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Spuren meines Vaters

Als ich Ende August 2000 aus Newton in den Vereinigten Staaten nach Berlin kam, wusste ich nicht, dass mein Vater immer noch ein Star ist in Deutschland.

Werner Köhne |
    Marek Dutschke , der sein Buch so beginnt, hat den Vater nie kennengelernt. Als er 1980 geboren wurde, war Rudi Dutschke gerade gestorben - an den Spätfolgen der Kopfschüsse, die 12 Jahre zuvor Josef Bachmann auf ihn abgegeben hatte. Die Verwunderung Mareks über den hierzulande anhaltenden Kultstatus seines Vaters ist begründet: den größten Teil seiner Kindheit und Jugend hat er in den USA verbracht, wo er auch heute noch lebt und studiert. So könnte ihm verborgen geblieben sein, dass Rudi Dutschke auch über seinen Tod hinaus Spuren hinterließ in der Geschichte und emotionalen Infrastruktur hier. Davon konnte man sich noch bei der jüngsten Debatte um die Vergangenheit Joschka Fischers und das Erbe von 68 überzeugen. Der ehemalige Studentenführer ist allerdings weniger auf Grund seiner politischen Bedeutung in der Öffentlichkeit heute noch präsent, als vielmehr als singuläre geradezu mythische Gestalt, die für eine bestimmte - vielleicht sogar sehr deutsche - Haltung steht: man verbindet mit ihm Unerschütterlichkeit und Konsequenz, zuweilen auch noch eine wehmütige Erinnerung an die eigenen, in der Regel abgelegten Jugendideale.

    Schon die vor einigen Jahren erschienene umfangreiche Biographie von Gretchen Dutschke, der Mutter Mareks, hatte den Zugang auf menschliche Facetten Rudi Dutschkes in den Vordergrund gerückt. Am eindrucksvollsten gerieten der Lebensgefährtin Rudi Dutschkes jene Szenen, in denen uns ein ebenso scheuer, wie radikaler und sendungsbewusster Charakter begegnet - ein Typ wie geschaffen für die Rolle des Helden.

    Marek erklärt sich die Wirkung, die sein Vater noch heute erzielt, aus ähnlichen Gründen:

    Ich glaube, dass es eher damit zu tun hat, dass man nach einer Gestalt sucht, die besondere Merkmale bringt, so Charisma und Idealismus und Ehrlichkeit - und das Rudi so einer war, bis er starb - und das solche Sachen einen Menschen auf eine Heldenebene bringt - das ist immer noch so. Ich glaube, er ist zurecht so geachtet, wie er ist, wie er gelebt hat. Er hat sehr viel Tapferkeit gezeigt und Courage - dass sie damals nicht aufgehört haben und nicht von der Polizei, von der Presse eingeschüchtert worden sind, dass sie trotz Gerichtsverfahren, weiter gekämpft haben und auf die Straße gegangen sind.

    Wie sich indes einem solchen' Übervater nähern ? - Der Titel des Buches, Spuren meines Vaters , könnte die Erwartung wecken, es stünde die Zeichnung eines komplizierten ödipalen Dreiecks an - vielleicht auch ein Befreiungsschlag gegen ein Phantom. Aus recht einleuchtenden Gründen belehrt uns der junge Autor eines Besseren:

    Wenn man seinen Vater nicht kennengelernt hat, ist es natürlich schwer, eine psychologische Annäherung zu finden, besonders weil ich weniger mit meiner Familie darüber gesprochen habe - und das wäre ja nicht mein Platz, so ein Buch zu schreiben, weil ich ihn gar nicht gekannt hätte - und daher war es für mich selbstverständlich, dass es politisch sein sollte - auch weil ich in der Bundestagsfraktion dieses Praktikum absolviert hatte - während dieser Zeit ich also dieses Buch geschrieben habe- und daher hat sich das eigentlich von selbst so ergeben.

    Vor allem dieser praktische Anlass prägt das Buch entscheidend. Marek Dutschke gewinnt in der Rezeption und Auseinandersetzung mit Themen, die heute von den Grünen besetzt werden, ein eigenes politisches Profil, an dem rückwirkend auch die Erinnerung an den Vater geschärft wird. Rudi Dutschke zählte bekanntlich selbst zu den Gründungsmitgliedern der Grünen. Nach anfänglicher Skepsis und einigen Missverständnissen sah er in der sich damals gerade bildenden Partei eine zweite APO: eine kraftvolle Bewegung für Sozialismus, Demokratie und Antifaschismus. An diesen Gründungsidealen misst nun auch der Sohn die Partei. Es lässt ihn fast zwangsläufig eine kritische Position den Grünen "gegenüber einnehmen:

    Als ich in der Bundestagsfraktion gearbeitet hab, da ist man natürlich schon ein bisschen enttäuscht von den Denkweisen bestimmter Leute, dass sie sich halt in bestimmten Sachen so äußern und sich nicht idealistisch benehmen, nicht ihre eigene Meinung vertreten, sondern das, was ihnen Stimmen einbringt - und das war, was ich manchmal dran auszusetzen hatte, dass einfach keine heldenhafte Figur sich dagegen gestellt hat und gesagt hat, was er denkt, sondern gedacht hat, wie sieht es aus in den Medien, wie wird es in der Öffentlichkeit wahrgenommen, wie krieg' ich meinen Namen in die Presse, dass das ein bisschen traurig ist, das alles so realitätsbewusst ist, anstatt sich von Visionen und Idealen leiten zu lassen.

