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Sprachtests, Einbürgerungskurse und Finanznachweise:

Ehrenmorde, Zwangsehen und verkappter Menschenhandel im Namen der Familienzusammenführung - wann immer die Rechte und die Würde der Frauen im Islam eingefordert werden, ist mittlerweile von Versäumnissen auf beiden Seiten die Rede: Dort der festgefügte archaische Verhaltens- und Ehrenkodex in den Familien. Hier, in den Gastländern, ein immer noch großes Desinteresse gegenüber den Frauen in Not.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Vor diesem Hintergrund verschärften die Niederlande im November 2004 den Familiennachzug: Frauen müssen jetzt mindestens 21 Jahre alt sein, wenn sie nach ihrer Eheschließung ihrem Mann ins Ausland hinterher reisen. Auf diese Weise sollen Zwangsehen von blutjungen Mädchen verhindert werden.
    Mehr noch: Um den Familiennachzug einzudämmen, wurden Mindesteinkommen festgelegt und Prüfungen eingeführt, die schon in den Herkunftsländern abgenommen werden. Einbürgerungskurse sind längst obligatorisch.

    Die Altersgrenze für Braut und Bräutigam war für Maha aus Marokko und Steven aus Den Haag zwar kein Problem. Aber es gab genügend andere Hindernisse zu überwinden, bevor Maha endlich vor der Tür stand.

    Ein Neubauviertel, 15 Kilometer vom Stadtzentrum von Den Haag entfernt - eine typische Mittelklassesiedlung: Vor den Reihenhäusern liegen Vorgärtchen mit Carport, dahinter dümpeln Boote im Wasser, denn die Gärten grenzen direkt an einen Kanal. Hier wohnen Ina und Dolf Kamermans mit ihrem jüngsten Sohn, dem 24 Jahre alten Steven.

    In der kleinen Küche herrscht ein gemütliches Chaos: die Spülmaschine muss noch ausgeräumt werden, auf dem Tisch stehen prallgefüllte Einkaufstaschen. Ina bereitet das Abendessen vor:

    Es gibt Käsefondu - und ein marokkanisches Fleischgericht, erklärt die 56-jährige Dozentin, eine grosse kräftige Frau mit blondem Pagenkopf und leuchtend blauen Augen. Sie müsse Rücksicht nehmen auf Maha. Das ist ihre zukünftige Schwiegertochter. Maha kommt aus Marokko und habe noch nie Käsefondue gegessen. Vielleicht schmeckt ihr das ja gar nicht

    Maha ist 24 Jahre alt und stammt aus einer marokkanischen Kleinstadt an der algerischen Grenze. Seit Weihnachten lebt sie bei den Kamermans, eine attraktive junge Frau mit schwarzen Locken und aufgewecktem Blick. Sie trägt Jeans und Schlabberpulli. Vor zweieinhalb Jahren hatte sie sich in den ebenfalls 24 Jahre alten Steven verliebt. Ein Jahr lang schickten sich die beiden Liebesbriefe per Post und sms - dann beschloss die Familie, Maha nach Holland zu holen:

    Es sei unglaublich schwierig gewesen, erzählt Maha. Zweimal wurde ihr Antrag auf ein Visum abgelehnt.

    Auf der niederländischen Botschaft habe sie sich die Frage gefallen lassen müssen, warum sie sich ausgerechnet einen holländischen Jungen ausgesucht habe und keinen belgischen oder französischen.

    Und sie habe "Beweismaterial" vorlegen müssen, Briefe und Fotos von Steven zum Beispiel, oder ihren Verlobungsring:

    Zum grössten Problem aber sollte die Einkommensgrenze werden: Wer seinen Partner aus dem Ausland holen will, muss mindestens 1.135 Euro netto verdienen. Steven jedoch brachte es als einfacher Arbeiter in einem Transportunternehmen auf gerade einmal 1.050 Euro. Seine Mutter schaute deshalb höchstpersönlich bei seinem Chef vorbei, um ihn zu einer Gehaltserhöhung zu überreden.

