In München, der Stadt des ADAC, singt man gelegentlich die Bayernhymne: "Gott mit dir, du Land der Bayern, / deutsche Erde, Vaterland, / über deinen weiten Gauen / ruhe Seine Segenshand!" An diesen wenigen Verszeilen ist aus heutiger Sicht fast alles problematisch: "deutsche Erde", "Vaterland" – sowieso; aber auch die Anrufung Gottes, insofern sie Allah nicht miteinbezieht, und schließlich der Verweis auf die weiten Gaue.
Denn der Begriff Gau klingt nach Nationalsozialismus, und deswegen hat der ADAC jetzt, im 70. Jahr nach dem Ende des Dritten Reichs, seine Satzung umgeschrieben und die Gaue darin, räusper-räusper, ausgemerzt. Die Gaue sind jedoch viel älter als die Nazis. Sie waren schon vor dem Ersten Weltkrieg en vogue, als der ADAC gegründet wurde, und die Benennung war wegen des landschaftlichen Assoziationsraumes durchaus passend.
Ein Gau ist nämlich einerseits ein Verwaltungsgebiet, er hängt aber andererseits mit der Au zusammen, also der Bezeichnung für eine reichbewässerte, fruchtbare Gegend – und Letztere war genau das, was die frühen Automobilisten und die noch früheren Kraftradfahrer (denn der ADAC war ursprünglich ein Motorradklub) zu lustvoll-schleuniger Durchquerung lockte.
Gaue sind viel älter als die Nazis
Allerdings hatte der Gau schon damals eine kontroverse sprachgeschichtliche Entwicklung hinter sich. Das Wort war im 18. Jahrhundert als veraltet geschmäht und dann von Romantikern und Revolutionären wiederentdeckt worden. Bei Luther und Lessing kommt es nicht vor, wohl aber bei Voß und Mylius, Goethe und Schiller. Vor allem die deutschtümelnden Burschenschafter, Wandervögel und Turner gliederten sich (von 'organisieren' zu sprechen, wäre unangebracht) in Gaue. Die mittelalterliche Anmutung dieses Begriffs machte ihn auf einmal modern. Und dieser moderne Drall machte ihn für die motorisierte Fortbewegungsavantgarde interessant.
Da der Nationalsozialismus viele Modernisierungskräfte in sich aufnahm, ist es kein Wunder, dass er mit den Gauen weitermachte und bei der Aufteilung des Landes nicht solche lateinischen Begriffe wie Sektoren oder Distrikte, Regionen oder Reviere benutzte. Doch mit der emblematischen Figur des Gauleiters hinterließ er eben auch den Schaden an dem schönen Ausdruck Gau, wie er noch heute harmlos und unschuldig in vielen geografischen Namen von Breisgau bis Allgäu und von Chiemgau bis Gau-Bickelheim steckt. In der Schweiz, die keine Geschichte hat, derer sie sich linguistisch schämen müsste, heißt der Kanton, durch den die Aare fließt, Aargau, und jener durch die Thur geprägte, Thurgau.
Die Abschaffung von Wörtern aus Gründen politischer Opportunität ist allemal ein trauriges Geschäft. Es gibt freilich Fälle, in denen die von Victor Klemperer so genannte Nazisprache LTI, die Lingua Tertii Imperii, das Stummschalten einzelner Begriffe nahelegt. Der Gau aber gehört nicht dazu. Ihn aus der ADAC-Satzung zu eskamotieren, weil man ein ganz anders gelagertes Imageproblem hat, ist, was man einen Sprach-GAU nennen könnte: der größte anzunehmende Unfall auf intellektueller Ebene.