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Staatsziel Kultur?

Holger Noltze: Pünktlich zum Ende des letzten Jahres hat der Deutsche Kulturrat seine To-do-Liste '05 öffentlich gemacht unter der Überschrift "Herausforderungen 2005". Es sind aber, frage ich Olaf Zimmermann, den Geschäftsführer des Kulturrats, weniger Herausforderungen, denen sich der Kulturrat als Dachverband der Kulturverbände selbst gegenüber sieht, sondern vor allem Forderungen an andere, wenn ich das richtig verstehe, und zwar an die Politiker?

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, im Gespräch |
    Olaf Zimmermann: Das ist richtig. Es ist die Herausforderung an uns, die notwendige Stärke zu entwickeln, dass wir uns da auch wirklich einmischen können. Das wird schon schwer genug werden, weil wir jetzt für dieses Jahr Umwälzungen im Kulturbereich wohl erleben werden, wie wir sie bisher noch nicht gehabt haben.

    Noltze: Wo sehen Sie die größten Gefahren?

    Zimmermann: Sicherlich eine ganz große Gefahr sind die 1-Euro-Jobs im Kulturbereich. Wissen Sie, wir sind quasi die idealen Orte, wo 1-Euro-Jobber sich betätigen können, ob in einem Museum, in einem Theater. Gerade ist ein neuer Vorschlag gekommen, den uns die Kulturstaatsministerin zur Prüfung übermittelt hat. Da hat ein Berliner Unternehmer vor, 20.000 1-Euro-Stellen im Kulturbereich zu schaffen, die eine Digitalisierung des gesamten Kulturgutes in Deutschland vornehmen sollen. Das liegt einfach daran, wir sind ständig klamm, das heißt, wir brauchen Beschäftigte, die auch für wenig Geld bei uns arbeiten. Und wir sind gemeinnützig, eine wichtige Voraussetzung, damit man überhaupt 1-Euro-Beschäftigte einstellen kann.

    Noltze: Aber, frage ich mal ketzerisch, ist es nicht möglicherweise an irgendeiner Stelle doch auch sinnvoll?

    Zimmermann: Sicherlich. Da sind immer zwei Herzen in einer Brust. Es ist an der einen Stelle sinnvoll, wo man dringend Beschäftigte im Kulturbereich braucht aber sie überhaupt nicht ordentlich bezahlen kann und deshalb auf die - in der Regel hoch ausgebildeten - Akademiker, die langzeitarbeitslos sind, zurückgreifen kann im Bereich des 1-Euro-Jobs. Aber man muss einfach sehen, was das für den Kulturbereich bedeuten wird. Wenn wir das tun, und vielleicht werden wir gezwungen sein und können uns gar nicht dagegen wehren, wird es aber noch weniger reguläre, normal bezahlte Beschäftigungen im Kulturbereich geben.

    Noltze: Zumal der Grad der Selbstausbeutung an vielen Theatern natürlich schon eine gewisse Grenze erreicht hat. Wenn ich Ihre Ziel-Agenda mal durchgehe, was brächte eine Festschreibung von Kultur als Staatsziel im Grundgesetz? Ist es das, was uns fehlt?

    Zimmermann: Ich weiß nicht, ob das das einzige ist, was uns fehlt. Aber es wäre ein wichtiger Baustein zu dem, was uns fehlt. Es würde nicht eine direkte Einklagbarkeit von Kulturförderung bringen, das erträumen sich manche, das würde die Staatszielbestimmung Kultur nicht bringen. Aber erinnern Sie sich noch an den Anfang dieser Legislaturperiode, da kam der Bundesfinanzminister kurz auf die Idee, zur Einsparung, zur Sanierung seines Haushaltes, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für den Kulturbereich zu streichen. Das konnte damals von der Kulturstaatsministerin verhindert werden. Das war Glück, dass sie es verhindern konnte, weil wir eigentlich kein Rechtsinstrumentarium haben, um zu sagen, bitte behandelt das geistige Lebensmittel Kultur genauso wie das schnöde Lebensmittel, wenn wir uns den Bauch voll schlagen wollen. Wenn wir eine Staatszielbestimmung Kultur im Grundgesetz hätten, dann hätten wir so eine Rechtstruktur, dass wenn der Bund Gesetze erlässt, die diesem Staatsziel zuwider laufen, dass man bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen würde.

    Noltze: Spüren Sie denn eine gewisse Neigung im Zuge der anstehenden notwendigen Reformen, jetzt aber auch mal an die vermeintlich privilegierten Kulturleute ranzugehen? Also, wenn man manchen so genannten Kulturpolitiker hört, hat man den Eindruck, jetzt müssen die aber auch endlich mal.

    Zimmermann: Ja, aber das ist eben genau das Problem, wo sind denn diese vermeintlich Privilegierten? Diese Stimmung ist da, gar keine Frage. Man fragt sich, müssen wir uns das denn wirklich noch leisten können, dieses Theater, dieses Museum, diese Künstlerförderung. Aber ich glaube, wenn man sich mal ganz ernst mit dieser Frage auseinandersetzt, was würde uns verloren gehen, wenn wir uns das nicht mehr leisten würden, würden wir eine ganz andere Rechnung aufmachen.

    Noltze: Sehen Sie denn andererseits ausreichendes Engagement bei den Kulturschaffenden, deutlich zu machen, dass sie zur Grundversorgung gehören, dass sie das Lebensmittel sind und nicht das Sahnehäubchen obendrauf, auf das man im Zweifelsfall verzichten kann?

    Zimmermann: Ich würde mir manchmal viel mehr Aktivität noch wünschen. Da haben die Künstler in den letzten Jahren doch ein wenig nachgelassen. Früher waren es die Schriftsteller, die immer so etwas wie das "Gewissen der Nation" waren. Da würde ich mir wirklich wünschen, dass gerade auch die Schriftsteller aber auch die bildenden Künstler und die Theaterleute öfters auch deutlicher zu allgemeinen politischen Fragen äußern würden. Das würde uns als Gesellschaft helfen, weil wir dann ein paar andere Ideen bekommen würden. Aber ich glaube, es würde wiederum auch den Künstlern helfen, weil es dann auch der Gesellschaft bewusster würde, wie notwendig wir gerade diese Ideen brauchen.

    Noltze: Und das wäre doch gleich noch eine Herausforderung 2005. Das war Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, über seine Agenda 2005.