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Sprache in den Nachrichten
Zwischen Zuspitzung und Präzision

Umgangssprachliche Formulierungen und eine saloppe Sprache finden sich inzwischen in vielen Nachrichtensendungen. Kritiker bemängeln, dass dabei Informationen und Meinungsäußerungen vermischt würden - und dass sich eine Nähe von Populismus und medialer Zuspitzung zeigten.

Von Michael Meyer | 28.09.2020
Blick ins Studio der "Tagesschau"
In der 20-Uhr-Sendung der Tagesschau werde besonders auf präzise Formulierungen geachtet, so ARD Aktuell-Chefredakteur Bornheim (NDR/Thorsten Jander)
"Man muss da tatsächlich auch mal die Kirche im Dorf lassen - das Ganze war ja bei Lichte betrachtet kein Sturm, sondern eher ein ein Stürmchen: 400 Leute haben tatsächlich versucht, bis zum Gebäude vorzudringen."
Nach einer der Demos gegen die Corona-Politik in Berlin war es zu einer kurzzeitigen Besetzung der Vortreppe des Reichstags gekommen – der Reporter des Nachrichtensenders n-tv korrigierte dann nachträglich die Formulierung vom Vortag, es sei "ein Sturm auf den Reichstag" gewesen. Eine Formulierung, die sogar die Tagesschau in den ersten Stunden danach verwendete. Das habe man aber schnell korrigiert, sagt Marcus Bornheim, Chefredakteur von ARD- Aktuell in Hamburg:
"Da haben wir sofort auf die Bremse getreten, das war kein Sturm auf den Reichstag, sondern das war der Versuch, die Treppe des Reichstags einzunehmen. Da muss man total aufpassen, dass man bei diesen Bildern nicht vereinnahmt wird, da müssen wir sehr sehr aufpassen, dass wir diese Dramatik nicht übernehmen und denen auf den Leim gehen."
Nähe zwischen Populismus in der Politik und Medienlogik
Die Sprache von Populisten kommt auch in Nachrichten immer mal wieder vor, stellt Tobias Rothmund, Medienpsychologe an der Uni Jena fest. Das sei auch nicht verwunderlich, denn der Trend zur eingängigen Formulierung ist sowohl bei Populisten, als auch in Medien zu finden.
"Wir wissen, dass Sensation und negative Ereignisse, überraschende Ereignisse besonders gerne auch in Medien vermittelt werden, also eine sensationalistische Formulierung wie 'Der Sturm auf den Reichstag', die hat es sicher auch leicht, medial Aufmerksamkeit zu erzielen. Und vor dem Hintergrund gibt es auch eine gewisse Nähe zwischen dem Populismus in der Politik und der Medienlogik, die das begünstigt."
Allgemein kann man sagen: Es gibt einen Trend zur saloppen Formulierung – vor allem, aber nicht nur in Beiträgen und Korrespondentenberichten. Da fliegt "Wirecard in hohem Bogen aus dem Dax" oder "Corona überschattet den Sommerurlaub". Oder aber: Es werden gezielt reißerische Adjektive gewählt: "unfassbare Taten - die Polizei in Münster deckt einen neuen, abscheulichen Fall von Kindesmissbrauch auf."
Unterschiede in Wortwahl und Formulierung
Allerdings, so sagt es Marcus Bornheim von ARD-Aktuell, müsse man bei aller Kritik unterscheiden zwischen einem Korrespondenten-Live-Bericht, einem Beitrag im Internet oder einer Meldung in der 20 Uhr Tagesschau: "In der '20-Uhr' müssen wir wirklich auf den Punkt genau formulieren, und auch wenn es vielleicht etwas umständlich ist, aber an dem Punkt muss es ganz genau treffen. Ich bin da ein bisschen großzügiger, wenn es in den Bereich Social Media geht, weil wir dort eine andere Zielgruppe haben, und man es dort durchaus verkraften kann, umgangssprachlicher zu formulieren, weil man den Sinn dann eher trifft, weil sich dann ein jüngeres Publikum davon angesprochen fühlt. Aber gerade in der '20-Uhr' bin ich wirklich konservativ, was die Sprache angeht, die muss wirklich auf den Punkt genau sein."
Und doch: Der Trend zur Umgangssprache sei unübersehbar, kritisiert Kai Blasberg, ehemaliger Geschäftsführer von Tele 5 und Autor einer medienkritischen Kolumne im Fachmagazin MEEDIA. Das steife Texten und Moderieren früherer Tage sei einer locker-flockigen Ansprache gewichen, die teilweise an die Grenze der Seriosität gehe, stellt Blasberg fest: "Das eben so Vermischungen stattfinden, das Moderationen stattfinden, die früher so nicht stattgefunden haben, dass eben nicht nur berichterstattet wird, dass auch Kommentare miteingespeist werden, Gespräch geführt wird, eine gewisse Laxheit, eine gewisse Lockerheit, gewisse Lebensnähe hergestellt werden soll, die aber dann am Ende zu so Blüten führen, wo du denkst, das gehört doch hier gar nicht rein."
Näher an die Lebenswelt der Nutzer und Nutzerinnen kommen
Medienpsychologe Tobias Rothmund meint, dass man diesen Trend aber nicht bei allen Formaten und Nachrichtensendungen feststellen kann – je seriöser der Sender und das Nachrichtenformat, desto weniger salopp gehe es zu. Man müsse bei alldem auch den Wunsch der Macher bedenken, näher an die Lebenswelt der Nutzer und Nutzerinnen zu kommen.
"Dadurch wird auch, glaube ich, dem Eindruck entgegengewirkt, dass es irgendwie eine abgehobene Denkweise sei. Ich glaube, durch den Sprachstil wird Nähe hergestellt, wird Authentizität vermittelt, die auch dem Hörer dann zeigt, wir sprechen auf Augenhöhe."
Sind die Nachrichten also insgesamt unseriöser geworden? Mindern umgangssprachliche Formulierungen die Glaubwürdigkeit? Medienpsychologe Tobias Rothmund verneint das: "Ich glaube eher, dass es teilweise so ist, dass im Journalismus und in den Medien die Trennung von Fakten und Meinungen nicht klar genug gemacht wird. In dem Sinne auch, dass die Wertegrundlagen, auf denen Interpretationen erfolgen - die müssen transparent gemacht werden. Und das würde der Glaubwürdigkeit des Journalismus zugute kommen, wenn diese normativen Überzeugungen klarer, transparenter kommuniziert würden."