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Staatsrätin für "Zivilcourage"

Ein neuer Wind weht durch den Südwesten Deutschlands. Im Land der Wutbürger hat die grün-rote Regierung Gisela Erler zur Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung ernannt. Sie sucht das Gespräch mit den Bürgern – und will eine neue Dialogkultur.

Von Uschi Götz |
    Der Termindruck in diesen Tagen ist enorm. Ein, zwei Minuten bleibt Gisela Erler vor der Türe eines Konferenzsaals in Stuttgart stehen, überfliegt kurz ihre Rede und betritt lächelnd den Raum. Eine halbe Stunde wird die neue Staatsrätin zu 20 Frauen und Männern der Arbeitsgemeinschaft ländliche Erwachsenenbildung in Baden-Württemberg sprechen:

    "Die meisten Menschen können sich unter Zivilgesellschaft nichts Rechtes vorstellen. Oft werde ich begrüßt, ich bin die Staatsrätin für Zivilcourage, und das hat ja entfernt miteinander zu tun."

    Gisela Erler und ihr Amt stehen für den von Grün-Rot angekündigten neuen Regierungsstil. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat versprochen, das Land in eine Bürgergesellschaft zu führen.

    "Sie wissen, es geht dem Ministerpräsidenten und dieser Regierung darum, einerseits die Energiewende zu schaffen und andererseits um das Gehörtwerden und das Mitmachen auf allen Ebenen zu verstärken und auch das Mitbestimmen."

    Die Staatsrätin sitzt – ein legeres schwarzes T-Shirt tragend – entspannt an einem Tisch und geht locker plaudernd das halbe Regierungsprogramm durch.

    An ihrem 65. Geburtstag erhielt die Sozialwissenschaftlerin einen Anruf aus Stuttgart; sie beriet sich mit ihrem Mann, dem Publizisten Warnfried Dettling, schlief eine Nacht darüber und sagte zu. Wenige Tage später wurde sie als Baden-Württembergs erste Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung vereidigt.

    Im Konferenzraum geht es dem Ende zu:

    "… dass Sie wissen, dass ich dazu da bin, dass wenn in Ihren Landkreisen diese Themen aufschlagen, rund um Windräder, Stromtrassen usw. dafür da bin, dass diese Konflikte ich nicht selber, sondern wir entwickeln die Verfahren; wir machen einen Leitfaden für die Kommunen, dass diese Konflikte zielführend diskutiert werden, mit Respekt für die wechselseitigen Positionen und mit dem Ziel vernünftige Kompromisse zu finden."

    Applaus. Ein paar Fragen. Blumen. Nächster Termin. Gisela Erler wurde im schwäbischen Oberland, in Biberach, geboren und wuchs in Pforzheim auf. Ihr Vater, Fritz Erler, war ein bedeutender SPD-Politiker; die Tochter hat sich längst daran gewöhnt, dass sein Name immer wieder fällt:

    "Es war ja nicht nur ein berühmter, sondern wohl auch für andere Menschen sehr eindrucksvoller Mensch, und ich hatte als Tochter die Chance, mich nicht vergleichen zu müssen, das ist für Söhne viel schwerer. Heute stört es mich gar nicht mehr, und zwischendrin habe ich das immer vermieden und bin dem aus dem Weg gegangen."

    Im Alter von 20 Jahren gründete Gisela Erler den ersten linken Verlag der Republik, danach ging sie ans Deutsche Jugendinstitut. Ihr Thema: Familie und Arbeitswelt. Als Sozialwissenschaftlerin rief sie die Tagesmüttervereine in Stuttgart und Reutlingen ins Leben. Ende der 1980er-Jahre wirkte sie am Mütter-Manisfest der Grünen mit. Das Papier löste eine breite Debatte aus, weil es sich kritisch zu einem Feminismus stellte, der Frauen den Verzicht auf Kinder nahelegte. 1991 gründete sie die pme Familienservice GmbH. Das Unternehmen berät bundesweit Firmen rund um das Thema "Vereinbarkeit von Beruf und Familie".

    Gisela Erler ist wieder in ihrem Büro im Staatsministerium; ein paar Zimmer weiter sitzt der Ministerpräsident. Auf ihrem Tisch landen Beschwerden über Straßenbau, oft geht es auch um Windräder. Sie liest jeden Bürgerbrief persönlich und reagiert.

    "Wir geben es nicht einfach weiter, sondern wir versuchen jetzt immer, wenn wir erkennen, da ist ein wichtiges Thema, dass wir sagen, wie könnt ihr das vor Ort vielleicht besser bearbeiten besser? Im Grunde geht es darum: Gibt es Alternativen, gibt es einen neutralen Schlichter, wie kommt ihr dazu, dass ein gutes Gremium sich darüber berät."

    Ein neuer Wind weht durch den Südwesten. Ängste, Wut und Sorgen der Bürger – das hat sich Gisela Erler fest vorgenommen – will sie ernst nehmen. Ein erstes Verfahren läuft bereits: Gegner und Befürworter des im Südschwarzwald geplanten Pumpspeicherkraftwerks tauschen an einem Runden Tisch Argumente aus. Die Staatsrätin war bei einem Gespräch da. Eine Ausnahme, denn sie will sich grundsätzlich nicht direkt in Konflikte einmischen:

    "Ich bin auch nicht diejenige, die statt Heiner Geißler versucht, die Konflikte selbst zu schlichten. Dafür gibt es viel zu viele Konflikte, sondern wir sollen hier schauen, dass im Verkehrsbereich oder im Umweltbereich, wo jetzt Windräder gebaut werden müssen, dann um die Stromtrassen, dass da vernünftige Dialogverfahren entwickelt werden und dass die Verwaltungen auch wissen, wenn so eine Sache ins Haus steht oder jetzt 150 Windräder im Jahr geplant werden müssen, wie schaffen wir rechtzeitig einen guten Dialog."

    Gisela Erler will das Gespräch mit den Bürgern – egal zu welchem Thema. Doch sie macht auch deutlich: Am Ende eines solchen Dialogs werde nicht stehen, dass beispielsweise keine Windränder gebaut werden.

    "Ich wünsche mir, dass die Leute das sichere Gefühl haben, im Land, wenn du was zu sagen hast, dann wirst du gehört, und das heißt nicht, dass dir immer recht gegeben wird. Also, dass die Leute auch lernen – das ist ja auch in Stuttgart gerade hier die Übung –, falls sie sich nicht mit ihrer Meinung durchsetzen, und selbst wenn sie recht hätten, muss man oder frau damit leben lernen. Eine lebendigere Demokratie, an der auch die Schüler beteiligt sind, die Eltern, die Frauen."

    Gisela Erler trinkt Mineralwasser. Sie ist auf dem Sprung, in einen fünfstündigen Workshop. Professor Klages von der Universität Speyer gilt als Experte in Sachen Bürgerbeteiligung. Die besten und neuesten Modelle erfolgreicher Beteiligung werden der Staatsrätin und ihrem fünfköpfigen Stab gleich vorgestellt.