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Sprachartist mit neuem Stück

Hoffnungslos sind in der Regel die Versuche, aus dem Mittelmaß bürgerlicher Verhältnisse zu Helden zu werden. Das aber wollen die Personen, die Ewald Palmetshofer auf die Bühne bringt, nicht zur Kenntnis nehmen. Der österreichische Dramatiker hat mit seinem Stück "Helden" eine Jekyll-and-Hyde-Version vorgelegt, bei der man nicht mehr weiß, wo die gesunde Seite ist.

Von Christiane Enkeler |
    Ewald Palmetshofer setzt seinem Drama "Helden" ein Motto voran: "Das politische Begehren ist das Begehren des Politischen". Nicht, dass jeder Besucher derart benennen könnte, was ihn umtreibt, nach dem Stück - aber Palmetshofers Dramen regen zur Diskussion an.

    Der 1978 in Österreich geborene Dramatiker hat vor allem letztes Jahr "abgeräumt." Eine Nominierung für den Nestroy-Preis in der Kategorie Bester Nachwuchs, ein Dramatikerpreis aus der Wirtschaft, in der Kritikerumfrage der "Theater heute" zum Nachwuchsdramatiker 2008 gewählt, eingeladen zum Mülheimer Theatertreffen mit "hamlet ist tot. keine schwerkraft", viel gelobt für eine kunstvolle Sprache, die dennoch hohle Alltagskommunikation im Vorübergehen entlarvt - mit so analytischem Stückaufbau, dass sich ein Kritiker zu einem Ibsen-Vergleich hinreißen ließ.

    Während in "hamlet ist tot. keine schwerkraft" der Himmel "fast leer" ist und "wie das Amt" mit einer Maschine Zahlen verteilt, verkündet im Drama "Helden", jetzt im Mülheimer Theater an der Ruhr uraufgeführt, ein Nachrichtensprecher die Ankunft von "zwei neuen Sternen am politischen Himmel. Spiderman und Catwoman". Die Geschwister David und Judith starten nachts in dieser Verkleidung "politische" Aktionen und verüben Brandanschläge auf Geschäfte. Dabei kann man den Stücktext durchaus so lesen, dass die beiden zunächst nur Trittbrettfahrer von linksradikalen Unruhen sind. Dann wirken sie wie zwei frustrierte Bürgerkinder, die ihren familiären Konflikt nach außen verlegen und am Ende eine ganze Wellness-Therme hauptsächlich deshalb in die Luft sprengen, weil ihre Eltern dort gerade entspannen. Deren gutbürgerliche Atmosphäre erstickt und vereinnahmt die nächste Generation mit Toleranz, Ich-Bezogenheit und sattem Wohlwollen.

    "Solide Basis. Verdammt solide Basis. Da baut man gerne weiter. Da baut man so was von gerne weiter. Mit so einer soliden Basis. Die hat Potenzial. Die hat verdammt viel Potenzial, eure Welt. Wirklich. Wir passen schon auf. Genießt es und werdet in Ruhe jung. Keine Sorge. Wir machen was draus."

    Palmetshofers kunstvoll verstümmelte Figurensprache entwickelt eine Dynamik, die einen erhellenden Kurzschluss nach dem anderen produziert.

    Man könnte sich die Köpfe heiß diskutieren: Wo fängt Politik an? Wo hört Unschuld auf? Wie kann man sich abgrenzen, ohne mit derselben Bewegung von der nächsten Dynamik ungewollt vereinnahmt zu werden? Wer will hier was?

    Das Ganze wirkt wie eine Jekyll-and-Hyde-Version, besonders gruselig, weil man nicht mehr weiß, wo die gesunde Jekyll-Seite ist. Dabei zeigt sich, wie sehr sich die Figuren gegenseitig beeinflussen, oder wie solche, die sich voneinander unterscheiden wollen, dasselbe Vokabular benutzen.

    Die Inszenierung von Thomaspeter Goergen verlässt sich auf die Sprache, einerseits: Die sorgfältig ausgearbeiteten Figuren transportieren den Text mit Kunstcharakter und dennoch alltäglich. Besonders Petra von der Beek als Mutter schnarrt grandios wie ein kaputter Roboter immer wieder vor die Wand:

    "Weißt du, warum die Judith immer so arg zu mir ist? Das tut schon weh. Ja! Natürlich macht man Fehler. Ja natürlich! Man macht immer Fehler. Aber sie nicht! Nein, sie nicht!"

    Albana Agaj als Judith bebt währenddessen mit jeder Faser vor Anspannung. Auch die skurrilen Kostüme und eine schräge Bühne mit Bodenloch und Schiebewänden verweisen auf eine Kunstebene.

    Aber all dem muss überflüssigerweise noch etwas hinzugefügt werden: Martin Bross spricht als "Swarovski" den Nachrichtensprecher und ist als weißer Hase auf der Bühne mit Glitzer auf dem Ganzkörperkostüm präsent. Führt er uns ins Wunderland von Alice? Am Ende sitzt der Hase eine quälende Geschmacklosigkeit lang auf der Rampe und futtert Pauls Hirn, das eines androgynen Bankangestellten. Was soll das nun heißen, fragt man sich; die Feinheiten gehen dabei unter.

    Die Szene, in der David Paul tötet und anschließend so herrisch und starr auftritt wie der Banker vorher, ist eine der spannungsvollsten, auch deswegen, weil hier ein Ineinandergleiten von vermeintlichen Oppositionen deutlich wird. Dass dieser Punkt aber in der Sprache schon Ausdruck findet, wird in der Inszenierung sehr selten herausgearbeitet. Gerade hier aber, im kaum Fassbaren, liegt das Faszinierende, Diskussionswürdige an Palmetshofers Stück.