Beatrix Novy: Reklameaufschriften auf öffentlichen Verkehrsmitteln kann jeder sich kaufen, auch die auf Londoner Bussen, die dieses Jahr Aufsehen erregten. "Es gibt vermutlich keinen Gott, also entspann dich und lebe!" Die Rückkehr der Religion, die sogenannte, hat ihre Gegner auf den Plan gerufen, schon seit vielen Jahren. In den letzten Tagen nun haben sich in Deutschland Verfechter des Säkularen zu Wort gemeldet. Am Wochenende plädierte in der "FAZ" der FDP-Generalsekretär Christian Lindner für eine Rückbesinnung auf das Republikanische im Wesen des Staates. Dann wird in diesen Tagen berichtet über den Versuch einiger SPD-Abgeordneter, einen laizistischen Arbeitskreis innerhalb der Partei zu gründen, was auf einige Schwierigkeiten stößt. - Wir haben den Staatsrechtler Josef Isensee nach seiner Meinung zu all dem gefragt. Zunächst einmal: Beruft sich die Bundesrepublik Deutschland irgendwo auf Gott?
Josef Isensee: Das Grundgesetz beginnt schon mit einem Gottesbezug, und zwar mit dem Satz, dass das Volk in seiner verfassunggebenden Gewalt sich seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen bewusst ist. Das lässt sich nicht ausradieren.
Novy: Was würde fehlen, wenn, wie es jetzt ein noch zu gründender Arbeitskreis, republikanischer oder laizistischer Arbeitskreis bei den Sozialdemokraten fordert, durchgesetzt würde, dass sämtliche religiösen Symbole zum Beispiel fallen in öffentlichen Einrichtungen? Das ist eine der Forderungen.
Isensee: Das würde zu einer geistigen, moralischen und sinnlichen Verödung unserer Kulturlandschaft führen. Das würde bedeuten, dass in den Schulen die historischen und die lebendigen Grundlagen, aus denen unser Gemeinwesen lebt, verschwänden, und es würde eine sterile Welt geschaffen, in der dann möglicherweise eine Pseudo-Zivilreligion einziehen würde anstelle des Christentums. Alle Stadtbilder sind geprägt von der christlichen Vergangenheit, die im Übrigen keineswegs vergangen ist, sondern eben auch noch ein wesentliches Stück Gegenwart bedeutet. Also das Christentum lässt sich als historische Grundlage unseres Landes und ganz Europas nicht unsichtbar machen, und der Staat gewährt dem Christentum wie allen anderen Religionen die Freiheit, die grundrechtliche Freiheit und Gleichheit, aber er kann nicht davon absehen, dass hier Grundlagen seiner eigenen Lebenskraft liegen, und er kooperiert deshalb auch mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften.
Novy: Er achtet und sichert die Freiheit der Religionsausübung, das ist die Aufgabe des Staates unter anderem. Frage ist, ob zur freien Ausübung der Religion auch ihre Öffentlichmachung, das was eigentlich nach unseren Vorstellungen in den Rahmen der Privatheit gehört, Stichwort Kopftuch, oder auch mit der Rechtsordnung kollidierende Forderungen, dass zum Beispiel Mädchen nicht zum Schwimmunterricht dürfen. Jetzt sind wir beim Islam, der ja zu dieser ganzen Debatte geführt hat.
Isensee: Das sind Grenzfragen und Konfliktfragen. Der Staat beansprucht über seine Schulhoheit selber ein Ausbildungs- und Erziehungsmandat und tritt damit neben das Elternrecht, das das Recht zur religiösen Kindererziehung einschließt, als eine zweite Erziehungsmacht. Und die staatliche Schulhoheit ist das einzige ganz wirksame Integrationsinstrument, das der Staat gegenüber Zuwanderern, zumal solchen aus fremden Kulturkreisen hat. Und wenn er hier die allgemeine Schulpflicht lockert, dadurch, dass er den Wünschen der Eltern nach Befreiung vom Schwimmunterricht wie vom Sportunterricht überhaupt, vom Sexualkundeunterricht, vom Ethikunterricht, von Schulausflügen, wenn er diesen nachgibt, dann gibt er sein Integrationsinstrument praktisch auf und trägt dazu bei, dass die Gesellschaft weiter auseinanderdriftet, als ihr eigentlich von Verfassungswegen zumutbar ist.
Novy: Ein Vorbild des strikt säkularen Staates ist Frankreich, unser Nachbar. Fährt Frankreich besser?
Isensee: Das ist die große Frage. Frankreich hat vor 100 Jahren in seinen Laizitätsgesetzen eine strikte Trennung durchgeführt. Allerdings hat sich dann gezeigt, dass die Laizitätssuppe nicht so heiß gegessen wurde, wie sie gekocht wurde. Frankreich hat sich zunehmend eben doch auch zu kooperativen Formen im Verhältnis zu den Kirchen, zumal zur katholischen Kirche, bewegt. Und das deutsche Modell, das eben keine berührungsängstliche, keine feindselige laizistische Trennung vorsieht, sondern eine friedliche, eine freundliche kooperative Trennung, das deutsche Modell hat für das ganze deutsche Gemeinwesen große Vorteile gebracht und eine größere Ausdifferenzierung unseres schulischen, unseres kulturellen Angebotes ermöglicht. Das deutsche Modell ist deswegen auch Vorbild für viele andere Länder geworden.