    Beim Umtausch von Idealismus in Realismus fällt einem naturgemäß der Name Joschka Fischer ein. - Während seines Praktikums bei der Partei gewährte der jetzige deutsche Aussenminister dem Sohn Rudi Dutschkes eine längere Audienz. Wie sich Marek erinnert, spitzte sich irgendwann das Gespräch auf die Frage zu , wer denn von den beiden Studentenführern: Daniel Cohn Bendit und Rudi Dutschke, wohl der bedeutendere Revolutionär gewesen sei:

    Na ja also - das war überhaupt eine komische Diskussion, er hat natürlich Daniel Cohn Bendit als den größeren Revolutionär gesehen, weil es natürlich sein Freund ist, aber er hat das damit begründet, dass Cohn-Bendit die Regierung gezwungen hat, Paris zu verlassen für kurze Zeit - und dass diese Bewegung durch mehr Gesellschaftsschichten und Altersgruppen halt stärker war, als was in Deutschland stattgefunden hat; das mag sein, aber ich glaube von einem charakterlichen Standpunkt aus, ist Rudi eigentlich eine würdigere Figur in der Geschichte— na ja, ich hab mich zwar nicht geäußert in dem Sinne - aber es war trotzdem interessant.

    Bei anderen Begegnungen, vor allem mit ehemaligen Genossen wie Fritz Teufel oder Bernd Rabehl, die stärker als Joschka Fischer die Apo von 68 repräsentieren, stellt sich für Marek noch eine andere Frage: Was wäre wohl heute aus seinem Vater geworden ?

    Man kann es natürlich nur ganz schwer beantworten, ob er sich noch einfinden könnte ins System. Dass er irgendwo ein Amt inne halten könnte oder er sich wie damals einer neuen Bewegung angeschlossen hätte, wo das nächste linke Monument herkommt und sich mit der Gedankenwelt auseinanderzusetzen und dann sich diesen Bewegungen anzuschließen. Ich meine, vielleicht wäre er heute bei den Globalisierungsgegnern und dabei, zu versuchen, die zu leiten und sich damit auseinanderzusetzen. Ich glaub nicht, dass er irgendwo Minister wäre und würde versuchen, aus allem einen spin zu machen und zu sehen, dass er halt seine Rente bekommt - und was weiss ich. So schätze ich ihn nicht ein aus dem, was ich von ihm gehört habe.

    Bei aller Wertschätzung, die der Sohn seinem Vater entgegenbringt, wird aber bei der Lektüre auch ein Gegensatz spürbar: Marek Dutschke sucht - hier wohl exemplarisch für die politische Einstellung von Jugendlichen heute - einen praktischeren vielleicht auch -theoretisch besehen - naiveren Zugang auf gesellschaftliche Probleme unserer Zeit. - Bei Themen wie der deutschen Wiedervereinigung, dem Atomausstieg, der Schwulenehe, der PDS, der Neuen Rechten und der Einschätzung von Chancen für eine dritte Apo nimmt er Positionen ein, die kaum noch die einstmals so wichtige System frage stellen. Dagegen wird der Einfluß liberaler Denktraditionen erkennbar, die wohl aus Mareks Sozialisation in den Staaten herrühren. Umso mehr erstaunt es, dass sich der Sohn von Rudi Dutschke in seiner Heimat, den USA, politisch bisher vollkommen zurückgehalten hat:

    Also für mich war es aufgrund meiner Biographie einfacher, hier Anschluss, zu finden, besonders auch, weil ich das Praktikum bei den Grünen gekriegt habe, das war für mich ein Reiz , viel mehr interessantere Sachen mitbekommen. In den Staaten gibt es das natürlich auch - die Anti- Globalisierung ist da ganz stark - aber ich konnte mich da nicht richtig reinfühlen, ich hab mich da nicht so richtig wohlgefühlt - was heißt wohlgefühlt? Ich hab mich da nicht richtig betätigen können, es hat mich nicht gereizt, da noch stärker nachzusetzen - na ja, in Deutschland, vielleicht ist das in der Geschichte schon anders, von den Eltern her, ist schon atmosphärisch eine Situation gegeben, dass die Kinder sich politisch betätigen sollen.