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Staatsoper Berlin
"Tosca" von Giacomo Puccini

Von Mascha Drost |
    Die Buhs, die dem Regisseur am Ende entgegenschallten, waren eindeutig – und mehr als gerechtfertigt, nach dieser wohl überflüssigsten Neuinszenierung des Jahres. Schon wünscht man sich die üppige Samt-und-Seide-Produktion von Carl Riha zurück, denn was Alvis Hermanis auf die Bühne gebracht hat, ist noch nicht einmal ein moderner, sondern nur schwacher Aufguss davon.
    In einem Interview sagte Hermanis, er wolle der altmodischste Regisseur des 21. Jahrhunderts werden. Warum nicht, aber muss man deshalb auch gleich der langweiligste werden?! In historischen Kostümen an der Rampe stehen, pathetisch die Arme ausbreiten oder die Hand aufs Herz drücken – für Personenführung dieser Art benötigt man keinen Regisseur, das können Sänger auch allein. Möglicherweise, um von diesem gestalterischen Vakuum abzulenken, findet die Handlung auf gleich zwei Ebenen statt: auf der Bühne und darüber auf einer Leinwand. Was vollmundig als "Graphic Novel" angekündigt wurde, hatte jedoch mehr Ähnlichkeit mit einer Foto-Love-Story in Aquarell. Diese zeichnerische Nacherzählung der "Tosca" wäre vielleicht eines Leistungskurses Kunst angemessen, im Opernhaus aber vernahm man immer wieder leises Kichern. Was soll man als Zuschauer aber auch machen, wenn der leibhaftige Mario Cavarodossi weitaus stattlicher daherkommt als sein gemaltes Alter Ego über ihm.
    Allein: Wo sich das Auge langweilt, können Sänger, Dirigent und Orchester mit ungeteilter Aufmerksamkeit rechnen. Und allein ihnen ist es zu verdanken, dass dieser Abend dennoch zum Erfolg wurde. Kaum zu glauben, dass Daniel Barenboim in seiner fast 50-jährigen Dirigentenkarriere nicht nur dieses Standardwerk, sondern überhaupt zum ersten Mal Puccini dirigiert. Tunlichst vermeidet er jeden Pomp: Tosca erklingt weniger saftig als man es vielleicht erwartet hätte. Vielmehr delikat, durchsichtig, mit stellenweise fast schon impressionistischen Klangfarben: Klar liegen die Feinheiten der Partitur offen. Und umso dramatischer, umso bedrohlicher wirken die unerbittlichen Akkorde der Blechbläser, die Welt des Scarpia, brutal in ihrer Wirkung, aber nie im Klang.
    Riesenkompliment natürlich auch an die Staatskapelle. Den Sängern macht es Barenboim mit seinem Willen zur Ausgestaltung nicht unbedingt einfach – weniger gute wären bei diesen gedehnten Tempi am ausgestreckten Taktstock verhungert. Da kommt selbst ein so wunderbar strahlkräftiger, stimmlich exakt disponierter Tenor wie Fabio Sartori an seine Grenzen, auch, wenn sein Gesang selbstverständlicher und im Melos natürlicher strömte als bei seinen Mitstreitern.
    Anja Kampe, eine der weltweit ersten Wagner-Sängerinnen, ist keine jener vor Eifersucht, Angst oder Wut rasenden Tosca-Furien – Anmut auch im Schmerz und große lyrische Ausdruckskraft zeichnen ihre Darstellung aus. Der eigentliche Star des Abends aber ist Michael Volle, ein abgrundtief zynischer, skrupelloser, verletzender aber eben auch verletzlicher Scarpia. Volle, gerade zum Opernsänger des Jahres gewählt, ist sängerisch wie darstellerisch ungemein fesselnd, fast schon eine Naturgewalt, die genussvoll alle Facetten ihrer ebenso potent-machtvollen wie beweglichen Stimme auskostet. Ein Ereignis von einem Sänger. Und viel zu schade für eine derart dröge Inszenierung.