Das Schwierigste gleich zu Beginn, ein Zitat aus einem Gesetzestext:
" Der besondere Steuersatz nach Absatz 1 ist der Steuersatz, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das nach § 32a Abs. 1 zu versteuernde Einkommen vermehrt oder vermindert wird um - im Fall des Absatzes 1 Nr. 2 bis 5 - die dort bezeichneten Einkünfte, wobei die darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte mit einem Fünftel zu berücksichtigen sind. "
Alles klar? Dabei war das nur der erste Satz; der Absatz mäandert noch weiter, windet sich um Querverweise und Nebensätze, verliert sich in anderen Paragrafen und Fußnoten. Man könnte Dutzende solcher Wortungetüme zitieren, die im Gesetz zur Einkommensteuer stehen. Aber dieses wurde exklusiv ausgewählt - von Beamten des Justizministeriums selbst. Sie waren sicher erleichtert, als das Gesetz verabschiedet und damit von ihrem Tisch war. Aber richtig froh waren weder sie noch Politiker und Anwälte. Ole Schröder hat nicht nur dieser unverständliche Gesetzestext gestört:
" Ich bin von Beruf Rechtsanwalt und habe in der Praxis erlebt, dass selbst Rechtsexperten nicht mehr in der Lage sind, die Gesetze, die Verordnungen zu verstehen. Das hat mich schon als Student gestört, aber jetzt als Parlamentarier habe ich natürlich die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, und das ist der Grund gewesen, weshalb ich das in Angriff genommen habe. "
Ole Schröder sitzt seit fünf Jahren im Bundestag, für die CDU. Anstatt sich auf die formulierenden Rechtsexperten zu verlassen und sich allmählich an ein unanfechtbares, dafür unverständliches Deutsch zu gewöhnen, macht er sich stark für eine bessere Verständlichkeit. Er fand Mitstreiter, im Kollegenkreis und in der Gesellschaft für deutsche Sprache. Sie feiert gerade ihr 60-jähriges Bestehen und ist u.a. verantwortlich für das "Wort des Jahres". Allerdings ist die Gesellschaft schon seit über vier Jahrzehnten am Ort des Geschehens: durch den "Redaktionsstab beim Deutschen Bundestag". Als Mitte der 60er Jahre das Raumordnungsgesetz zur Verabschiedung vorlag, wies es der damalige Parlamentspräsident Eugen Gerstenmaier wegen Unverständlichkeit zurück und ließ es durch die Gesellschaft bearbeiten. Seit 2002 leitet Stephanie Thieme den Redaktionsstab.
" Der Stab ist sehr klein, und deswegen ist das Wort "Stab" auch nicht richtig; zumindest täuscht es etwas Anderes vor. In der Regel sind zwei Leute dort beschäftigt, zwei halbe Stellen. Diese Arbeit hat zwei Schwerpunkte: einmal machen wir eine Sprachberatung im ganz alltäglichen Sinne. Uns können also Behördenmitarbeiter und Parlamentarier anrufen und sagen: wo steht hier das Komma, welchen Fall muss ich hier benutzen? Kleinere Sprachgutachten auch für Behörden und fürs Parlament. "
Und zweitens die Prüfung auf Gesetzestexte, ob sie sprachlich in Ordnung und verständlich sind. Das ist sogar in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien bindend vorgeschrieben, denn:
Gesetzentwürfe müssen sprachlich richtig und möglichst für jedermann verständlich gefasst sein.
