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"Stadt der jungen Forscher"
Gießens wissenschaftliche Netzwerke

Gießen war 2010 die zweite Stadt, die sich mit dem Titel "Stadt der jungen Forscher" schmücken durfte. Der Ort hat bereits eine lange Wissenschaftstradition und nutzte die Auszeichnung, um neue Projekte anzustoßen, die bis heute fortwirken.

Von Anke Petermann | 19.02.2014
    Das mittelhessische Gießen ist mit seinen 76.000 Einwohnern eine der kleineren Städte, die ein Jahr lang die Auszeichnung "Stadt der jungen Forscher" tragen durfte. Entscheidend dabei war zum geringeren Teil ihre große Wissenschaftstradition mit der mehr als 400 Jahre alten Uni und Forschern wie dem Chemiker Justus Liebig und dem Physik-Nobelpreisträger Wilhelm Conrad Röntgen. Gießen hielt die wissenschaftliche Tradition schon vor der Auszeichnung lebendig, unter anderem mit dem Mathematikum und der jährlich stattfindenden "Straße der Experimente", die jedes Jahr 10.000 Besucher anlockt. Anke Petermann berichtet, was von der "Stadt der jungen Forscher" 2010 blieb.
    Das Mathematikum als erstes mathematisches Mitmachmuseum der Welt lieferte als Gemeinschaftsunternehmen von Stadt und Universität Anlass dafür, dass Gießen 2010 zur Stadt der jungen Forscher gekürt wurde. Die Hermann-Hoffmann-Akademie kommt vier Jahre nach dieser Auszeichnung als weitere Institution dazu, die Wissenschaft in die Gesellschaft trägt. Der Biologie-Didaktiker Hans-Peter Ziemek hat sie mitbegründet:
    "Das hat mit der 'Stadt der jungen Forscher' insofern zu tun, dass der Anlass dann für die Universität da war, dieses Haus, das die frühere Botanik beherbergte, umzubauen und als Kinder- und Jugendakademie weiterzuführen, sozusagen als Verstetigung der 'Stadt der jungen Forscher'."
    In diesen Tagen kommen die ersten Nachwuchsforscher, um wissenschaftlich zu arbeiten. Im Aquarienraum der Akademie erkunden Oberstufenschüler unter Anleitung von Lehramtsstudierenden das Revierverhalten von Buntbarschen mit eigenen Versuchen. Der Grundkurs Biologie an der Europaschule Lollar integriert das in den Unterricht.
    "Schön wäre es, wenn ihr euch vorher schon die Versuchsfrage überlegt, also eine Hypothese, eine Vermutung anstellen, was passieren könnte."
    Anfangs geben die angehenden Lehrer den Schülern noch Tipps, doch am Ende der Doppelstunde lässt sich kaum noch unterscheiden, wer Studierender und wer Nachwuchsforscher von der Gesamtschule ist.
    "Das Weibchen von dem Alpha verteidigt immer noch ihr Revier."
    Nachwuchs auf Augenhöhe
    Die Schüler diskutieren auf Augenhöhe mit den Studierenden. Lehrerin Pia Becker freut sich über die rege Mitarbeit und den Motivationsschub. Echte Wissenschaftserfahrung kann regulärer Unterricht nicht bieten - anders die Akademie. Was sich da aus der "Stadt der jungen Forscher" entwickelt hat, ergänzt schulische Theorie auf einzigartige Weise.
    "Ich finde sehr gut, dass Schüler durch Studierende, also auch noch in der Ausbildung befindliche Leute, gelehrt werden und mit denen zusammen arbeiten. Das müsste man in ganz vielen anderen Fachbereichen auch noch so machen."
    Für Lisa Keller, Biologiestudentin im siebten Semester, bringt die Arbeit an der Akademie neue Impulse. Ebenfalls ein nachhaltiger Effekt der "Stadt der jungen Forscher":
    "Die Hermann-Hoffmann-Akademie gibt die Möglichkeit, dass man auch Schulklassen einladen kann. Man kann vorher im Seminar Sachen erarbeiten oder kann sich Unterrichtsinhalte überlegen, die man einfach mal ausprobieren möchte. Dazu bietet das halt eine gute Gelegenheit. Auch im Praktikum hat man nicht immer die Möglichkeit, sich so intensiv auf eine Schulklasse vorzubereiten oder in dem Rahmen einen Versuch durchzuführen. Und man hat auch den Vorteil, dass immer ein Dozent auch in der Nähe ist, wobei man im Praktikum eher auf sich allein gestellt ist."
    Der Dozent in der Nähe ist an diesem Nachmittag Hans-Peter Ziemek, der die Akademie in dem bis dahin leer stehenden Institutsgebäude mit ins Leben gerufen hat:
    "Ich würde mir wünschen, möglichst breit dort agieren zu können, besonders liegen mir am Herzen die Lehrlinge. Das ist eine Kooperation, die wir schon vor einigen Jahren angefangen haben mit der Kreishandwerkerschaft, mein Traum wären dann eben gemeinsame Projekte von Schülern, Lehrlingen und Studenten."
    Mehr als eine Million Euro hat das Land Hessen spendiert, um den 60er-Jahre Bau zu sanieren. Neben Aquarienräumen beherbergt er Labor, Seminarraum, Bibliothek, Hörsaal und Ausstellungsflächen. Mikroskope und Lupen fehlen noch. Aber nicht mehr lange, glauben Uni-Präsident Joybrato Mukherjee und Professor Ziemek:
    - "Wir haben eine ganze Reihe von Förderern in der Stadt."
    - "Vertreter aus der Wirtschaft, die mit dabei sind, wir haben Lehrer und Lehrerinnen, die das Konzept gut finden, die letztlich davon profitieren für ihre Schülergruppen, wir haben Eltern von Schülern, die hier mitgemacht haben."
    Ideen und Visionen für kommende Jahrzehnte hat die "Stadt der jungen Forscher" in Gießen hervorgebracht und neue Kanäle der Kooperation eröffnet - insofern gratuliert Gießens Unipräsident Mukherjee der Stadt Würzburg zur Auszeichnung im Jahr 2014.