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Sportpolitik
Mindestlohn als Herausforderung

Seit Januar gilt der Mindestlohn von 8,50 Euro – auch im Sport. Viele Vereine sehen sich plötzlich mit Kostenexplosionen konfrontiert und die Nachwuchsarbeit in Gefahr.

Von Victoria Reith | 31.01.2015
    Abteilungsleiter Handball, Bernhard Müller, beobachtet Spieler des Soester TV
    Der Soester TV trainiert offiziell gerade nicht – wegen des Mindestlohns. (Deutschlandradio - Victoria Reith)
    Mittwochabend in Soest. Die deutschen Handballer sind gerade aus dem WM-Turnier ausgeschieden. In der Turnhalle des Soester TV tummeln sich rund 20 Spieler zwischen 19 und 28, es sieht aus wie ein Training, aber:
    "Wir haben überhaupt kein Training angesetzt. Wir haben eigentlich von Seiten des Vereins das Training erst mal weggelassen."
    Und das, was hier gerade stattfindet?
    "Ich kann meine Spieler nicht vor der Tür stehen lassen und sagen, du kannst nicht in die Halle gehen."
    sagt Bernhard Müller, Abteilungsleiter Handball beim Soester TV.
    Das Training, ein Privatvergnügen, dem Mindestlohn sei Dank. Fände es offiziell statt, müsste der Verein die Stunden aufschreiben und entsprechend entlohnen.
    Strafzahlungen drohen
    Die rechtliche Grauzone beim Mindestlohn in Sportvereinen ist groß. Für Amateurspieler und auch Trainer gilt er, wenn eine finanzielle Gegenleistung der Tätigkeit und nicht das Ehrenamt im Mittelpunkt steht. Eine Einzelfallentscheidung, wobei unklar ist, wer sie zu treffen hat. Und doch drohen bei Nichtbeachtung des Gesetzes Strafzahlungen von bis zu 500.000 Euro.
    Auf die Pflicht, den Spielern ab 2015 Mindestlohn zu zahlen, hat der Steuerprüfer den Soester TV Ende letzten Jahres aufmerksam gemacht. Dabei ist ein Spieler in der dritten Handball-Liga offiziell noch kein Profi. Wenn kein Arbeitsvertrag vorhanden ist, könnte also im Einzelfall entschieden werden.
    Aber: Sobald ein Spieler, auch wenn er Amateur ist, mehr als 200 Euro Aufwandsentschädigung erhält, fällt Mindestlohn an – ob ein Arbeitsvertrag besteht oder nicht. Das ist vor allem bei den Spielern, die von weiter weg pendeln, ein Problem – denn deren Fahrtkosten sind höher als 200 Euro. Wie man es dreht und wendet: Der Soester TV ist unfreiwillig zum Arbeitgeber geworden, die Kosten werden sprunghaft steigen. Bernhard Müller:
    "Für die Saisonhälfte zwei, also jetzt das erste Halbjahr 2015, um die 20.000 - 25.000 Euro."
    Talentförderung mit sportlichen Anreizen
    Der Verein, Dritte Liga West, vorletzter Platz, betreibt Leistungssport ohne Profistrukturen, als einer von zwei Clubs in der Liga – bei den anderen Vereinen ist die Kassenlage besser, die Strukturen sind professioneller. Dennoch: Das Problem tangiert viele Vereine und Verbände – und ruft auch Gewerkschaften und das Arbeitsministerium auf den Plan. In Soest will man junge Talente aus der Region fördern, mit sportlichen statt finanziellen Anreizen.
    Aber wenigstens die Spieler müssten sich doch eigentlich über den Mindestlohn freuen?
    "Generell ist es eine gute Sache, weil für Geringverdiener die Einkommen gesichert sind."
    Tobias Rückert ist der Kapitän der Soester Handballer.
    "Aber es ist halt für einen kleinen, in Anführungsstrichen Dorfverein, der sehr familiär ist, eine sehr schwere, hohe Hürde."
    Und so nutzt der Mindestlohn offenbar auch denjenigen nicht, denen er zugutekommen soll, denn die Bedingungen, unter denen die Spieler trainieren, werden durch die finanziellen Engpässe für den Verein eher schlechter.
