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Stadt der Toten

Archäologie. - Im Südwesten der Türkei an der Küste der Ägäis finden sich die Überreste des antiken Knidos, das für Experten mindestens ebenso interessant ist wie Troja, Ephesus oder Milet. Bei einer Grabungsexpedition in die zweitausend Jahre alte Fundstätte entdeckte jetzt ein Forscher der Universität Kiel einen merkwürdig gestalteten Friedhof der Antike: Die Bewohner errichteten ihren Ahnen dort offenbar eine eigene Stadt inklusive Theater.

    Auf den Hügeln am Ufer der Ägäis, unter meterhohem Buschwerk verborgen, stieß Christoph Berns, Archäologe der Universität Kiel, auf eine kleine Sensation: ein 2000 Jahre altes Gräberfeld nahe der antiken Stadt Knidos. Seit nunmehr drei Jahren geht Berns den Geheimnissen der eigenartigen Anlage nach. Graben muss der Archäologe dazu kaum, denn viele der Bauten stehen noch fast wie vor zwei Jahrtausenden. Zusammen mit einem türkischen Vermessungsexperten kartographierte der 35jährige Kieler die Anlage im vergangenen Sommer und stellte dabei fest, dass sich die Grabsitten im Lauf der Geschichte wohl deutlich geändert haben. "In der Antike bestattete man die Toten häufig in aufwändigen Bauten an Straßen, die direkt in die Städte führten. So standen die toten Ahnen viel stärker in der Welt der Lebenden als heute", berichtet Berns. Heute dagegen schirmten oftmals düstere Friedhofsmauern das Reich der Toten strikt gegen die Welt ihrer Nachkommen ab.

    Noch bis in das fünfte Jahrhundert nach Christus wurden in Knidos die Verstorbenen der wohlhabenderen Familien in aufwändigen Anlagen beigesetzt. Die Vielfalt der Gräber umfasst dabei Säulen und Höhlen bis hin zu richtigen Häusern. Mit der Zeit entstand so eine ganze Stadt der Toten, die über fünf Kilometer entlang der Hauptstraße in die vormals reiche Hafenmetropole führt. Doch nicht nur in der Größe der Gräber dokumentierten die Bewohner ihren Reichtum, sondern auch in ihren Beigaben an die Toten, denn den Verstorbenen sollte es auch in der jenseitigen Welt an nichts mangeln. So stieß Christoph Berns etwa auf Parfümflakons, von deren Inhalt allerdings heute nicht mehr viel übrig ist. Doch meistens waren vermutlich Grabräuber wieder schneller als die Forscher: "Richtige Grabbeigaben findet man nur selten. Mitunter stoßen wir etwa auf kleine Skulpturen und Statuen, mit denen größere Grabanlagen ausgestattet gewesen sein können."

    Auf eine andere Entdeckung ist der deutsche Archäologe aber besonders stolz: Eine Grabanlage, die angelegt ist wie eine Bühne, quasi ein Theater für die Toten. Dabei handele es sich um etwas völlig Neues in der Archäologie, konstatiert der Forscher: "Die Vorderseite dieses Hofes blieb offen, so dass jeder, der dort vorbei ging, sehen konnte, was darin passierte. Dort fanden vermutlich Feierlichkeiten zum Gedenken an die Toten statt." Zwar existierten solche Totenstädte an vielen antiken Stätten, doch seien sie nur selten so gut erhalten wie in Knidos. Daher gebe es noch viele Details zu entdecken, sagt Christoph Berns, im prächtigen Reich der Toten von Knidos.

    [Quelle: Jens Wellhöner]