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Sprachen lernen auf eigene Faust

Soll es schlicht Kosten sparen? Oder verbirgt sich ein neuer Lernansatz dahinter? Die Universität Bremen besitzt seit kurzem ein "Selbstlernzentrum Fremdsprachen". Dort sollen künftig rund 500 Studierende pro Woche eigenständig ihre Kenntnisse ausbauen - am Computer und damit unabhängig von Kurs- oder Semesterzeiten.

07.02.2003
    Kopfhörer auf, Mikrofon an und los geht es. Fernando Kawaoka hat sich schon an den Kollegen PC gewöhnt, der ihm Deutsch beibringen soll. Seit knapp vier Wochen ist der 21-jährige Brasilianer in Bremen. Morgens gibt es Deutsch-Unterricht am Goethe-Institut, dann geht es ins Selbstlernzentrum an der Bremer Uni. Sprachen büffeln ohne Lehrer - das wird zum Trend an deutschen Universitäten, glaubt der Chef des Selbstlernzentrums, Rüdiger Fehse:

    Das ist eine Ergänzung zu dem, was im Sprachunterricht stattfindet. Die Anforderungen beim Sprachenlernen werden immer höher. Und es wird immer mehr notwendig, außer dem konventionellen Unterricht auch noch Selbstlernen einzusetzen.

    Fernando Kawaoka trainiert den deutschen Alltag an einer der vier so genannten Sprachinseln im Raum. Jeweils sechs Monitore stehen dort im Rund. Hier arbeitet jeder leise murmelnd vor sich hin: Der eine paukt französische Grammatik, der andere versucht ein spanisches Rätsel zu lösen, eine junge Studentin quält sich mit englischer Wirtschafts-Korrespondenz. Die Sprachdozenten werden deshalb noch lange nicht überflüssig, sagt Bärbel Kühn, Chefin des Fremdsprachenzentrums der Bremer Hochschulen:

    Es wird nur anders als bisher. Wir werden keine Lehrkräfte mehr haben, die Grammatik unterrichten, die - wie wir sagen - instruieren. Sondern wir werden für die Lehrkräfte viel mehr in der Zukunft beratende Funktionen haben. Der künftige Lehrer, die künftige Lehrerin werden so etwas sein wie Ärzte. Oder wie Psychologen: Betreuer, die mich unterstützen dabei - wenn ich jetzt eine Sprache lernen will - für mich selber das Richtige zu finden.

    Und trotzdem: In vielen Fällen sind Betreuer überflüssig, glaubt Zentrumsleiter Rüdiger Fehse. Weil die Lerncomputer heutzutage viel mehr können als die von vielen Schülern so gehassten Sprachlabore.

    Diese Computer haben Spracherkennungsmodule, die dann auch in der Lage sind zu sagen, man hat die Aussprache getroffen oder nicht. Ein ganz wichtiger Aspekt ist der, dass Computer sofort korrigierend eingreifen können. Also Übungen, die ich mache, sind in der Regel so aufgebaut, dass ich am Ende grünes Licht oder höhnisches Lachen bekomme. Die Korrektur durch einen Dozenten ist zwar nach wie vor wünschenswert, aber sie kann ein ganzes Stück lang hinaus gezögert werden, indem man erst mal die Computerantworten auswertet.

    Auch die Neuseeländerin Lorie Clark paukt hier in einem Intensivkurs "Deutsch als Fremdsprache". Die Selbstlernprogramme der Bremer Uni findet sie gut - aber sie vermisst ein leibhaftiges Gegenüber:

    Es fehlt die Persönlichkeit, mit den Personen und so. Aber es ist schon interessant, dass man das genau so machen kann, wie man will. Und ich finde es auch ganz gut, zum Beispiel neue Vokabeln zu lernen.

    Technisch ist das Bremer Zentrum wohl das modernste in Deutschland. Aber auch die Unis in Saarbrücken, Dresden und in Berlin experimentieren mit dem Lernen ohne Lehrer. Die Expertin Bärbel Kühn glaubt, dass Computer immer öfter den Dozenten verzichtbar machen. Zum akzeptablen Gesprächspartner werde die Maschine auch durch das Internet.

    Er kann mir auch helfen, indem ich ins World Wide Web gehe und Kontakt habe zu anderen Lernenden am ganz anderen Ende der Welt. Also der Computer hilft mir, Kontakte aufzubauen, dann kann ich eine Video-Konferenz haben mit Leuten in Frankreich oder in Russland.

    Die auch vor dem Bildschirm sitzen. Das multimediale Angebot in Bremen gibt es für zahlreiche europäische Sprachen, aber auch für Türkisch, Russisch oder Chinesisch. Zur Auswahl steht eine große Zahl von Lernsoftware - häufig als Ergänzung zu herkömmlichen Lehrbüchern. Kurzfilme, Videokonferenzen oder interaktive Sprachreisen machen das Pauken lockerer. Und noch einen Vorteil sieht der Sprachstudent Kawaoka:

    Ich gehe lieber in den Unterricht. Aber hier habe ich mehr Zeit und ich kann herkommen, wann ich will: Wenn ich Zeit habe.

    Autor: Folkert Lenz