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Staatsoper Wien
Christoph Eschenbach und Kasper Holten deuten "Idomeneo" von Mozart

Von Franziska Stürz | 06.10.2014
    Noch zur Ouvertüre spielt Idomeneo selbstsicher Schach auf seiner Weltkarte mit Kreta im Zentrum. Krieg ist ein Spiel für ihn, und er wirft seine Feinde reihenweise um und raubt ihre Kinder. Doch dann kehrt der kretische König schwer gezeichnet zurück: Eine große Narbe verunstaltet sein Gesicht, und er wird verfolgt von stummen, blutig-schwarz verhüllten Schattengestalten. Eindrucksvolle Bilder präsentiert Regisseur Kasper Holten zum Einstieg, er zeigt traumatisierte Menschen – den König und seine Opfer, und das Bühnenbild von Mia Stensgaard liefert außer der Landkarte optisch faszinierende Effekte durch die sich hinabsenkenden Spiegelrahmen. Die gefangenen Trojaner hängen wie Gehenkte vom Schnürboden der Wiener Staatsoper herab. Chen Reiss singt dort als zarte Königstochter Ilia ihre erste Arie, und ihre Liebesbeziehung zu Idamante bekommt in diesem neuen Wiener Idomeneo durch eine geänderte Arienabfolge mehr Gewicht.
    Wenn es aber um die Darstellung der menschlichen Konflikte durch die Personenregie geht, lässt Kasper Holten seine Protagonisten leider überwiegend allein, und die märchenhaften Kostüme von Anja Vang Kragh scheinen die Solisten genau wie die schwierige Akustik der großen Wiener Staatsoper zum dekorativen Stehgesang nahe der Rampe zu verleiten. Der hervorragend klingende Staatsopernchor gruppiert sich konventionell im Hintergrund, selbst in der Revolte kommt da keine Bewegung in die Masse.
    Christoph Eschenbach setzt auf einen gedeckten, satten Klang bei den Wiener Philharmonikern, ohne die feinen Stimmen zu überdecken, was dazu führt, dass der musikalische Gesamteindruck vor lauter Kontrolle nur wenige magische Momente hervorbringt, zum Beispiel das Violinsolo zu Ilias Arie, oder die Szenen der hervorragenden jungen Mezzosopranistin Margarita Gritskova als Idamante.
    Michael Schade meistert die schwere Titelpartie einschließlich mörderischer Koloraturen stimmlich souverän und versucht der zerrissenen Figur auf eigene Faust szenisch mehr Ausdruck zu verleihen, als der Regisseur ihm zugesteht. Am Ende wird er vom Volk ausgelacht, seine steinerne Königsstatue zerstört, und nur noch ihr Kopf hängt vom Schnürboden herab. Wo vorher Kreta auf der Karte war, ist jetzt ein blutiges Loch, in das Idomeneo und Elettra zu den schwarzen Schatten hineinsteigen. Doch selbst die furiose Wahnsinns-Arie der Elettra wird musikalisch wie szenisch von Maria Bengtsson so unergreifend interpretiert, dass ein Gesamteindruck von mangelnder Emotionalität zurückbleibt. Geknackt haben Holten und Eschenbach also die harte Nuss des Idomeneo trotz guter Ansätze leider nicht.