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Spurensuche in den Genen

Walforscher haben untersucht, ob Walfang über Jahrhunderte und der Klimawechsel Spuren im Erbgut von Grönlandwalen hinterlassen haben. Die Tier leben in den arktischen Gewässern dicht an der Packeisgrenze, die sich abhängig vom Klima verschiebt. Die einst sehr häufigen Grönlandwale wurden 1931 als erste Walart weltweit vom Völkerbund unter Schutz gestellt.

Von Lennart Pyritz |
    Somerset Island in Nordkanada, Anfang der 1990er-Jahre. In der arktischen Einöde graben Archäologen alte Wohnstätten der Inuit aus. Dabei finden sie auch Boote und Spielsachen, die die Inuit aus Körperteilen von Grönlandwalen hergestellt haben. Über Jahrhunderte sicherte die Jagd auf die riesigen Meeressäuger das Überleben der Menschen an der Packeisgrenze.

    "Grönlandwale sind einzigartig an die arktische Umwelt angepasst und sie sind die einzigen Bartenwale, die das ganze Jahr über in der Arktis leben. Sie haben einen sehr dicken Schädel, mit dem sie Eis bis zu einer Dicke von 60 Zentimeter durchbrechen können. Sie sind extrem groß, bis zu 100 Tonnen Gewicht. Und sie gehören zu den langlebigsten Säugetieren. Das wissen wir vor allem durch einen Wal, der vor einigen Jahren in Alaska gefangen wurde. Er hatte einen Pfeil im Körper, der zeigte, dass er bereits vor 100 Jahren einmal Jägern begegnet war","

    sagt Elizabeth Alter, Biologieprofessorin an der City University of New York. Sie gehört zu einem Team von Wissenschaftlern, das sich die Überreste der Wale aus der Inuit-Siedlung noch einmal vorgenommen hat. Doch diesmal geht es nicht um die Waljäger, sondern um das Erbgut der Meeressäuger. Elizabeth Alter und ihren Kollegen ist es gelungen, DNA aus Skelettteilen der Tiere zu isolieren.

    ""Die meisten Proben sind zwischen 500 und 800 Jahre alt, das ist das Alter der Fundstätten, an denen wir die Proben gesammelt haben."

    Neben der DNA aus den archäologischen Funden haben die Biologen auch das Erbgut heute lebender Grönlandwale analysiert. Die Proben umspannen eine bedrohliche Zeit für die Tiere: Walfänger rotteten die Meeressäuger zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert beinahe aus. Im frühen 15. Jahrhundert froren zudem große Flächen ihres Lebensraumes durch die sogenannte Kleine Eiszeit zu. Um zu prüfen, ob diese Ereignisse Spuren im Erbmaterial der Tiere hinterlassen haben, verglichen die Wissenschaftler die mitochondriale DNA der alten und der neuen Proben. Zusätzlich nutzten sie ein Computerprogramm, das mögliche Einflüsse von Jagd und Klimaveränderung auf die Walgemeinschaft simulierte.

    "Wir haben entdeckt, dass Grönlandwale in der kanadischen Arktis einen großen Teil der genetischen Vielfalt in ihren Populationen in den vergangenen 500 Jahren verloren haben. Vermutlich durch Bejagung, Klimaveränderung oder eine Kombination daraus."

    Der Effekt war nachhaltig: Ganze Abstammungslinien der Wale gingen zwischen dem 16. Jahrhundert und heute verloren. Im Meer um Spitzbergen - das ehemals dicht von den Tieren besiedelt war - leben heute vermutlich nur noch einige Dutzend Wale. Wahrscheinlich verstärkten Klimaveränderungen in der Vergangenheit den Jagdeffekt, weil die Wale dadurch in Gebiete wanderten, die für die Jäger leichter erreichbar waren. Dickes Meereis in kalten Perioden hat die Tiere allerdings nicht direkt beeinträchtigt.

    "Wir haben auch herausgefunden, dass die Wale trotz der großen Klimaveränderungen in den letzten 10.000 Jahren schon länger zwischen dem Atlantik und dem Pazifik hin- und hergeschwommen sind. Eis scheint also nicht so ein großes Hindernis zu sein, wie wir bislang angenommen haben."

    Heute werden nur noch wenige Grönlandwale pro Jahr von den Inuit zum Eigenbedarf erlegt. Allerdings gibt es neue Bedrohungen für die Tiere.

    "Klimaveränderung wird ganz offensichtlich ihr Nahrungsangebot beeinflussen. Dazu kommt eine neue laute Umgebung in der Arktis, wenn ehemals eisbedeckte Regionen für die Schifffahrt und die Suche nach Öl und Gas genutzt werden."