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Sprachenstreit in Brüssel

Belgien ist gespalten. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen wollen sich nicht recht verstehen: Der eine Teil beharrt darauf, flämisch zu sprechen, und der andere parliert französisch. Eine Delegation des Europarates besuchte jetzt die zerstrittenen Parteien.

Von Doris Simon | 15.05.2008
    Blitzlichtgewitter erwartete diese Woche die zwei Emissäre des Kongresses der Gemeinden und Regionen. Zwar hat das Gremium des Straßburger Europarates im Prinzip nichts zu sagen, sagen, aber für Belgien geht es um ein hochempfindliches und äußerst explosives Thema. Denn die zwei, ein Franzose und ein Serbe, untersuchen die Nichternennung von drei gewählten französischsprachigen Bürgermeistern aus dem flämischen Rand um Brüssel. Nach zwei Tagen voller Gespräche zog Michel Guegan, selber Bürgermeister eines kleinen Ortes in der Bretagne, folgendes Resümee eines typisch belgischen Problems:

    "Ich bin mir der komplexen Sprachensituation in Belgien bewusst, aber ich finde, ein bisschen gesunder Menschenverstand kann niemals schaden, um weiter zu kommen."

    Seit Januar 2007 warten die drei Bürgermeister im Osten und Süden von Brüssel auf ihre Ernennung durch den flämischen Innenminister, die zwingend vorgeschrieben ist. Die drei sind gewählt in Gemeinden auf flämischem Grund, dort leben seit vielen Jahrzehnten Flamen und französischsprachigen Belgiern zusammen: deshalb haben diese Gemeinden einen zweisprachigen Sonderstatus, gehören aber ohne Einschränkung zur Region Flandern. Der flämische Innenminister will die Bürgermeister nicht ernennen, weil sie gegen Vorschriften der Region Flandern verstoßen haben. So haben sie während der Gemeinderatssitzungen wiederholt französisch gesprochen und den französischsprachigen Wählern in ihrer Gemeinde Wahlbenachrichtigungen auf französisch zugesandt: Dies hätten die Bürgermeister nur auf schriftlichen Antrag der Bürger hin tun dürfen, sagt der Innenminister der Region Flandern und verweist auf die Sprachgesetze. Die Emissäre des Europarates erinnerten daran, dass auch Belgien die Charta unterschrieben habe, die den Kommunen Selbstverwaltung garantiere. Sehr zum Missfallen der flämischen Gesprächspartner kritisierten sie indirekt auch das Demokratieverständnis der Verantwortlichen:

    "Ich persönlich habe Zweifel, in wie weit ein Bürger an der lokalen Demokratie teilhaben kann, wenn er mit den Behörden nicht in seiner Muttersprache verkehren kann. Wie soll er den Diskussionen im Gemeinderat folgen, wie soll die von ihm gewählten Gemeindevertreter verstehen? Das ist eine beunruhigende Situation, wenn es sich um eine Minderheit handelt, aber es ist wiegt weitaus schwerer, wenn es sich um sich wie hier um die Mehrheit in der Gemeinde handelt."

    Die Flamen dagegen verweisen auf die Rechtslage und darauf, dass niemand gezwungen werde, in Flandern zu leben. Wer dies tue, der müsse eben Flämisch lernen. Außerdem werde überall dort, wo man dem Französischen keinen Einhalt gebiete, das Flämische zurückgedrängt. So wird der Besuch der Straßburger Beobachter nicht viel ändern: die Frankophonen fühlen sich bestätigt, die Flamen wie so oft unverstanden, und den meisten Belgiern ist es einfach peinlich, dass Beobachtermissionen in ihr Land geschickt werden wie sonst nur in die Türkei oder nach Lettland. Die drei gewählten Bürgermeister arbeiten ohnehin so weiter als seien sie ernannt. Francois van Hoobrouck d´Aspres, Wahlsieger in der Gemeinde Wezembeek-Oppem, hat ein besonders markiges Credo:

    "Wir befinden uns im Krieg. Ich halte es mit dem Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn und ich werde im Prinzip und in der Tat alle Vorbereitungen treffen, um uns zu verteidigen, mit allen Mitteln, die erforderlich sind."

    Am Ende wird sich mit diesem scheinbar lokal-regionalen Problem doch Premierminister Yves Leterme beschäftigen müssen. Der belgische Sprachenstreit geht quer durch alle Politikebenen, und so bleibt das Problem am Ende an Leterme hängen. Bis zum 15. Juli, das ist das Ultimatum, das seine Koalitionäre ihm gestellt haben, muss Belgiens Premier daneben noch zwei viel größere Brocken aus dem Weg räumen. Flandern möchte im Arbeitsmarkt und im Gesundheitswesen künftig vieles autonom entscheiden. Und zweimal bereits hat das Parlament mit der Mehrheit der zahlenmäßig überlegenen flämischen Abgeordneten gefordert, den letzten zweisprachigen Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde aufzuteilen. Das alles geht nicht ohne Zugeständnisse an die Frankophonen, und deshalb spricht Premier Leterme in letzter Zeit auffallend oft vom Wert des Kompromisses:

    "Wenn wir Belgien gut regieren wollen, müssen wir Kompromisse finden, die die Probleme lösen, das ist keineswegs unehrenhaft."

    Denn viele frankophone Belgier haben Angst, dass sich Flandern auf die Unabhängigkeit vorbereitet. Sie wollen deshalb unbedingt eine Ausbreitung der Region Brüssel erreichen: Bei einer Spaltung sollen die zweisprachigen Gemeinden zu Brüssel hinzukommen, dann würde die Region wenigstens an einer Stelle an die Wallonie angrenzen. Bisher ist Brüssel eine Insel im flämischen Meer. Eine solche Ausbreitung aber geht klar auf Kosten Flanderns- und deshalb ist sie für Flamen bis heute indiskutabel.