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Spuren der Epigenetik des Alterns
Drehen an der Lebensuhr

Auch wenn wir uns nur ungern damit abfinden: Jeder Mensch altert. Verantwortlich dafür ist nicht nur der Verschleiß. In unseren Zellen tickt zudem eine Altersuhr, die sagt, wann Schluss ist. Heute gibt es Möglichkeiten, das Fortschreiten des Alterns exakt zu messen.

Von Michael Lange | 25.07.2017
    Ein alter Mann hält einen Gehstock mit Silbergriff.
    Moderne Gesellschaften werden immer älter. (imago stock&people)
    Das biologische Alter eines Menschen zu bestimmen, ist heute möglich. Dazu schauen sich Alternsforscher etwa 350 Stellen im Erbgut genau an. Sie interessieren sich aber nicht für den biologischen Code an sich, sondern für kleine Anhängsel am Erbmolekül: Für Methylgruppen an der DNA, die die Aktivität einzelner Gene steuern. Epigenetik heißt das zuständige Fachgebiet. Sebastian Grönke sieht in den neuen Methoden zur Altersbestimmung einen wichtigen Fortschritt. Der Max-Planck-Wissenschaftler erforscht die Biologie des Alterns in Köln.
    "Wenn man sich diese 350 Stellen anguckt, dann sieht man: In einem Zwanzigjährigen sehen sie anders aus als in einem Achtzigjährigen. Und dadurch kann man relativ genau sagen: Was ist das biologische Alter einer jeweiligen Zelle oder eines Organs."
    Als der Biomathematiker Steve Horvarth 2014 erstmals diese Altersuhr vorstellte, wollte ihm zunächst niemand glauben. Mit statistischen Methoden war es ihm gelungen, das Alter eines Menschen bis auf wenige Jahre genau zu bestimmen. Dazu reichte ihm ein Blick auf die Methylgruppen in den weißen Blutkörperchen. Zwei renommierte Fachjournale lehnten seine Arbeit zunächst ab. Die Ergebnisse waren einfach zu gut, um wahr zu sein, hieß es damals. Heute wird Horvaths Altersuhr von der Fachwelt akzeptiert.
    Moderne Gesellschaft - langsamere biologische Uhr
    "Das interessante an dieser neuen Uhr ist, dass sie in fast allen Zellen zu funktionieren scheint. Sie wird häufig in Blutzellen benutzt, weil das beim Menschen das einfachste ist, was man in größeren Mengen gewinnen kann. Aber es funktioniert genauso in Gehirnzellen, in Muskelzellen, Leberzellen, also in allen verschiedenen Organen."
    In modernen Gesellschaften, die immer älter werden, tickt die biologische Uhr tatsächlich langsamer. Nur zu gerne wüssten die Experten, warum? Welche Einflüsse steuern den Alterungsprozess? Auch der aus Deutschland stammende Epigenetik-Experte Wolf Reik vom Brabaham-Institute im englischen Cambridge war sofort begeistert, als er von der Altersuhr erfuhr.
    In Experimenten will er herausfinden, wie epigenetische Schalter das Altern kontrollieren. Deshalb hat er eine ähnliche Altersuhr für Mäuse entwickelt.
    "Wenn jetzt Ihre Katze eine tote Maus zu ihrer Tür bringt, schicken Sie die DNA zu mir, und dann können wir wirklich bestimmen, wie alt die Maus war."
    Biologisches Alter bestimmen
    Mäuse werden nur etwa zweieinhalb Jahre alt. Entsprechend schneller tickt die Altersuhr. Wolf Reik analysiert die Methylgruppen auf der DNA und kann so das biologische Alter äußerst präzise bestimmen.
    "Die Fehlerrate 3,3 Wochen, die ist sehr vergleichbar mit der Fehlerrate beim Menschen 3,6 Jahre. Und wenn man das über die Lebenserwartung rechnet – 80 bis 85 Jahre beim Menschen und 2,53 Jahre bei der Maus -, dann ist die Fehlerquote für diese epigenetische Vorhersage ziemlich ähnlich."
    Mit seiner Messmethode kann Wolf Reik die Lebenserwartung einer Maus relativ genau vorhersagen. Zwar tickt in jeder Zelle eine eigene Uhr, dennoch sind die Altersuhren in Nervenzellen, Muskelzellen oder Leberzellen irgendwie verknüpft, so als gäbe es eine Schaltzentrale, die den Alterungsprozess steuert.
    "Da ist irgendetwas im Organismus, dass ihnen sagt: Ihr müsst jetzt gleichzeitig ticken in der Leber, im Gehirn im Blut und so weiter. Das ist eine super-interessante Frage. Sind es die Hormone zum Beispiel?"
    Bestimmte Mäuse altern langsamer
    Um die Funktionsweise der epigenetischen Schalter kennen zu lernen, beschränkte sich der Doktorand Oliver Hahn vom Kölner Max-Planck-Institut nicht auf die etwa 350 Anhängsel der Altersuhr. Im Computer untersuchte er Millionen Positionen im Erbgut seiner Versuchstiere. Sein Ergebnis: Bestimmte Mäuse altern tatsächlich langsamer als andere. Verantwortlich ist eine besondere Diät.
    "Die bekommen genau dasselbe Essen, die gleiche Zusammensetzung. Sie bekommen nur in absoluter Menge weniger, ungefähr 40 Prozent weniger. Die Effekte sind dramatisch. Diese Tiere leben im Schnitt 30 Prozent länger. Das ist anständig. Und wir sehen dann tatsächlich in der Epigenetik eine Veränderung. Also eine Verlangsamung des normalen Alterungsprozesses."
    Durch das Hungern tickt die Altersuhr langsamer, und die Mäuse leben länger. Beim Menschen funktioniert das jedoch nicht so einfach. Obwohl wir durchschnittlich immer mehr Nahrung zu uns nehmen und dadurch dicker werden, altern wir langsamer als zuvor. Die Ursache bleibt unklar. Einen Jungbrunnen, der die Altersuhr beim Menschen anhält oder gezielt verlangsamt, haben die Forscher bislang nicht entdeckt. Aber sie suchen danach.