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Spritze gegen das Vergessen

Medizin. – Die Überalterung der Gesellschaft ist gut absehbar – und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass Altersleiden wie Alzheimer entsprechend zunehmen werden. Mit den Konsequenzen beschäftigt sich das EU-Projekt APOPIS.

Von Volkart Wildermuth | 20.01.2006
    Im Zentrum der Alzheimerschen Krankheit steht das Amyloid. Eigentlich ist das ein Abfallprodukt, es entsteht beim Abbau eines nützlichen Eiweißes durch zwei inzwischen ganz genau bekannte molekulare Scheren. Doch dieses Abfallprodukt kann das Gehirn nur schlecht entsorgen. Im Lauf der Jahrzehnte sammelt sich immer mehr Amyloid an, der Müll klumpt zusammen und beginnt, die Nerven zu vergiften. Letztlich sterben sie ab, die Denkleistung lässt nach bis die Patienten noch nicht einmal mehr ihre engsten Verwandten erkennen, ängstlich und verwirrt sind. Im Gehirn finden sich dann leere Hüllen von Nervenzellen und überall große Klumpen Amyloid, die so genannten Plaques. Viele Forscher hoffen, dass sich dieser Krankheitsprozess stoppen lässt. Vor einigen Jahren haben sie deshalb versucht, Alzheimerpatienten gegen Amyloid zu impfen, um sozusagen das Immunsystem als Müllabfuhr zu verwenden, erklärt Professor Christian Haass von der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

    "Man impft genau mit dem krankheitsverursachenden Stoff. Und das hat zur Folge, dass der Mensch dann ganz normal Antikörper dagegen herstellt. Diese Antikörper erkennen natürlich das Amyloid und gehen erstaunlicherweise auch ins Gehirn, erkennen dort Plaques und deren Vorstufen. Das hat zur Folge, dass die Plaques durch entsprechende Zellen regelrecht zerfressen werden und verschwinden."

    Das zumindest legen Tierversuche nahe. In einer Pilotstudie an Menschen schien die Amyloid-Impfung auch gut verträglich, doch bei einer größeren Studie traten Nebenwirkungen auf. Sechs Prozent der Patienten entwickelten eine schwere Gehirnhautentzündung. Die Krankheit ließ sich behandeln, doch bei einigen wenigen Patienten beschleunigte sich der Gedächtnisverlust - die Studie wurde abgebrochen. Nur an der Universität Zürich machten sich die Forscher um Professor Roger Nitsch die Mühe, die Patienten weiter engmaschig zu betreuen. Das Ergebnis verblüfft Christian Haass, der im Rahmen des Europäischen Forscherverbundes APOPIS (Abnormal Proteins in the Pathogenesis of Neurodegenerative Disorders) eng mit seinen Zürcher Kollegen zusammenarbeitet. Normalerweise wird die Gedächtnisleistung bei Alzheimerpatienten von Monat zu Monat schlechter.

    "Bei den Patienten in dieser kleinen Studie ist die Gedächtnisleistung stabilisiert. Und nicht nur das. Man hat ursprünglich festgestellt, dass kurz nach der Impfung im ersten Jahr regelrecht eine Schrumpfung des Gehirns auftrat, was natürlich auf den ersten Blick erschreckend ist, aber auf den zweiten Blick zu erwarten ist, weil ja alle Plaques entfernt werden. Das macht ein riesiges Volumen aus, aber ein Jahr später fängt das Gehirnvolumen an, zu wachsen. Das heißt, man könnte fast - und das ist jetzt eine wilde Spekulation - davon ausgehen, dass es hier eine Regeneration im Gehirn gibt."

    Die Betonung liegt hier auf "Spekulation". Selbst wenn Nerven regenerieren, ist nicht damit zu rechnen, dass die Patienten einmal verlorene Fähigkeiten zurückgewinnen können. Die Zürcher Studie ist zu klein für eindeutige Aussagen. Aber immerhin. Es gibt erste Hinweise, dass eine Impfung gegen das Amyloid den Krankheitsprozess tatsächlich merkbar beeinflussen kann. Jetzt gehen die Forscher mit frischem Elan daran, das Problem der Nebenwirkungen in den Griff zu bekommen. Dazu gibt es derzeit zwei Strategien. Einerseits kann man darauf verzichten, das Immunsystem der Patienten zu aktivieren und ihnen stattdessen künstlich erzeugte Antikörper gegen das Amyloid spritzen. Der Vorteil: bei Nebenwirkungen lässt sich die Behandlung einfach stoppen. Dieser Ansatz wird derzeit in einer weltweiten Studie erprobt. Mit ersten Ergebnissen ist 2007 zu rechnen. Parallel versuchen Forscher, auch aus dem APOPIS-Verbund, nicht das komplette Amyloid als Impfstoff einzusetzen, sondern nur Bruchstücke, die dann keine Entzündung mehr auslösen.

    "Also in Tierversuchen ist das alles quer durch gemacht worden, auf alle Arten und Weisen hat, man hat verschiedene Bindungsstellen identifiziert, die keine Entzündung hervorrufen und das sieht extrem positiv aus."

    In Mäusen lässt sich damit die Alzheimerkrankheit komplett stoppen, eine Studie am Menschen ist bei der Europäischen Union beantragt. Christian Haass betont aber, dass eine wirksame und sichere Impfung noch Jahre entfernt ist. Den heutigen Alzheimer Patienten wird sie nicht mehr helfen können, die alternden Babyboomer aber dürfen sich Hoffnung machen.