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Sprechende Hilfen für Blinde

Technik. – 60 bis 80 Stunden mit einem Begleiter muss ein Blinder üben um seine alltäglichen Wege mit den weißen Langstock ertasten zu können. Unbekanntes Gelände ist für die meisten Blinden ohne Begleitung kaum zu schaffen. Das könnte sich ändern, denn im Institut für Visualisierung und Interaktive Systeme, kurz VIS, der Universität Stuttgart arbeitet man an Sprechenden Navigations-Hilfen für Blinde.

Von Cajo Kutzbach |
    "Seminarraum 0363. Blickrichtung 0 Uhr. Aktueller Standpunkt 23,5 - 74,6."

    Dr. Andreas Hub steht im Erdgeschoss des Informatikgebäudes der Universität Stuttgart in Raum 363. An einem breiten Gurt um den Hals trägt er einen handelsüblichen kleinen Computer, hinter dem eine Tastatur angebracht ist. Die Oberfläche des etwa Schulheft-großen flachen Rechners besteht aus einem berührungsempfindlicher Bildschirm. Andreas Hub führt daran die von ihm entwickelte Software vor. Hub:

    "Es erscheint die Karte vom Informatikgebäude und man kann schon einzelne Seminarräume erkennen. Und was jetzt sichtbar wird, ist ein Kreis mit einer Kompassnadel. Und wenn ich den angeschlossenen Inertialsensor - also in diesem Inertialsensor ist ein 3-D-Kompass integriert - bewege, sieht man auch, wie sich die Kompassnadel hier ändert. Und diese Information kann durch Drücken der Informationstaste abgerufen werden."
    Der Kompass-Sensor ist auf dem Tragriemen im Nacken des Benutzers angebracht, so dass der Computer Standort und Blickrichtung kennt. Damit der Rechner weiß, wie weit der Blinde geht, zählt ein Schrittzähler dessen Schritte. Damit Blinde den Bildschirm nutzen können, sind der Standort, sowie die Funktionstasten mit aufgeklebten Folien markiert. Auch an mehrfach Behinderte wurde gedacht. Hub:

    "Für Taubblinde haben wir inzwischen auch ein System entwickelt: Da wird das Ergebnis, also zum Beispiel die Raumnummer oder der Raumname über eine portable Braillezeile ausgegeben."

    Also auf einem kleinen Kästchen in Blindenschrift. Das ganze System heißt Tania. Die Abkürzung steht für einen Assistenten, der auf Tastendruck dem Benutzer sagt, wo er sich befindet. Die dafür nötigen digitalen Pläne soll der Blinde später im Internet bekommen, oder mobil über Funk. Gerätkombination, Software und digitale Pläne könnten Blinden jenes Wissen vermitteln, das sie sich heute mit dem Blindentrainer erarbeiten müssen, wenn sie eine Strecke ohne Begleiter bewältigen wollen. Nur so kann sich ein Blinder halbwegs zügig durch Tasten mit dem Langstock bewegen. Diesen Blindenstock ersetzt das Gerät nicht, erklärt Andreas Hub:

    "Also, es ersetzt den Langstock nicht. Es ist kein Hindernis-Erkennungs-System. Aber es kann eben zusätzliche Navigationsinformationen liefern und eben auch die Navigation in unbekannten Gebäuden oder unbekannten Umgebungen erleichtern."

    Für den nächsten Schritt - ein Hinderniserkennungssystem - entwickelte Andreas Hub einen Helm mit Kameras. Deren Bilder vergleicht der Rechner mit einem dreidimensionalen Plan, sowie Möbel, Fahrzeuge oder Menschen mit Gegenständen, deren Aussehen er bereits gelernt hat. Hub:

    "Also der jetzige Stand der Forschung ist, dass wir zum Beispiel Stühle anhand ihrer Form und Farbe erkennen können, trainieren können und sie, wenn sie an anderer Stelle stehen, wieder erkennen können","
    so dass der Rechner Blinden sagen kann, wo diese stehen. - Tania soll auch zusätzliche Informationen vermitteln, die an bestimmten Orten über Funk mit kurzer Reichweite bereit gehalten werden. Solche Dienste werden vielerorts vorbereitet. Hub:

    ""Zum Beispiel würde sich anbieten, im Eingang zu einem Restaurant oder an den Tischen die Speisekarte zu verlinken und wenn ich hier auf die Informationstaste wieder klicke:"

    "Blickrichtung 11 Uhr. Aktueller Standpunkt: 35,5 - 70. Portion Kräuterflädlessuppe, schwäbische Art, 2,90; rote Linsensuppe mit Minze, pikant gewürzt."

    Genau so sollen in Zukunft Fahrpläne, Programme von Veranstaltungen oder Lagepläne bereit stehen. Bei beiden Systemen ist noch viel zu tun: Pläne müssen verfügbar gemacht werden, und die Geräte sind noch zu unhandlich und teuer. Hub:

    "Es sollte alles eben noch deutlich verkleinert werden und leichter gemacht werden. Aber die prinzipiellen technischen Probleme sind gelöst."