    Jetzt soll das erforderliche Mindesteinkommen noch höher angesetzt werden: bei 1.350 Euro.

    Es ist alles viel zu streng geworden - und zu teuer! Wir mussten bereits 500 Euro bezahlen für eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung. Der normale Einbürgerungskurs wird uns mindestens 6.000 Euro kosten. Bald kommen nur noch reiche, gutausgebildete Immigranten zu uns - aber genau das ist wahrscheinlich das Ziel unserer Regierung!

    Inas Mann Dolf ist hinzugekommen. Und er verteidigt die neue Politik: Es gehe einfach nicht anders in dem Land mit der grössten Bevölkerungsdichte Europas, erklärt der Manager einer grossen Versicherungsgesellschaft. "Wer aufwischen will, muss erst einmal den Wasserhahn zudrehen", pflegte Pim Fortuyn ganz derb zu sagen. So weit will Dolf zwar nicht gehen, aber man müsse zumindest dafür sorgen, dass der Wasserhahn nur noch tropfe:

    Natürlich musste etwas geschehen, so konnte es nicht weitergehen. Aber müssen wir deshalb gleich übers Ziel hinausschiessen und von einem Extrem ins andere fallen?

    Was jetzt geschehe, sei das umgekehrte Spiegelbild zu den 60er Jahren, sagt Ina, das Land habe sich damals ebenso radikal verändert, nur in die entgegengesetzte Richtung: Die streng calvinistische und prüde Gesellschaft der Nachkriegsjahre habe sich damals von allen Zwängen befreit. In den Niederlanden war erlaubt, was anderswo verboten war: Hier konnte man kiffen und abtreiben, hier fühlten sich auch Schwule und Lesben so richtig frei. "Moet kunnen", wurde zum Credo der Hippiegeneration: "Muss drin sein."

    Es war ein enormer Befreiungsschlag, auch ich experimentierte nach einer furchtbar prüden und strengen Erziehung auf einmal mit Hasch und mit der freien Liebe. Denn Treue war in meiner ersten Ehe eine Sünde, wir führten eine sogenannte offene Ehe. Auch das musste drin sein.

    Und die Liberalität machte auch bei der Zuwanderungs- und Asylpolitik nicht halt: Man habe jeden unkontrolliert reingelassen, und wer drin war, wurde in Watte gepackt, durfte kostenlos Fahrrad-, Schwimm- oder Kochkurse machen.

    "Gedogen" lautete das Zauberwort, das lange Zeit das Selbstbild der Niederländer prägte, zu deutsch etwa: dulden, tolerieren. Weiche Drogen wurden ebenso gedoogd wie Radler, die grundsätzlich ohne Licht fuhren. Bald wurden auch in Behörden und Ministerien regelmässig sämtliche Augen zugedrückt. Die Niederländer hätten alles schleifen lassen und seien viel zu lange im Geist der 60er Jahre hängengeblieben:

    So habe Pim Fortuyn zu einem Katalysator werden können für diesen schockartigen Kurswechsel: Er sorgte für einen Rechtsruck, der zwar später kam als in den umringenden Ländern, aber umso heftiger: Das ganze Land habe damals geradezu gelechzt nach Veränderung:

    Jetzt ist das Gefühl der 60er Jahre völlig verschwunden. Auch ich bin brav und bürgerlich geworden - aber immer noch offen genug, um eine Immigrantin ins Haus zu holen!

    Maha hat inzwischen das Radfahren gelernt und paukt nederlands. Ihren Beschluss, nach Holland zu kommen, hat sie noch keine Sekunde bereut. Auch nicht, als sie noch in Marokko von der Ermordung van Goghs hörte:

    Einen Moment lang dachte ich: Oje, jetzt wird das mit dem Visum erst recht nicht klappen! Natürlich redete damals auch bei uns jeder über das Attentat!

    Mehrmals bekam sie von ihren Landsleuten zu hören, dass dies der schlechteste Zeitpunkt sei, um ausgerechnet nach Holland zu emigrieren, aber davon will sie nichts wissen:

    Die Gesetze werden so streng, ich glaube nicht, das mir das später noch gelungen wäre.