Novy: Darüber wird es noch viel zu sagen geben. - Das war der Staatsrechtler Josef Isensee zum Verhältnis von Staat und Religion.
Josef Isensee: Das Grundgesetz beginnt schon mit einem Gottesbezug, und zwar mit dem Satz, dass das Volk in seiner verfassunggebenden Gewalt sich seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen bewusst ist. Das lässt sich nicht ausradieren.
Novy: Was würde fehlen, wenn, wie es jetzt ein noch zu gründender Arbeitskreis, republikanischer oder laizistischer Arbeitskreis bei den Sozialdemokraten fordert, durchgesetzt würde, dass sämtliche religiösen Symbole zum Beispiel fallen in öffentlichen Einrichtungen? Das ist eine der Forderungen.
Isensee: Das würde zu einer geistigen, moralischen und sinnlichen Verödung unserer Kulturlandschaft führen. Das würde bedeuten, dass in den Schulen die historischen und die lebendigen Grundlagen, aus denen unser Gemeinwesen lebt, verschwänden, und es würde eine sterile Welt geschaffen, in der dann möglicherweise eine Pseudo-Zivilreligion einziehen würde anstelle des Christentums. Alle Stadtbilder sind geprägt von der christlichen Vergangenheit, die im Übrigen keineswegs vergangen ist, sondern eben auch noch ein wesentliches Stück Gegenwart bedeutet. Also das Christentum lässt sich als historische Grundlage unseres Landes und ganz Europas nicht unsichtbar machen, und der Staat gewährt dem Christentum wie allen anderen Religionen die Freiheit, die grundrechtliche Freiheit und Gleichheit, aber er kann nicht davon absehen, dass hier Grundlagen seiner eigenen Lebenskraft liegen, und er kooperiert deshalb auch mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften.
Novy: Er achtet und sichert die Freiheit der Religionsausübung, das ist die Aufgabe des Staates unter anderem. Frage ist, ob zur freien Ausübung der Religion auch ihre Öffentlichmachung, das was eigentlich nach unseren Vorstellungen in den Rahmen der Privatheit gehört, Stichwort Kopftuch, oder auch mit der Rechtsordnung kollidierende Forderungen, dass zum Beispiel Mädchen nicht zum Schwimmunterricht dürfen. Jetzt sind wir beim Islam, der ja zu dieser ganzen Debatte geführt hat.
Isensee: Das sind Grenzfragen und Konfliktfragen. Der Staat beansprucht über seine Schulhoheit selber ein Ausbildungs- und Erziehungsmandat und tritt damit neben das Elternrecht, das das Recht zur religiösen Kindererziehung einschließt, als eine zweite Erziehungsmacht. Und die staatliche Schulhoheit ist das einzige ganz wirksame Integrationsinstrument, das der Staat gegenüber Zuwanderern, zumal solchen aus fremden Kulturkreisen hat. Und wenn er hier die allgemeine Schulpflicht lockert, dadurch, dass er den Wünschen der Eltern nach Befreiung vom Schwimmunterricht wie vom Sportunterricht überhaupt, vom Sexualkundeunterricht, vom Ethikunterricht, von Schulausflügen, wenn er diesen nachgibt, dann gibt er sein Integrationsinstrument praktisch auf und trägt dazu bei, dass die Gesellschaft weiter auseinanderdriftet, als ihr eigentlich von Verfassungswegen zumutbar ist.
Novy: Ein Vorbild des strikt säkularen Staates ist Frankreich, unser Nachbar. Fährt Frankreich besser?
Isensee: Das ist die große Frage. Frankreich hat vor 100 Jahren in seinen Laizitätsgesetzen eine strikte Trennung durchgeführt. Allerdings hat sich dann gezeigt, dass die Laizitätssuppe nicht so heiß gegessen wurde, wie sie gekocht wurde. Frankreich hat sich zunehmend eben doch auch zu kooperativen Formen im Verhältnis zu den Kirchen, zumal zur katholischen Kirche, bewegt. Und das deutsche Modell, das eben keine berührungsängstliche, keine feindselige laizistische Trennung vorsieht, sondern eine friedliche, eine freundliche kooperative Trennung, das deutsche Modell hat für das ganze deutsche Gemeinwesen große Vorteile gebracht und eine größere Ausdifferenzierung unseres schulischen, unseres kulturellen Angebotes ermöglicht. Das deutsche Modell ist deswegen auch Vorbild für viele andere Länder geworden.
Novy: Darüber wird es noch viel zu sagen geben. - Das war der Staatsrechtler Josef Isensee zum Verhältnis von Staat und Religion.