Thieme: " Ich muss an dieser Stelle sagen, dass wir nicht alle Gesetzentwürfe bekommen, was im Moment auch gut ist, denn das würden wir im Moment nicht schaffen, (zwei halbe Stellen), und wir müssen auch da schon, bei dem, was eingeht, gewichten, was ist wichtig, was macht Sinn? Ich erkundige mich auch in der Regel, in welchem Verfahrensstadium wir uns befinden, weil ich inzwischen mit meiner Erfahrung weiß: nach Kabinetts-Reife macht eine sprachliche Beratung null Sinn. "
Ein Grund ist die Furcht, dass jede Änderung neu geprüft und abgestimmt werden müsste. Da nimmt man in Kauf, dass der Text eben nur "möglichst" für jedermann verständlich ist. Der andere Grund mag im Prozess selbst liegen: je komplizierter ein Sachverhalt, desto schwieriger das Schreiben. Matthias Schmid, Regierungsdirektor im Bundesjustizministerium fügt an:
" Es besteht die Gefahr besonders dann, wenn Sie sich eine gewisse Expertise erworben haben, sich letztlich in dieser Expertise zu verlieren und nicht mehr zu sehen, dass Sie dann, wenn sie mit Nicht-Experten kommunizieren, eben diese Expertise bei Ihrem Adressaten nicht voraussetzen können. Also wir müssen sowohl im politischen Prozess aber auch im Blick auf die künftige Anwendung immer wieder versuchen, diese hochkomplizierten Materien auf eine gewisse einfache Strukturen herunter zu brechen. Das bedeutet viel Arbeit. Sie kennen dieses Bonmot von Goethe: "Ich hatte keine Zeit, einen kurzen Brief zu schreiben; deswegen schreibe ich einen langen". Das ist bei Gesetzen nicht anders. "
Die Gesellschaft für deutsche Sprache kann den Experten diese Arbeit nicht abnehmen, und will das auch nicht, selbst in Hinblick auf eine optimal-verständliche Sprache, sagt Rudolf Hoberg, der Vorsitzende der Gesellschaft:
" Es ist natürlich völlig unsinnig, dass ein Sprachwissenschaftler hingeht und sagt: ihr müsst jetzt alle Gesetze so machen, dass wir sie gut verstehen können, und das ist das Primäre. Da sagt der Jurist natürlich sofort: das primäre ist, dass wir einen klaren rechtlichen Sachverhalt schaffen. Und jetzt geht der Punkt darum, dass wir sagen: können Sie den nicht auch in einer andere Sprache machen? Verlieren Sie irgend etwas, wenn Sie es so formulieren und nicht so formulieren? "
Was Sachverstand in beiden Richtungen voraussetzt, sprachlich wie juristisch. Stephanie Thieme besitzt beides, hat Jura und Germanistik studiert. Worauf es ihr ankommt, ist der frühest mögliche Beginn der Arbeit mit dem Text, so wie es in der Schweiz seit Jahrzehnten geschieht. Ihr Kollege in der Bundeskanzlei Bern ist Markus Nussbaumer, Leiter Zentrale Sprachdienste. Hier arbeiten von Beginn an ein Linguist und ein Jurist zusammen.
" Normalerweise ist es so, dass ein Fachamt in der Verwaltung einen ersten Entwurf schreibt. Und wenn dieser erste Entwurf zum ersten Mal das Haus verlässt und die anderen Ämter, die Bundesverwaltung eingeladen werden, eine Stellungnahme abzugeben (inhaltlicher Art natürlich), in dieser Situation werden wir von der Redaktionskommission zum ersten Mal mit diesem Text konfrontiert und machen dann das erste Mal redaktionelle Vorschläge. Das ist dann aber nicht das letzte Mal, sondern das erste Mal, also in einem Moment, wo das inhaltlich noch sehr im Fluss ist, weil zu diesem Zeitpunkt ganz viele inhaltliche Änderungswünsche von den anderen Ämtern herkommen. "
Und dann gibt es in der Schweiz noch eine parlamentarische Redaktionskommission: wenn die Parlamentarier Änderungswünsche haben, setzen sich wieder Experten beider Seiten zusammen, um weder juristischen Sinn noch sprachliche Verständlichkeit unter die Räder kommen zu lassen.
