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Sprechübungen und Entertainment

Die Reichen parken ihr Geld in Steuer-Oasen und verzocken an der Börse die Gelder der kleinen Leute. In Zürich, der Steuer-Oase par excellence, schlägt man sich dann im öffentlich subventionierten Theater kritisch an die Brust. Ein gelungener Theaterabend sieht anders aus, meint Christian Gampert.

Von Christian Gampert |
    Aus der Getränke-Industrie ist uns der Begriff des Sechserpacks geläufig; in der Theater-Industrie werden wir uns nun an den Dreierpack gewöhnen müssen. Das Prinzip ist einfach: Man hat mehrere schwache kurze Stücke, die für sich nicht weit tragen; aber zu dritt, als Triumvirat, sind sie ja fast abendfüllend! Man muss sie freilich noch unter einem Oberthema zusammenbinden; in Zürich, wo die Reichen wohnen, die sich um die Armen ganz viele Sorgen machen, heißt dieses Thema "Arm und Reich".

    Mit der Finanzkrise, die die soziale Ungleichheit natürlich verschärft, haben die drei Werke allerdings nur peripher zu tun. Bei Licht besehen sind sie auch keine Theaterstücke; besonders der erste Beitrag, "Nabokovs Tintenklecks" von Michail Schischkin, ist astreine Kurzprosa, die vom Regisseur Bastian Kraft durch allerlei optische und akustische Verfremdungen theatralisch aufgemotzt werden muss.

    "Ich stand am Flughafen Kloten in der Ankunftshalle, hielt ein Schild mit dem Familiennamen Korolev in der Hand - und war glücklich …"

    Es geht um einen russischen Emigranten, der in der Schweiz als Übersetzer arbeitet und kein wirkliches Einkommen hat. Der Mann gerät an einen neureichen Russen, der in der Schweiz Geschäfte macht – und in dem er einen früheren Kommilitonen erkennt, der unter dem kommunistischen Regime Komsomol-Funktionär war, aber auch im Kapitalismus auf der Sonnenseite steht. Der Neureiche residiert mit seiner Familie in genau jener Hotel-Suite in Montreux, in der der Schriftsteller Vladimir Nabokov an seinem Lebensabend wohnte. Heiliger Ort: In der Schreibtischschublade befindet sich noch ein Tintenklecks! Die schmale Botschaft: Offenbar gibt es eine durchsetzungsfähige Spezies, die jede Schweinerei mitmacht, dann aber nahe am literarischen Olymp wohnen darf. Grundiert wird das von der bangen Frage: Sind wir nicht alle anfällig für die Anpassung, weil wir unsere Lieben gescheit ernähren wollen?

    Warum man das aufführen muss, bleibt schleierhaft. Zwei Schauspieler tragen Kopfhörer und sprechen einen Text nach, der ihnen angeblich aufs Ohr gedrückt wird. Das Ganze hat eine sakrale Anmutung, gutes altes moralisches Theater, und wir sind schwer ergriffen.
    Dann aber geht es gleich beschwingt ins Entertainment: Zwei Damen der höheren Gesellschaftsschicht wollen Gutes tun und eine Stiftung gründen; ihnen zur Seite stehen zwei schleimende Figuren, die Finanzberater oder Juristen und jedenfalls dienstbar sind.

    "Wir fragen uns: Was kann man tun für diese Welt, die doch geschlagen ist mit Leid – es ist ein Leid, ein großes Leid in dieser Welt. Nicht wahr?"

    Der Text ist ein Nebenbeiprodukt des Dramatikers Händl Klaus, der ein paar Phrasen hingeschludert hat – der Regisseur Sebastian Nübling rettet sich in glamourösen Aktionismus, indem er seine Schauspieler die Bühne betänzeln und ineinander geschachtelte Sprechübungen abhalten lässt. Abstrakte Begriffe wie "Geldfluss" oder "Wohltätigkeit" werden vom Regisseur versinnbildlicht, indem er seine Schauspieler einen ruckartig karikierten Geschlechtsverkehr zu viert vorführen lässt. Wo früher die Tiller-Girls die Beinchen schmissen, wird jetzt das Becken bewegt. Das ist zeitweise sogar ganz lustig anzusehen, hat sich aber bald erschöpft. Einzige Tröstung ist die Schauspielerin Anne Ratte-Polle, die mit wenigen Strichen eine grandiose Oberschicht-Zicke, eine High-Society-Schlange auf die Bühne bringt.

    Zum schlechten Schluss dann noch ein Dialog von Lukas Bärfuss, der eigentlich ein verkappter Essay ist: Starjournalistin interviewt Sektenführer, der wegen Steuerhinterziehung angeklagt ist.

    "Frau Hoffmann, was haben Sie mir mitgebracht? – Einige Fragen. – Nichts weiter? – Was haben Sie erwartet? – Alles, Frau Hoffmann, ich erwarte immer alles!"

    Neben hübschen Parallelen zum Fall Hoeneß haben wir hier die Besonderheit, dass der Guru das gesamte Besitztum seiner Jünger übereignet bekommt. Steuern will er nicht zahlen, weil er fremden Göttern nicht opfern möchte und mit dem Staat keinen Vertrag unterzeichnet hat. So kann man das auch sehen.

    Regisseurin Barbara Frey hat mit Lambert Hamel und Friederike Wagner tolle Schauspieler zur Verfügung. Die Aufführung kommt aber über staatstheatralisches Rezitieren nicht hinaus. Also: Die Reichen parken ihr Geld in Steuer-Oasen und verzocken an der Börse die Gelder der kleinen Leute; und in Zürich, der Steuer-Oase par excellence, schlägt man sich dann im öffentlich subventionierten Theater kritisch an die Brust. Das Problem ist nur, dass das - im Züricher Schiffbau - auch nur wieder die Reichen ansehen, für die man in den Beton extra barocke Zuschauer-Logen hineingebaut hat. Für die Armen ist der Eintritt zu teuer.