Archiv


Sprung in den Blutbassin

Der deutsche Maler Dirk Skreber, dessen Aufstieg vor einigen Jahren mit dem "Preis der Nationalgalerie für junge Kunst" begann, wird heute schon in einem Atemzug mit Georg Baselitz, Gerhard Richter und Neo Rauch genannt. Jetzt widmet ihm die Kunsthalle Baden-Baden mit der selbstmörderischen Ausstellung "Blutgeschwindigkeit" eine erste Retrospektive.

Von Christian Gampert |
    Wenn man schon ins Museum hinein darf, dann will man gleich die ganze hehre Institution ummodeln und sich untertan machen. Der Maler Dirk Skreber, dessen Katastrophenbilder auf dem Kunstmarkt sechsstellige Preise erzielen, Katastrophe geht ja immer gut, hat mehrere seiner horrorartigen, Angst erzeugenden Gerüst-Installationen in drei Räume der Baden-Badener Kunsthalle hineingebaut und das Ganze mit einem System aus rot gestrichenen Bassins und Wasserkanälen verbunden. Zu diesem Behufe mussten alle drei Räume betoniert werden, um im Beton dann Sprungbecken und Wasserläufe freizulassen - wir ziehen den Hut vor dem Kunstinstitut, das sich für eine zweimonatige Ausstellung auf solche Umbauarbeiten einließ.

    Während in den rot gestrichenen Bassins also das Wasser steht, das wie rote Suppe aussieht, steht der Zuschauer auf den Betonsockeln neben mannshohen Modellen von Halbkuppeln, Fördertürmen, absurden Gerüstkonstruktionen. Spiralförmige Leitern führen nach oben ins Nirvana, und in bestimmten Höhenlagen sind kleine, wieder rote Sprungbretter installiert, von denen sich fiktive Menschen dann nach unten stürzen könnten.

    Dass man sich in diesem Spielzeug-Selbstmörderpark nicht recht wohl fühlt, liegt auf der Hand; allerdings klingt auch der Ausstellungstitel "Blutgeschwindigkeit" nicht gerade nach Gemütlichkeit. Skreber meint damit die Geschwindigkeit, die ein auf das betonharte Wasser zurasender Körper annimmt, kurz vor dem Aufprall. Skreber hat das minutiös recherchiert, anhand von Statistiken über die Selbstmörder, die von der Golden Gate Bridge springen: Aus einer Höhe von 66 Meter kann man eventuell noch überleben. Wie schön!

    Natürlich wird diese düstere Metapher in der Ausstellung auf die gesamte Humanitas geweitet: In der großen Halle hängen Riesenformate von umherfliegenden Monsterreifen, surreale Überbleibsel von Unfällen der Menschheit, oben ein greller Himmel, unten stilisierte Blutlachen, die so aussehen wie früher die Blutplättchen im Biobuch. An der Wand gegenüber ein neblig-verdicktes, in Schleim und Gekröse versinkendes Meer, eine blauschaumige Ursuppe, in der noch ein paar Lebewesen herumirren. Hier wird dann auch mal gestisch gemalt und expressiv mit Farbe getropft und gespritzt, während in anderen Arbeiten, vor allem in den Himmeln, feinste Farbfeld-Nuancierungen sublim Atmosphäre schaffen.

    Dirk Skreber scheint nicht gerade optimistisch, was die Politik anbetrifft; aber er hat keine plakativen Botschaften. Er malt Szenarien dumpfer Bedrohlichkeit, das war schon bei seinen in Großformate übersetzten Lokomotiven so, die als pralle technoide Zeichen in der Landschaft standen.

    In Baden-Baden zeigt Skreber Bilder aus den letzten acht Jahren, zum Teil jüngsten Datums, und hier geht es um Restmüll von Atomversuchen im Bikini-Atoll, um irakische Ölfelder oder iranische Atomanlagen. Vor allem aber geht es um die Möglichkeiten von Malerei heute: Was kann die uns noch erzählen? Skreber beantwortet die Frage, indem er in vielen Arbeiten zwei Bilder übereinander legt: Das Hintergrundbild stammt meist aus dem Internet, ein zweites Bild wird mit aus der Tube gequetschten Farbbahnen schraffurartig darüber gelegt. So steht über einem verfremdeten Satelliten-Foto iranischer Atomanlagen, das den USA potenziell als Grund für einen Angriff auf den Iran dienen könnte, ein Motiv eng umschlungen tanzender Cowboys. Vor dem Bild der gecrashten Maschine des US-Präsidenten "Airforce One" suggeriert Skreber mit seiner Streifentechnik den Schatten eines arabischen Bombenlegers.

    Es ist die Frage, ob dies Wunschträume oder nur Fiktionen aus der Medienwelt sind. Auf alle Fälle erzeugen diese Bilder ein Augenflimmern - am stärksten bei den Super-Heros, Comic-Figuren, deren Körper Skreber aus einem Hintergrund von Tesa-Moll-Streifen durch bloßes Rupfen herausschält. Skrebers Bilder werden zu sechsstelligen Preisen gehandelt, auch die Londoner Galerie Saatchi zählt zu den Käufern. Im Museum will der in New York lebende Skreber nun offenbar lieber klotzen als kleckern - first we take Manhattan, then we take Berlin; oder zumindest Baden-Baden.