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Sprunghafte Wechsel

Wenn Schauspieler im Film als Hitler auftreten, fragen besorgte Volkspädagogen regelmäßig, ob das denn erlaubt ist, ob man Hitler Stimme und Gesicht eines Schauspielers geben dürfe und ob das nicht zwangsläufig einer Verharmlosung gleich komme. Fragen, denen auch Dietrich Kuhlbrodt in seinen Anmerkungen zur Darstellung der Nazis im deutschen Nachkriegsfilm nachgeht. "Deutsches Film Wunder – Nazis immer besser" ist die Kommentarsammlung überschrieben, und Werner Dütsch hat sie gelesen.

    Wie war das und vor allem wie ist das hierzulande mit den Nazis im Kino und im Heimkino? Der da mit lustvoller Polemik an dieser Frage entlang schreibt, ist gleich dreifach mit der Sache verquickt: Dietrich Kuhlbrodt schreibt seit 50 Jahren Filmkritiken; vor Jahrzehnten in der legendären Zeitschrift "Filmkritik”, heute für "konkret”, die "taz" , den "Schnitt” oder in ”Jungle World” – ein Umstand, auf den noch zurückzukommen sein wird. Der Filmkritiker hat aber noch einen richtig seriösen Beruf, er ist gelernter Jurist und hat als Staatsanwalt zwei Jahrzehnte lang Nazis verfolgt – in der Zentralen Stelle zur Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen in Ludwigsburg.

    "Ich habe im richtigen Lager für die richtige Sache gekämpft", bekennt der Autor stolz, der schließlich unter die Schauspieler ging und in den meisten Filmen von Christoph Schlingensief Rollen hatte – in so quer liegenden Filmen wie "Das deutsche Kettensägenmassaker” oder "100 Jahre Adolf Hitler – die letzte Stunde im Führerbunker”. In dem Film gibt er den Goebbels – sicherlich einer der schönen Gründe, Eichingers "Untergang” was ans Zeug zu flicken.

    Das Buch eilt flink durch die Nachkriegsjahre, als Nazis, aber auch Widerstandskämpfer erst einmal aus ausländischen Filmen herausgeschnitten und wegsynchronisiert wurden, was nicht besser wurde mit den peinlichen, sich aber mutig gebenden deutschen Filmen der 50er Jahre, in denen die Nazis zu richtigen Bösewichtern wurden, die Volk und Armee als verführt und missbraucht entlasteten. Es ist von Figuren die Rede, die Deutschland einfach nicht loswerden wollte: Leni Riefenstahl, mit der sich Kuhlbrodt auch juristisch angelegt hat, Veit Harlan, der es mit Erfolg wagte, sich für den Schandfilm "Jud Süss” auf den Befehlsnotstand zu berufen, Gustav Gründgens, dem neben einem "aasigen Lächeln” "ein prima affirmatives Verhältnis zum Repräsentativen” bestätigt wird, nicht zu vergessen die Inkarnation der vermeintlichen Harmlosigkeit,

    "der nützliche Idiot Rühmann, immer gut zur Systemstabilisierung”".

    Aber der Autor ist viel zu neugierig, zu beweglich und witzig, als dass ihm eine einmal gefundene Position zum blinden Maßstab für Neues und für Veränderungen werden kann. Was einige Filmemacher seit zwei, drei Jahrzehnten treiben, das fand in Kuhlbrodt einen aufmerksamen kämpferischen Kommentator, der es mit den ungesicherten, umstrittenen, noch nicht bewährten Versuchen in Spiel- und Dokumentarfilmen hielt und der zugleich seinen Spott über Produktionen ausbreitet, die, ob nun Guido Knopp auf Arte und im ZDF oder Bernd Eichinger mit dem "Untergang” im Kino, eine Nazi-Entsorgung betreiben, die einer Verharmlosung und einer Entpolitisierung gleichkommt.

    "Der beste Hitler, den wir je hatten", höhnt Kuhlbrodt. Die Bilanz fällt für Kuhlbrodt eindeutig aus: Auf der Habenseite Romuald Karmakar, Christoph Schlingensief, Thomas Heise, Rosa von Praunheim, "Hitlers Hitparade” und "Blutige Exzesse im Führerbunker”. Auffällig, dass es dabei vor allem um Dokumentarfilme geht, die den Zuschauern etwas zumuten, indem sie, ohne einordnende, reglementierende und Einsichten vorwegnehmende Kommentare Material ausbreiten, sei es eine dreistündige Himmler-Rede bei Karmakar oder das von keinem pädagogischen Zeigefinger begleitete Auftreten von Neo-Nazis bei Thomas Heise.

    Auf der anderen Seite die Vertreter von Opas Kino – Margarete von Trotta, Volker Schlöndorff, "Das Wunder von Bern”, "Napola” oder der Film über die letzten Tage von Sophie Scholl – alle in den ausgefahrenen Gleisen leicht zu konsumierender Spielfilmdramaturgie – was immer wie ein Argument gegen Spielfilme anmutet, aber nur eins gegen schlechte und unbrauchbare Filme ist, wenn wir nur einmal, was auch Kuhlbrodt tut, an ebenso frohe wie mutige Antinazifilme wie die von Lubitsch und Chaplin denken. Zweifellos dürfte es Leser geben, die Kuhlbrodts Urteile und Sottisen ungerecht finden, aber auch diese Kritiker des Kritikers werden zugeben müssen, dass sie sich nicht gelangweilt haben angesichts einer munteren Schreibweise, die aus Quellen gespeist wird, die der Autor so benennt:

    ""Weil ich wütend bin und weil Emotionen ein tolles Gefühl sind."

    Da können selbst Ungerechtigkeiten nur animierend wirken. Es sei denn, ja, es sei denn, der Leser kennt die Zeitungen und Zeitschriften, die eingangs erwähnt wurden. Genau da ist nämlich ein erheblicher Teil des Buchtextes in Form einzelner Kritiken bereits erschienen. Was die etwas sprunghaften Wechsel - die Schnitte gewissermaßen - erklären mag, mit denen sich das Buch vorwärts bewegt. Oder wenn da plötzlich Bücher mit Kritik bedacht werden und man sich fragt, warum gerade die? Die Antwort ist einfach, Kuhlbrodt hat sie vor Jahren rezensiert und wiederholt seine Kritiken hier ohne jeden Verweis. Verwiesen sei hier auch noch aufs Netz, in dem Kuhlbrodts Kritiken fein säuberlich versammelt sind. Man muss nur unter seinem Namen suchen.

    Im Buch gibt’s eine Menge Zitate, deren Quellen ganz selbstverständlich benannt sind, nur seine massenhaften Eigenzitate hat der Autor – in unheiliger Allianz mit dem Verlag - verschleiert. Selbst seine lesenwerte Autobiografie, 2002 unter dem eindeutigen Titel "Das Kuhlbrodtbuch” im Verbrecherverlag erschienen, hat der Autor geplündert. Glauben Verleger und Autor, die Marktchancen des Buches durch diesen Schwindel zu verbessern? Rote Karte also für den Staatsanwalt und das Verlagshaus.

    Dietrich Kuhlbrodt: Deutsches Filmwunder: Nazis immer besser. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2006, 199 Seiten, 15 Euro.