Traumhafte Zustände für die deutschen Kollegen. Doch nachdem nun aus dem Parlament selbst der Ruf nach besserer Sprache gekommen ist, bahnen sich Änderungen an. Nach Schweizer Vorbild werden im Bundesjustizministerium derzeit vier Texte im Projekt "Verständliche Gesetze" verfasst. Darunter, so Stephanie Thieme, ist das Wohngeldgesetz, das im Januar verabschiedet werden soll:
" Das interessante an diesem Projekt war, dass der zuständige Referent uns eingeladen hat und gesagt hat, zwei Stunden Zeit schneide er sich aus den Rippen, um sich unsere sprachlichen Korrekturen anzuhören, zu diskutieren. Und aus diesen zwei Stunden sind dann mehrere Tage geworden mit Sitzungen von morgens bis abends, weil er gemerkt hat, dass es mit zwei Stunden eben nicht getan ist. Aber - Gott sei dank - der entsprechende Referent auch Blut geleckt hat, weil er gemerkt hat, wenn ich eine sprachliche Verbesserung bringe, mache ich das, was ich inhaltlich regeln will, auch transparenter, auch klarer, und dann bereit war, mehr als zwei Stunden zu investieren. "
" Der besondere Steuersatz nach Absatz 1 ist der Steuersatz, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das nach § 32a Abs. 1 zu versteuernde Einkommen vermehrt oder vermindert wird um - im Fall des Absatzes 1 Nr. 2 bis 5 - die dort bezeichneten Einkünfte, wobei die darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte mit einem Fünftel zu berücksichtigen sind. "
Alles klar? Dabei war das nur der erste Satz; der Absatz mäandert noch weiter, windet sich um Querverweise und Nebensätze, verliert sich in anderen Paragrafen und Fußnoten. Man könnte Dutzende solcher Wortungetüme zitieren, die im Gesetz zur Einkommensteuer stehen. Aber dieses wurde exklusiv ausgewählt - von Beamten des Justizministeriums selbst. Sie waren sicher erleichtert, als das Gesetz verabschiedet und damit von ihrem Tisch war. Aber richtig froh waren weder sie noch Politiker und Anwälte. Ole Schröder hat nicht nur dieser unverständliche Gesetzestext gestört:
" Ich bin von Beruf Rechtsanwalt und habe in der Praxis erlebt, dass selbst Rechtsexperten nicht mehr in der Lage sind, die Gesetze, die Verordnungen zu verstehen. Das hat mich schon als Student gestört, aber jetzt als Parlamentarier habe ich natürlich die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, und das ist der Grund gewesen, weshalb ich das in Angriff genommen habe. "
Ole Schröder sitzt seit fünf Jahren im Bundestag, für die CDU. Anstatt sich auf die formulierenden Rechtsexperten zu verlassen und sich allmählich an ein unanfechtbares, dafür unverständliches Deutsch zu gewöhnen, macht er sich stark für eine bessere Verständlichkeit. Er fand Mitstreiter, im Kollegenkreis und in der Gesellschaft für deutsche Sprache. Sie feiert gerade ihr 60-jähriges Bestehen und ist u.a. verantwortlich für das "Wort des Jahres". Allerdings ist die Gesellschaft schon seit über vier Jahrzehnten am Ort des Geschehens: durch den "Redaktionsstab beim Deutschen Bundestag". Als Mitte der 60er Jahre das Raumordnungsgesetz zur Verabschiedung vorlag, wies es der damalige Parlamentspräsident Eugen Gerstenmaier wegen Unverständlichkeit zurück und ließ es durch die Gesellschaft bearbeiten. Seit 2002 leitet Stephanie Thieme den Redaktionsstab.
" Der Stab ist sehr klein, und deswegen ist das Wort "Stab" auch nicht richtig; zumindest täuscht es etwas Anderes vor. In der Regel sind zwei Leute dort beschäftigt, zwei halbe Stellen. Diese Arbeit hat zwei Schwerpunkte: einmal machen wir eine Sprachberatung im ganz alltäglichen Sinne. Uns können also Behördenmitarbeiter und Parlamentarier anrufen und sagen: wo steht hier das Komma, welchen Fall muss ich hier benutzen? Kleinere Sprachgutachten auch für Behörden und fürs Parlament. "
Und zweitens die Prüfung auf Gesetzestexte, ob sie sprachlich in Ordnung und verständlich sind. Das ist sogar in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien bindend vorgeschrieben, denn:
Gesetzentwürfe müssen sprachlich richtig und möglichst für jedermann verständlich gefasst sein.
