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Sportvereine erleichtern die Integration

Mehrere hundert Migrantensportvereine gibt es in Deutschland. Bisher ist allerdings noch nicht umfassend untersucht worden, ob diese die Integration von Zuwanderern fördern oder erschweren. Der Potsdamer Sportsoziologe Silvester Stahl hat diese Forschungslücke nun geschlossen.

Von Michael Barsuhn | 26.12.2009
    Migrantensportvereine sind eine Bereicherung für den organisierten Sport, weil sie die Integration von Zuwanderern maßgeblich fördern. Besonders für Neuankömmlinge mit geringen Deutschkenntnissen oder muslimische Frauen und Mädchen bieten Migrantensportvereine oftmals die einzige Möglichkeit, am Sportbetrieb teilzunehmen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die der Potsdamer Sportsoziologe Silvester Stahl im Auftrag des Bundesinstituts für Sportwissenschaft durchgeführt hat. Stahl zu seinen Beobachtungen:

    "Es gibt türkische Eltern, die ihnen klipp und klar sagen, ja, hier in einem türkischen Sportverein darf unsere Tochter Sport treiben, weil wir hier die Vereinsmacher, die beteiligten Personen kennen, da ein Vertrauen aufbauen können, die aber gleichzeitig ihre Töchter eben nicht in einen deutschen Sportverein schicken lassen. Also gerade in diesem Bereich sind es häufig Migrantensportvereine, deren Angebote insbesondere für Frauen und Mädchen alternativlos sind."

    Nur ein relativ kleiner Teil der von Zuwanderern ins Leben gerufenen Sportvereine fällt demnach durch organisatorische Mängel oder die Beteiligung an Konflikten negativ auf. Um die Integrationsleistung von Migrantensportvereinen richtig einzuschätzen ist ein Vergleich mit anderen Kulturvereinen und religiös geprägten Organisationen aus dem Migrantenmilieu wichtig. Hierbei schneiden Sportvereine deutlich besser ab, so Stahl. Entschieden widerspricht er der These, Migrantensportvereine seien Orte der Abschottung, im Gegenteil:

    "Weil sie eben durch die Teilnahme am allgemeinen Spielbetrieb, durch die Mitgliedschaft in den Sportverbänden sehr viel stärker und unmittelbarer auf die deutsche Gesellschaft und ihre Strukturen bezogen sind als Migrantenorganisationen aus anderen Gesellschaftsbereichen, die häufig tatsächlich viel stärker auf das Herkunftsland oder die eigene Community bezogen sind, als das bei Sportvereinen der Fall sein kann."

    Eine besondere Eigenschaft von Migrantensportvereinen sei ihre Wandlungsfähigkeit, so Stahl. Zahlreiche italienische und türkische Sportvereine haben ihren ethnischen Charakter im Laufe der Jahre weitgehend verloren, sich Mitgliedern aus anderen Gruppen der Gesellschaft geöffnet und ihr Vereinsprofil entsprechend angepasst. Das bekannteste Beispiel ist Türkiyemspor Berlin. Der 1978 von türkischen Migranten gegründete Verein ist mittlerweile eine multikulturelle Anlaufstelle in Kreuzberg.

    "Ich glaube die Identifikation mit dem Stadtteil bzw. die Identifikation des Stadtteils mit Türkiyemspor spielt eine ganz wichtige Rolle und auch das ist kein Einzelfall. Häufig ist es so, dass diese Sportvereine sich viel mehr als Repräsentant ihres Stadtteils, ihres Ortes sehen, als als Repräsentant einer bestimmten Herkunftsgruppe."

    Seit fünf Jahren unterhält Türkiyemspor auch eine Frauen- und Mädchenabteilung. Neben einigen deutschen Spielerinnen kicken in der ersten Mannschaft junge Frauen aus türkischen, libanesischen und israelischen Elternhäusern. Wie die 17-jährige Toja. Ihre Mutter ist im Ruhrgebiet aufgewachsen, ihr Vater stammt aus Israel:

    "Man kriegt es nicht so mit, das sie alle aus verschiedenen Kulturen sind, weil wir einfach alle ein Team sind. Aber es ist trotzdem cool mitzubekommen, wenn die über ihre Kultur reden oder wenn dann irgendwelche Feste sind, dann wird man auch eingeladen und dann merkt man das auch. Dann lernt man auch türkischen Tanz kennen. Also das ist immer ganz lustig."

    Gerade in Berlin gibt es inzwischen zahlreiche Projekte, die den hohen Grad der Selbstorganisation von Zuwanderern sichtbar machen. So haben Migranten in Berlin-Schöneberg im Juli dieses Jahres die "Interkulturelle Sportakademie" ins Leben gerufen. Unter professioneller Anleitung des Sozial- und Integrationsberaters Ali Durdu wird hier Basketball gespielt. Der Verein zählt 47 Mitglieder aus über zwölf Nationen. Durdu ist Mitte 30 und türkischer Abstammung. Sein Vorstandskollege Samil Bas ist noch ein paar Jahre jünger. Aufgewachsen ist er im Stadtbezirk Wedding. Samil Bas selbst bezeichnet sich als Berliner Türke. Vor wenigen Wochen hat er sein Wirtschafts-Studium erfolgreich abgeschlossen.

    "Wir wollten halt etwas machen, wo jeder sich zu Hause fühlt. Wir wollten uns nicht mit unserem Namen schon abgrenzen, wir wollten halt auch Türen öffnen für jeden der Basketball spielen möchte. Und das ist auch der Grund warum wir uns den Namen gegeben haben – interkulturell."

    Genaue statistische Angaben zu Migrantensportvereinen in Deutschland liegen bislang nicht vor, eine bedauerliche Lücke in der Sozialforschung, wie Silvester Stahl bemerkt. Angesichts der demografischen Entwicklung dürfte die Anzahl ihrer Mitglieder in Zukunft jedoch weiter steigen. Ein klares Signal an den deutschen Sport, die gesellschaftliche Relevanz von Migrantensportvereinen stärker als bislang anzuerkennen.