die Tagesordnung kommen. Fragen des journalistischen Grundverständnisses zum Beispiel und das Setzen neuer Maßstäbe in der Berichterstattung. Workshops zu Fragen journalistischen Handwerks sind geplant, im Herbst soll es eine Dopingkonferenz geben. Geht es nach dem "Sportnetzwerk", muss die Verquickung von Sport und Journalismus schnellstens ein Ende haben.

    "Es geht um ein paar Grundeigenschaften, die man als Journalist haben müsste. Ein Journalist sollte schon unabhängig sein, sollte ein bisschen Mut haben, Konsequenz zeigen, bisschen Sachkenntnis haben. Das ist fast peinlich, solche Eigenschaften aufzuzählen. Und im VDS ist eher die Meinung mehrheitsfähig, dass man sagt, wir sitzen alle in einem Boot und es ist gar nicht schlimm, wenn man eine Sportveranstaltung promotet, wenn man Deutschland 2006 promotet, wenn man seinen kleinen Verein promotet. Aber ich sage, das ist doch nicht Aufgabe des Journalismus, Journalismus und Promotion sind ziemlich unterschiedliche Dinge."

    Im Verband deutscher Sportjournalisten, den der Journalist für kaum reformierbar hält, ist man verärgert über die Art und Weise, mit der Weinreich die Interessenvertretung verlassen und das "Sportnetzwerk" angekurbelt hat - nämlich ohne Vorwarnung. Allerdings sieht man im VDS, der immerhin 3500 Mitglieder umfasst, auch nicht allzu großen Handlungsbedarf, was eine Debatte um das Selbstverständnis von Sportjournalisten betrifft.

    Für Verbandschef Erich Laaser, im Hauptberuf SAT 1-Kommentator, stand das Thema jedenfalls bislang nicht auf der Prioritätenliste.

    "Weil ich auch nicht an alles denke. Ich hab einen ordentlichen Beruf und das Präsidium hat auch andere Dinge zu tun. Wir hatten vor vier, fünf Jahren, als das Internet ein großes Thema war, über ein Forum nachgedacht. Es scheiterte erstens an der Zeit, man braucht ja Leute, die die Foren betreuen und zweitens am Geld. So hatte ich mir das vorgestellt. Aber im Tagesgeschäft und neben der normalen Arbeit ist das dann aber auch verloren gegangen. Die Basis hat aber auch nie einen Anstoß gegeben."

    Und bislang mehrheitlich auch noch nicht reagiert auf die Initiative Weinreichs, der – so Laaser – einen Schneeball geworfen, jedoch keine Lawine ausgelöst habe.

    Dennoch will man das Ganze ernst nehmen und verbandsintern diskutieren. Stoff genug dürfte es geben. Denn auf der Internetseite sportnetzwerk.orgwerden die Zukunft des Sportjournalismus und die Loslösung vom VDS umfassend debattiert.

    Über 300 Interessenten haben sich dort bereits zu Wort gemeldet oder ihr Interesse am Newsletter kundgetan – und es werden ständig mehr. Immerhin ein Zeichen, dass die Zukunft der Zunft doch vielen unter den Nägeln zu brennen scheint.