Thieme: " Ich muss an dieser Stelle sagen, dass wir nicht alle Gesetzentwürfe bekommen, was im Moment auch gut ist, denn das würden wir im Moment nicht schaffen, (zwei halbe Stellen), und wir müssen auch da schon, bei dem, was eingeht, gewichten, was ist wichtig, was macht Sinn? Ich erkundige mich auch in der Regel, in welchem Verfahrensstadium wir uns befinden, weil ich inzwischen mit meiner Erfahrung weiß: nach Kabinetts-Reife macht eine sprachliche Beratung null Sinn. "
Ein Grund ist die Furcht, dass jede Änderung neu geprüft und abgestimmt werden müsste. Da nimmt man in Kauf, dass der Text eben nur "möglichst" für jedermann verständlich ist. Der andere Grund mag im Prozess selbst liegen: je komplizierter ein Sachverhalt, desto schwieriger das Schreiben. Matthias Schmid, Regierungsdirektor im Bundesjustizministerium fügt an:
" Es besteht die Gefahr besonders dann, wenn Sie sich eine gewisse Expertise erworben haben, sich letztlich in dieser Expertise zu verlieren und nicht mehr zu sehen, dass Sie dann, wenn sie mit Nicht-Experten kommunizieren, eben diese Expertise bei Ihrem Adressaten nicht voraussetzen können. Also wir müssen sowohl im politischen Prozess aber auch im Blick auf die künftige Anwendung immer wieder versuchen, diese hochkomplizierten Materien auf eine gewisse einfache Strukturen herunter zu brechen. Das bedeutet viel Arbeit. Sie kennen dieses Bonmot von Goethe: "Ich hatte keine Zeit, einen kurzen Brief zu schreiben; deswegen schreibe ich einen langen". Das ist bei Gesetzen nicht anders. "
Die Gesellschaft für deutsche Sprache kann den Experten diese Arbeit nicht abnehmen, und will das auch nicht, selbst in Hinblick auf eine optimal-verständliche Sprache, sagt Rudolf Hoberg, der Vorsitzende der Gesellschaft:
" Es ist natürlich völlig unsinnig, dass ein Sprachwissenschaftler hingeht und sagt: ihr müsst jetzt alle Gesetze so machen, dass wir sie gut verstehen können, und das ist das Primäre. Da sagt der Jurist natürlich sofort: das primäre ist, dass wir einen klaren rechtlichen Sachverhalt schaffen. Und jetzt geht der Punkt darum, dass wir sagen: können Sie den nicht auch in einer andere Sprache machen? Verlieren Sie irgend etwas, wenn Sie es so formulieren und nicht so formulieren? "
Was Sachverstand in beiden Richtungen voraussetzt, sprachlich wie juristisch. Stephanie Thieme besitzt beides, hat Jura und Germanistik studiert. Worauf es ihr ankommt, ist der frühest mögliche Beginn der Arbeit mit dem Text, so wie es in der Schweiz seit Jahrzehnten geschieht. Ihr Kollege in der Bundeskanzlei Bern ist Markus Nussbaumer, Leiter Zentrale Sprachdienste. Hier arbeiten von Beginn an ein Linguist und ein Jurist zusammen.
" Normalerweise ist es so, dass ein Fachamt in der Verwaltung einen ersten Entwurf schreibt. Und wenn dieser erste Entwurf zum ersten Mal das Haus verlässt und die anderen Ämter, die Bundesverwaltung eingeladen werden, eine Stellungnahme abzugeben (inhaltlicher Art natürlich), in dieser Situation werden wir von der Redaktionskommission zum ersten Mal mit diesem Text konfrontiert und machen dann das erste Mal redaktionelle Vorschläge. Das ist dann aber nicht das letzte Mal, sondern das erste Mal, also in einem Moment, wo das inhaltlich noch sehr im Fluss ist, weil zu diesem Zeitpunkt ganz viele inhaltliche Änderungswünsche von den anderen Ämtern herkommen. "
Und dann gibt es in der Schweiz noch eine parlamentarische Redaktionskommission: wenn die Parlamentarier Änderungswünsche haben, setzen sich wieder Experten beider Seiten zusammen, um weder juristischen Sinn noch sprachliche Verständlichkeit unter die Räder kommen zu lassen.
Traumhafte Zustände für die deutschen Kollegen. Doch nachdem nun aus dem Parlament selbst der Ruf nach besserer Sprache gekommen ist, bahnen sich Änderungen an. Nach Schweizer Vorbild werden im Bundesjustizministerium derzeit vier Texte im Projekt "Verständliche Gesetze" verfasst. Darunter, so Stephanie Thieme, ist das Wohngeldgesetz, das im Januar verabschiedet werden soll:
" Das interessante an diesem Projekt war, dass der zuständige Referent uns eingeladen hat und gesagt hat, zwei Stunden Zeit schneide er sich aus den Rippen, um sich unsere sprachlichen Korrekturen anzuhören, zu diskutieren. Und aus diesen zwei Stunden sind dann mehrere Tage geworden mit Sitzungen von morgens bis abends, weil er gemerkt hat, dass es mit zwei Stunden eben nicht getan ist. Aber - Gott sei dank - der entsprechende Referent auch Blut geleckt hat, weil er gemerkt hat, wenn ich eine sprachliche Verbesserung bringe, mache ich das, was ich inhaltlich regeln will, auch transparenter, auch klarer, und dann bereit war, mehr als zwei Stunden zu investieren. "