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Staatliche Förderung in Gefahr

Die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen der EU und den USA sollen durch das Freihandelsabkommen erleichtert werden. Doch für die europäischen Kulturschaffenden könnte es in vielen Bereichen den Verlust von staatlicher Förderung bedeuten.

Von Jürgen König | 07.06.2013
    Kritiker befürchten, dass die USA die Abschaffung der staatlichen Förderung vor allem in der Film- und Medienbranche fordern wird.
    Kritiker befürchten, dass die USA die Abschaffung der staatlichen Förderung vor allem in der Film- und Medienbranche fordern wird. (Jan-Martin Altgeld)
    Einen transatlantischen Binnenmarkt soll das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA ermöglichen, es soll Zollvorschriften verändern oder abschaffen, Regularien entbürokratisieren, gemeinsame Standards definieren. Am nächsten Freitag werden die EU-Wirtschaftsminister in Brüssel zusammenkommen und Verhandlungsziele festlegen. Über was nicht verhandelt werden darf, steht für Kulturschaffende in ganz Europa schon fest: über Filme und Fernsehprogramme, über Bücher, über Musik. Würde darüber verhandelt, so die Befürchtung, würden die USA darauf bestehen, dass die EU-Staaten alle Gesetze und Regelungen zur öffentlichen Kulturförderung abschafft: vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk über die Filmförderung und die Verwertungsgesellschaften bis zur Buchpreisbindung. Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat:

    "Es wird in Deutschland massiv Filmförderung betrieben, es wird in Europa massiv Filmförderung betrieben, die Amerikaner sehen das natürlich als eine Wettbewerbsverzerrung. Aber wir machen ja diese Filmförderung gerade deshalb, um den
    Wettbewerb zu verzerren! Also das ist nicht ein Betriebsunfall, sondern das ist die Idee dieser Filmförderung, weil wir nämlich sonst nur amerikanische Filme in unseren Kinos sehen werden und deswegen ist das ja auch so gefährlich, diese Vereinbarung, weil wir letztendlich die kulturpolitischen Instrumentarien aus der Hand genommen bekommen würden, die ja zum Beispiel zur kulturellen Vielfalt in Europa beitragen können."

    Diese Vielfalt sei ohnehin geschützt, argumentiert die Deutsche UNESCO-Kommission und verweist auf ein entsprechendes UNESCO-Übereinkommen aus dem Jahr 2005, das als völkerrechtlich verbindlich angesehen wird und allen Staaten das Recht auf eine eigenständige Kulturpolitik zuspricht. Neben der gesamten EU sind bisher 127 Staaten dem Übereinkommen beigetreten – die USA nicht. Auch deshalb forderten gleich 14 EU-Kulturminister in einem gemeinsamen Brief an die Europäische Kommission und die irische EU-Ratspräsidentschaft, den Kulturbereich wie auch den audiovisuellen Sektor von den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen auszunehmen. Auch Kulturstaatsminister Neumann hat diesen Brief unterschrieben, obwohl seine Chefin, Bundeskanzlerin Merkel mehrfach betont hatte, es werde keine Ausnahmen geben, alles müsse auf den Tisch. Mit diesen Worten wird auch Wirtschaftsminister Philip Rösler zitiert, dessen Parteifreund Reiner Deutschmann, kulturpolitischer Sprecher der FDP, rückt seine Aussagen zurecht:

    "Ich würde es gar nicht so unterstreichen, dass Herr Rösler es so explizit gesagt hat. Die Haltung der Bundesregierung geht dahin, Kultur erst mal nicht völlig auszuklammern. Und ich glaube, dass wäre auch ein Fehler, wenn man die Kultur völlig herausnimmt. Man muss nur darauf achten, dass alle Fördertatbestände, die wir in der Kultur haben, nicht am Ende dann schlechter gestellt sind. Das ist eigentlich der Punkt. Ich bin frohen Mutes, dass in der Umsetzung die Kultur dort keinen Schaden nehmen wird, sondern über dieses Freihandelsabkommen sogar auch Vorteile für die Kulturschaffenden kommen können."

    Zum Beispiel:

    "Ein Symphonieorchester will in die Staaten reisen. Dann bedeutet das derzeit, dass es äußerst kompliziert ist. Dann müssen nämlich alle Mitglieder dieses Orchesters beispielsweise nach Berlin oder zu einem Konsulat, müssen dort ihr Visum beantragen und dann können sie wieder zurückfahren. Das heißt also, es gibt einen Busausflug fürs gesamte Orchester. Diese Dinge könnten dann beispielsweise völlig vereinfacht werden, wenn das Freihandelsabkommen auch für den Kulturbereich zutrifft. "

    Luc Jochimsen, die kulturpolitische Sprecherin der Linkspartei, betont, in den USA werde Kultur vor allem als "Entertainment" verstanden, während in Europa damit ein Wertesystem verbunden werde

    "Ich finde, aus guten Gründen sind wir in Deutschland und in Europa der Auffassung, dass Kultur eben nicht nur Unterhaltung ist, sondern etwas sehr, sehr viel Weitreichenderes, Tiefgehenderes. Und das können wir nur erhalten, wenn wir in seiner Tradition an ihm festhalten und es nicht zur Ware machen; wir müssen unser europäisches Verständnis von Kultur, das wir bisher zum Fundament auch gemacht haben, das müssen wir retten, das müssen wir gegen solche Vorstellungen wirklich retten."

    Die Amerikaner haben bisher noch nicht erkennen lassen, mit welchen Forderungen sie in die Verhandlungen gehen werden; auch Hollywoods Filmindustrie, Unternehmen wie Google, Amazon, Apple, die seit Langem offenere europäische Märkte fordern, auch sie halten noch still, was manchem Europäer schon unheimlich vorkommt. Als letzter Rettungsanker gilt vielen das EU-Parlament, das dem Freihandelsabkommen zustimmen muss - und sich schon mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen hat, den Kultur- und Medienbereich nicht zu verhandeln.