    Nachwuchsarbeit gefährdet
    Der Soester TV steht damit nicht alleine da. Vor allem Clubs, die leistungsbezogen spielen, aber mit Amateurstrukturen arbeiten, haben ein Problem. Die Füchse Berlin sehen ihre Nachwuchsarbeit gefährdet, weil für die zweite Mannschaft nun der Mindestlohn anfällt, sagte deren Geschäftsführer Bob Hanning jüngst.
    Und viele unterklassige Fußballvereine, die ihren Spielern 250 Euro im Monat zahlen, dürften sie nach Mindestlohngesetz nur noch 29 Stunden beschäftigen – das reicht für Training, gemeinsame Anfahrt und Spiele aber kaum aus.
    Selbst die Gewerkschaft der Vertragsfußballer sieht Probleme beim Mindestlohn, hält vor allem die Verträge der unterklassigen Feierabendkicker für gefährdet, weil die Vereine sie sich nicht mehr leisten können. Geschäftsführer Ulf Baranowsky:
    "Das würde dann für die heißen, die eigentlich im Hauptamt Student oder Handwerker sind, dass sie zukünftig nur noch als Amateur auflaufen könnten und nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen."
    Bei höherklassigen Vereinen und deren Spielern sei der Mindestlohn aber angebracht.
    "Er ist gut und gerecht für Vertragsspieler in der dritten und vierten Liga, die vollberuflich beschäftigt sind, das heißt mehr als 100 Stunden für den Fußball da sein müssen, am Wochenende spielen müssen. Teilweise sind diese Spieler auf Minijob-Basis angestellt. Die haben Stundenlöhne in der Vergangenheit gehabt von unter vier Euro. Die haben jetzt Anspruch auf 8,50 Euro und sind daher nicht mehr abhängig von den Leistungen Dritter."
    Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund nahm dem Deutschlandfunk gegenüber Stellung. Dass vertraglich angestellte Fußballer Anspruch auf Mindestlohn haben, sei richtig. Das Vereinswesen stehe nicht wegen des Mindestlohns unter Druck, sondern wegen einer mangelnden finanziellen Co-Finanzierung von staatlicher Seite.
    Und die Fußballergewerkschaft bewertet den Mindestlohn insgesamt positiv.
    "Es bietet dem Sport auch eine Chance, sich zu professionalisieren und die Strukturen anzupassen."
    Beim Soester TV hingegen sehen sie sich zur Professionalisierung gezwungen. Entweder gelingt es, genug Geldgeber zu finden, um die Handballabteilung auszugliedern, oder die Ausgaben müssen weiter reduziert werden. Um die 200-Euro-Grenze bei der Aufwandspauschale einzuhalten, könnte sich der Verein nur noch Spieler aus der unmittelbaren Umgebung leisten.
    Kritik der Sportverbände
    Und auch in den Sportverbänden regt sich Widerstand. Der Vizepräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes und Präsident des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen, Walter Schneeloch, sagte im Gespräch mit dem Deutschlandfunk:
    "Ich würde dafür kämpfen, dass der Gesetzgeber sich hier eingehend äußert dahingehend, dass Sportler in diesen Klassen, die eine Aufwandsentschädigung bekommen, unabhängig in welcher Höhe, dass die mit diesem Mindestlohngesetz nichts zu tun haben dürfen. Der DOSB ist der Meinung, dass also die Sportler eingestuft werden als ehrenamtlich sportlich Tätige."
    Schneeloch macht der Politik große Vorwürfe:
    "Das hat man überhaupt nicht im Blickfeld gehabt, als man dieses Gesetz konstruiert hat, dass es diese Auswirkungen gerade im sportlichen Bereich gibt."
    In der kommenden Woche findet ein Arbeitstreffen mit Juristen der großen Sportverbände, darunter DOSB und DFB, statt. Dort soll eine Empfehlung an das Bundesarbeitsministerium ausgearbeitet werden.
    Arbeitsministerin Andrea Nahles hat derweil auf die Vorwürfe reagiert. Das Ministerium wolle die Fragen klären, die sich den Vereinen stellen. Daher habe Nahles DOSB-Präsident Alfons Hörmann sowie DFB-Chef Wolfgang Niersbach zu einem Gespräch eingeladen:
    "Wir werden für alle berechtigten Anliegen eine Lösung finden. Nur eines ist auch klar. Der Mindestlohn gilt, flächendeckend, ohne Schlupflöcher."
    Vereine wie der Soester TV können also nicht damit rechnen, dass sich an ihrer neuen Rolle als Arbeitgeber so schnell etwas ändert.